Hilfsmittel für Autisten: Kommunikationskarten

Guten Tag,

die Kommunikationskarten als Hilfsmittel habe ich jetzt schon in ein paar Beiträgen erwähnt, aber aufgrund der Länge der Beiträge, immer nur grob erklärt. Heute möchte ich ein bisschen intensiver darauf eingehen. Ich bin nämlich der Meinung, dass Kommunikationskarten für viele Betroffene ein

wirklich hilfreiches Mittel sind, wenn die Kommunikation wieder ein bisschen klemmt, was leider auch bei sprechenden AutistInnen wesentlich häufiger vorkommt, als man das als Neurotyp mitunter denken mag. 

Zufälligerweise besitze ich genau die gleichen Kommunikationskarten, die im Bild abgebildet sind, es gibt aber auch noch dutzende Vorlagen. Außerdem kann man sie selbstverständlich so

gestalten, wie man sie für sich selbst benötigt. 

Für wen ist dieses Hilfsmittel geeignet?

Man könnte jetzt denken: "Was soll denn mein Kind mit diesem Hilfsmittel? Die kann doch sprechen!" Ja, das mag sein. Aber ich denke, jeder Neurotyp kennt diese Situationen, in denen man wortwörtlich sprachlos ist. Meist ist das eine Art Sprichwort, was man erzählen möchte, dass man eine vollkommen unerwartete Situation erlebt hat, mit der man akut nicht umgehen konnte. Mitunter kann man aber auch als Neurotyp in diesen besonderen Momenten wirklich nicht mehr sprechen konnte. Meist gibt sich das schnell wieder und der Betroffene kann äußern, was er gerade braucht oder möchte. 

Autisten benötigen für diese Situationen meist sehr viel schneller, weil sie ihren inneren Computer zunächst komplett neu starten müssen. Dabei kann es vorkommen, dass sie in dieser Zeit nicht sprechen können. Oder auch wenn sie besonders aufgeregt sind (sprachlos vor Überraschung, kennt glaub ich jeder - ich glaube das ist eine Form von Aufregung), plötzlich viele neue Menschen treffen (geht schüchternen Menschen meist ähnlich) oder sie spontan jemand ansprechen wollen oder sie von der Gesamtsituation überfordert sind, ist es möglich, dass ihnen das sprechen schwer fällt, oder sie das sprechen einstellen. Ich habe schon häufiger die Idee gehört, dass das gemacht wird, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Das finde ich, ist allerdings haltlos und entspricht nicht der Realität. Menschen im Autismus-Spektrum versuchen tatsächlich so wenig wie möglich aufzufallen, weil sie ihre Besonderheit in der Regel nicht besonders mögen. Außerdem wäre ansprechen der Personen doch wesentlich leichter, als erst die Kommunikationskarten herauszupuzzlen und dann auch noch das Risiko einzugehen, dass die Person einen für komisch hält. Aber auch wir wollen kommunizieren. Und wenn es mündlich nun mal nicht funktioniert, müssen wir uns eben behelfen. Auch für sprechende AutistInnen, Mutisten oder Neurotypen, die häufig sehr schüchtern sind, können diese Karten sehr hilfreich sein.

Wie bin ich auf dieses Hilfsmittel gekommen?

Die Idee war zugegebenermaßen gar nicht von mir. Meine Psychologin hat mich auf die Idee gebracht. Auslöser war eine Situation im Arbeitsbereich. Ich wurde in eine ziemlich unvorhergesehene Situation "hineingeworfen", konkret war es ein Raumwechsel, mit dem ich nicht gerechnet habe. Dadurch war ich erst einmal völlig überfordert. Die Kollegin, die mir diese Information überbracht hat, hat das gemerkt und meinte: "Ach je, Sie sehen so unglücklich ist. Wollen Sie heute erst mal noch in dem Raum bleiben zum Übergang?" und strich mir über den Kopf. In meinem Kopf fing es überdeutlich an, sie anzubrüllen: "FASS MICH NICHT AN!!" Herausgekommen ist: nichts. Sie hat es natürlich als liebe Geste gemeint und überhaupt nicht böse gemeint, aber ich mochte sie schon ohnehin nicht besonders (mich dürfen nur Menschen berühren, denen ich vertraue und die ich mag) und in der Situation herrschte ja eh schon Chaos, sodass ich nicht auch noch diesen zusätzlichen Reiz gebrauchen konnte. Wirklich eine ungünstige Situation. Ich hätte gern gesagt, sie sollen mich alle kurz einen Moment einfach mal allein und in Ruhe lassen, damit ich mich ordnen kann, aber es ging nicht. Sprechen, aufgrund der vollkommen überfordernden Situation: unmöglich. Also habe ich den Kopf geschüttelt und habe mich in den neuen Raum zurück gezogen. Mit den Kommunikationskarten hätte ich zum Beispiel kommunizieren können, dass ich mich erst mal sortieren muss und nicht angefasst werden möchte. So hätte auch meine Kollegin gewusst, dass das gerade nicht günstig und sogar unerwünscht ist.

Vorteile der Kommunikationskarten

 1. Die Umstehenden erfahren, was wir gerade benötigen.

Besonders in schwierigen Situationen, wie zum Beispiel einer Reizüberflutung, Shutdown (wobei hier der Einsatz der Kommunikationskarten leider vermutlich nur bedingt funktioniert, da man sich häufig nicht mehr bewegen kann) oder z. B. Panikattacke oder anderen überfordernden Situationen, versuchen uns die neurotypischen Menschen meist zu helfen. Aus dem Zustand befreien, etc. Meist werden wir dann mit Fragen "überschüttet" und wenn wir dann nicht antworten können und uns auch nicht anderweitig äußern, entscheiden unsere Helfer, was gerade gut für uns ist. Das muss aber natürlich nicht übereinstimmen mit unseren tatsächlichen Bedürfnissen. Wie bei meinem erlebten Beispiel: meine Kollegin dachte: mh, sie sieht ziemlich unglücklich aus, die meisten mögen als Trost eine kurze Berührung. Aber Autisten mögen keine Berührungen!! Wenn wir über die Kommunikationskarten sagen können, was wir brauchen / möchten, ist es für unsere Unterstützer kein hilfloses Rätsel raten mehr, dass uns vielleicht im Ergebnis gar nicht hilft.

2. Es stärkt die Selbstständigkeit.

Es ist bescheuert, wenn man immer nur über eine Art Übersetzer kommunizieren kann. Vor den Kommunikationskarten war es mitunter manchmal so, dass ich zu meiner Freundin (mit der ich sprechen konnte) sagen musste: "Frag ihn mal das und das!", oder "Ich will mit ihr sprechen, kannst du ihr das sagen?" Das kommt erst komisch rüber. Die Gesprächspartner denken sich dann vermutlich zu Recht: "Warum spricht die mich jetzt nicht selbst an?!" Wenn wir die Kommunikationskarten einsetzen, können wir selbst Personen ansprechen und brauchen keinen "Dritten". 

Was sollte man noch wissen?

Meistens dienen die Kommunikationskarten wirklich nur dazu, überhaupt einen Einstieg in das Gespräch zu finden und die Dinge auszusprechen, die gerade im Kopf feststecken. Bei mir ist es so, dass die Personen dann auf das antworten, was auf der Karte steht und dann ist es mir möglich, mündlich zu reagieren. Das ist wie gesagt keine Show, sondern ich hab mich einfach zum Beispiel nicht getraut, die Person anzusprechen und ihr mein Anliegen zu verraten. Wenn dieser Punkt überschritten ist, ist die Blockade in der Regel gelöst und ich kann normal sprechen. Wenn vielleicht auch ein bisschen leiser, unsicher wenn ich die Person nicht soo gut kenne.  

Ihr könnt übrigens ganz normal mit uns sprechen. Nur weil wir mit den Kommunikationskarten arbeiten, heißt das nicht, dass wir geistig eingeschränkt sind und man besonders langsam und deutlich mit uns sprechen müsste. Auch nichtsprechende Autisten haben häufig eine ganz normale Intelligenz - eine Anpassung der Sprechweise ist nicht erforderlich. Ihr müsst auch nicht zwangsläufig zurückschreiben - wir sind ja nicht gehörlos. :-) Also einige schon, aber das ist dann logischerweise wieder ein Sonderfall. 

Habt einen schönen Tag!
Anne



Quelle Bild: https://neuroqueer.wordpress.com/2017/04/20/kommunikations-karten/: Lian Herzberg

Kommentare