Autismus und Rituale

Hallo ihr Lieben,

hattet ihr einen schönen Tag? Ich fange mal mit ein paar kleinen Beispielen an:
  • Zum Geburtstag von Paula gibt es immer eine Benjamin-Blümchen-Torte
  • Bei einer Familie hat jeder seinen festen Sitzplatz am Tisch.
  • Jasmin liest ihrem Kind jeden Abend eine Gute-Nacht-Geschichte vor. 
  • Vor dem Mittagessen in der Kita wird immer ein Tischspruch gesagt. 
  • Zur Begrüßung gibt es immer ein High-Five. 
  • ...
Na? Erkennt ihr euch wieder? Bei den genannten Beispielen handelt es sich um Rituale, die eine ganze Familie, eine bestimmte Gruppe oder man als Einzelperson irgendwie so eingeführt und so beibehalten halt. Rituale laufen in der Regel so automatisiert ab, dass man gar nicht mehr groß über diese Handlung nachdenkt. 

Eigentlich kenne ich keinen Menschen, der nicht irgendein Ritual hat. Sie entlasten das Gehirn, weil es nicht erforderlich ist, über diese Details nachzudenken. Außerdem sorgen sie für Sicherheit - man weiß woran man ist und wie etwas ablaufen wird, das ist sehr angenehm. Aber mal im Ernst - wenn das Ritual aus irgendeinem Grund mal nicht eingehalten werden kann, ist es kein Beinbruch für euch, oder? Und damit kann man auch schon den Bogen zum heutigen Thema schlagen. 

Für Menschen im Autismusspektrum sind Rituale immens wichtig. Im letzten Beitrag haben wir besprochen, dass Autisten Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung haben. Dadurch ist das Gehirn deutlich beschäftigter als das von Neurotypen. Das ist natürlich ziemlich anstrengend, was liegt da näher als Entlastung durch Rituale? Gleichzeitig kommt aber auch zum tragen, dass Autisten eine andere Form des Denkens haben. 

Ich vergleiche das Gehirn gern mit einem Computer. Das neurotypische Gehirn ist ein PC der schon ein bisschen weiterentwickelt ist. Für jedes Problem sind schon von Grund auf verschiedene Lösungen programmiert, die er ansteuern kann und die er auch für andere Probleme ähnlicher Art verwenden kann. Er lernt selbstständig durch Vergleiche mit ähnlichen Situationen. Das nennt man generalisieren. (War beim letzten Mal in einer ähnlichen Situation schon so, wird schon wieder gleich sein). Der Computer bei den Autisten arbeitet anders. Hier funktionieren die Vergleiche mit ähnlichen Situationen nicht so gut. Es kann gut sein, dass für eine Strecke von A nach B drei verschiedene Pläne abgespeichert sind, wie man dort hingelangen könnte, weil der autistische Mensch schon 3x auf unterschiedliche Arten dort hingefahren ist. (etwa durch verschiedene Verkehrsmittel) Man könnte also davon ausgehen, dass er in ähnlichen Lagen (Bahn fährt z. B. nicht wie gewohnt) auf diese Strategien zurückgreifen könnte. Leider nein. In neuen Situationen stürzt der Computer erst einmal ab und muss neu gestartet werden. Dann muss man ihn mit Informationen füttern, beim nächsten Mal klappt es dann.

Das bedeutet nicht, dass Autisten nicht lernfähig sind, ganz im Gegenteil. Es braucht nur alles ein bisschen länger. Das liegt daran, dass die Synapsen im Gehirn unterschiedlich verknüpft sind. 
Bei autistischen Menschen ist der "Computer" so programmiert, dass er Ausführungsdateien für den ganzen Tag abgespeichert hat. Quasi das Donnerstags-Programm, Mittwochs-Programm, etc. Je nachdem wie intensiv der Mensch vom Autismus betroffen ist, muss dann jedes Detail absolut gleich ablaufen. Das funktioniert logischerweise nicht immer und das führt dann zu Stress. Es ist dann, als ob mitten auf der Autobahn plötzlich eine Mauer steht, da wären Neurotypen ja auch erst mal vollkommen raus.

Was kann man nun als Bekannter, Angehöriger tun, wenn Rituale nicht eingehalten werden können?

Zu allererst: Wann immer es möglich ist, hilft es extrem wenn man vorinformiert, dass es eine Änderung geben wird. So früh wie möglich! Sollte das nicht möglich sein, gebt der Person ein bisschen Zeit um sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen und schlagt dann einen Alternativplan vor, damit es erst mal wieder einen Fahrplan gibt, an der sich der Autist entlang hangeln kann. Manchmal ist es dann erforderlich, den Ersatzplan zu visualisieren, z. B. aufzuschreiben, das gibt zusätzliche Sicherheit. Wenn alles nichts hilft und die Zeit dafür vorhanden ist, kann man mitunter nur den Zeitraum der möglicherweise ausgefallen ist abwarten, danach ist in der Regel wieder etwas anderes möglich, denn da ist ja dann wieder der Plan vorhanden. 

Ich wünsche euch einen schönen Nachmittag! :) Wenn ihr Themenwünsche habt, meldet euch gern.

Anne

Kommentare

  1. Hallo Anne, das hast du gut beschrieben mit den Plänen. Bin 54 Jahre und habe die Diagnose 2018 erhalten.
    Ich habe schon relativ früh in meinem Kopf "Was wäre, wenn..." Spielchen gespielt. Ich glaube, dass mir das sehr geholfen hat, flexibler und schneller beim Finden von Alternativen zu sein. Aber das Adrenalin schießt trotzdem extrem hoch, wenn etwas schief geht und eine Lösung her muss, im Hintergrund ist immer Angst, und ich brauche lange, um wieder "runterzukommen". Wenn es nicht klappt - Meltdown. In Form von Stressreden und nicht mehr aufhören können zu weinen.
    Aber für Neurotypische Menschen, die sich nicht auskennen (wollen), bin ich nur die, die sich über jeden Scheiß aufregt.
    Aber ein bisschen bin ich auch stolz drauf, dass ich diese Flexibilität überhaupt erreicht habe und nenne mich die B- Plan-Königin.
    Alles Gute für Dich, dein Blog gefällt mir sehr gut, ich glaube, wir sprechen dieselbe Sprache :-)

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    1. Hallo! Vielen vielen Dank für dein liebes Feedback. :) Du kannst sehr stolz auf dich sein, dass du das so gut hinbekommen hast. Lass dich nicht von anderen beirren - die Neurotypen haben keinen Schimmer, wie Autisten fühlen. Mach genauso weiter!!

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