Tipps wenn Pläne / Routinen nicht eingehalten werden können

Guten Tag!

Wie ihr wisst, sind autistische Menschen darauf angewiesen, dass sie sich im Alltag an Ritualen, Routinen und Zeitplänen entlang hangeln können. Diese geben ihnen einerseits Sicherheit, sorgen aber auch für Entlastung des ohnehin schon extrem ausgelasteten Gehirns. Warum das für Autist: innen so wichtig ist, könnt ihr gern in einem Beitrag lesen, den ich ganz am Anfang mal geschrieben habe: Autismus und Rituale. Aber... Wichtig hin oder her: es gibt nun mal Situationen im Leben / Alltag, wo es schlichtweg nicht möglich ist, sich hundertprozentig an diese "Fahrpläne des Alltags" zu halten, weil zum Beispiel Menschen, die mit dem Ritual verknüpft sind, nicht zur Verfügung stehen. Oder es kommt ein anderer wichtiger Termin dazwischen, der Priorität hat, es reicht schon wenn die Straßenbahn ausfällt... All diese Situationen können autistische Menschen massiv aus dem Konzept bringen. Dennoch müssen sie da durch. Heute möchte ich euch Tipps geben, wie ihr als Familienangehörige / Freunde / Betreuer / Lehrer / Erzieher, etc. autistischen Menschen dabei helfen könnt, diese Situation halbwegs gut zu überstehen, oder was euch als Autist: innen eventuell helfen könnte.

1) So früh wie möglich über Änderung in Kenntnis setzen

Stellt euch mal folgende Situation vor: in der Schule steht die zahnärztliche Reihenuntersuchung an, wodurch die Klasse ein Stück des außerunterrichtlichen Nachmittagsangebotes (z. B. Backkurs, gemeinsames Musizieren, Schauspielkurs, etc.) verpasst. Der Termin ist für alle Klassen verpflichtend und die Lehrerin weiß, dass der autistische Schüler Phil ein großes Problem hat, wenn der Ablauf nicht so ist, wie er immer stattfindet. Nun steht sie vor der Wahl: sagt sie ihm das bereits mehrere Tage vor dem Termin, oder lieber erst kurz davor, damit es ihn nicht ewig vorher schon irritiert? Sie entscheidet sich für letzteres und der Junge erleidet einen Meltdown, weil er durch die spontane Veränderung völlig aus der Bahn geworfen wurde.

Diese Situation ist natürlich fiktiv. Was ich euch aber damit sagen will: es ist sehr oft hilfreich, wenn sich die autistische Person rechtzeitig auf die Veränderung einstellen kann. Es wird die Person in jedem Fall aus dem Konzept bringen, wenn sie hört, dass der Donnerstag ein bisschen anders abläuft als sonst. Das lässt sich eigentlich gar nicht vermeiden. Dennoch wird er diese Information vermutlich ganz gut ertragen können, weil die Veränderung ja noch nicht ansteht! Es ist ja erst einmal nur eine ungefährliche Vorinformation, die noch nichts an dem Tagesablauf des Tages ändert, an dem die Info erfolgt. Wenn man dagegen die Information direkt an dem Tag rüber bringt, ist das wesentlich problematischer. Denn das fühlt sich an, als würde man sich hinsetzen wollen und jemand zieht knallhart den Stuhl weg. Es sorgt dafür, dass man den inneren Halt verliert - weil man null Chance hatte, sich darauf einzustellen...

2) Ersatzplan erstellen

Im Berufsvorbereitenden Jahr hatten wir einen Tagesplan, der immer angesagt hat, wann welcher Teil ansteht (Mathe, Arbeit mit der Rechenmaschine, Geschäftsbriefe schreiben, Tipptrainer, etc.) Den hatte die komplette Gruppe, er war dafür gedacht, dass wir selbstständiger arbeiten können und nicht immer von der Ausbilderin vorgebetet bekommen mussten, was jetzt als nächstes ansteht. Mir hat der Plan mega geholfen, weil der Tagesablauf so absolut vorhersehbar war und eigentlich so gut wie keine Überraschungen parat hatte (hervorragend für Autist: innen). Aber wehe der Plan konnte wider Erwarten mal nicht eingehalten werden, weil irgendwelche Dinge im Tagesablauf dazu gekommen sind, dann hat mich das wirklich verunsichert. Meine Ausbilderin hat eine gute Lösung für dieses Problem gefunden. Sie hat mir am Anfang des Tages direkt gesagt, dass sich der Plan heute ändern muss und hat mir einen Ersatzplan zur Verfügung gestellt. Ich habe den eigentlichen Wochenplan zur Seite gelegt, den aktuellen Tagesplan auf den Schreibtisch gelegt, mich genau daran gehalten und am nächsten Tag wieder den Originalplan benutzt. Ja, es hat mich aus dem Konzept gebracht, dass der Tag nicht so gelaufen ist, wie immer. Aber: ich habe mich grundsätzlich ziemlich zügig wieder entspannt, weil ich mich trotzdem an einem Plan entlanghangeln konnte und nicht die Unsicherheit bestand, was jetzt wohl als nächstes kommen würde. Ich musste mich nicht darauf konzentrieren, dass im Tagesplan etwas anderes steht - ich hatte ja einen Extraplan. 

3) Direkt Lösungsvorschläge anbieten

Dieser Tipp bezieht sich auf Situationen, wo Neurotyp und autistische Person gemeinsam unterwegs sind und urplötzlich passiert etwas außerplanmäßiges. Die Bahn fällt aus, eine geplante Veranstaltung, die im Rahmen des Ausflugs besucht werden sollte, kann aus irgendwelchen Gründen nicht stattfinden, etc. Solche Situationen sind für Autist: innen und Neurotyp: innen gleichermaßen kacke, kann Autisten aber richtig stark aus der emotionalen Bahn werfen. Hier kann es helfen, wenn der Neurotyp in dem Moment das Steuer übernimmt und einfach sagt: "Komm mit - wir nehmen jetzt die Bahn mit der Linie 12 und anschließend noch kurz den Bus und kommen auch an unserem Ziel an!" oder "Wir fahren stattdessen jetzt in die Eisdiele." Ich weiß nicht so richtig, wie ich das formulieren soll. Es ist hilfreich, wenn man dem autistischen Mensch in dem Moment vermittelt: okay, es ist jetzt blöd, aber keine Katastrophe. Ich habe einen Ersatzplan. Das vermindert bei der autistischen Person deutlich den Stress, weil sie sich nicht zusätzlich zu dem Stress, der durch die Veränderung an sich entsteht, auch noch Gedanken über eine mögliche Lösung machen muss. 

4) Tipp an Autist: innen: Verschwendet keine Energie für die Anpassung.

Wenn ihr in eine unerwartete Situation kommt, die euch aus der Bahn wirft: versucht nicht auch noch zusätzlich euch unauffällig zu verhalten, damit niemand aus dem näheren Umfeld etwas bemerkt. Das macht es nur noch schlimmer und bringt weder euch, noch die völlig fremden Leute um euch rum, irgendwie weiter. Tut das, was euch in dem Moment in den Kopf schießt. Und wenn ihr mit dem Oberkörper schaukelnd Hänschen Klein singen müsst um euch zu beruhigen - DANN IST DAS SO! Ihr wisst am besten, was euch hilft, um euch zu beruhigen. Nur wenn ihr das akute Stresslevel runter kriegt, habt ihr den Kopf frei, um an einer möglichen Lösung zu arbeiten. Versucht nach Möglichkeit nicht sofort auf Krampf nach einer Lösung zu suchen. Wenn es euch irgendwie möglich ist, sorgt erst einmal dafür, dass euer Stresspegel sinkt. Ihr könntet zum Beispiel kurz die Augen schließen und ein beruhigendes Lied hören, oder ihr lest in eurem Fachbuch über Lokomotiven, dass ihr immer dabei habt, falls ihr euch spontan beruhigen müsst. Alles was euch hilft (und niemand anderem schadet) ist erlaubt. Wenn ihr völlig kopflos seid, kommt ihr ohnehin nicht auf eine passende Lösung.

5) Notfall-Ablaufplan für schwierige Situationen erstellen

Es kann hilfreich sein, wenn man in ruhigen Situationen, in denen gerade alles nach Plan läuft, gemeinsam mit einer Vertrauensperson oder z. B. eurer / eurem Psychologen einen Notfallplan entwirft. "Was tue ich wenn A, B oder X eintritt?" Neurotypen haben meist einen ziemlich guten Plan, was in welchen Situationen dran ist und können einem sehr gut dabei helfen. Wenn dann eine unvorhergesehene Situation eintritt, hat man den Vorteil, dass man nur das Büchlein aufschlagen muss und dort steht dann drin, was zu tun ist. Zum Beispiel: "Wenn die Bahn ausfällt, atme tief durch und versuche kurz, dich runter zu fahren. Dabei kannst du X, Y, Z machen. Anschließend..." Ihr wisst schon wie ich das meine.  

Ich hoffe, dass euch die Tipps vielleicht ein bisschen weitergeholfen haben, denn unerwartete Situationen wird es immer wieder geben. Was hilft euch in solchen Situationen?

Habt einen schönen Tag!
Anne

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