Hallo ihr Lieben,
Hintergrund des heutigen Beitrags ist, dass ich eine alte Folge des Podcasts "Meine Challenge" (vom MDR - auf allen Podcast-Plattformen zu finden) gehört habe. Dabei setzt sich die Reporterin Daniela Schmidt mit Herausforderungen des Alltags auseinander, in dem sie sich selbst Challenges stellt und mithilfe der Wissenschaft versucht, diese so gut wie möglich zu meistern. In besagter Folge ging es um die Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen - der konkrete Titel lautet: Menschen mit Behinderungen - Schluss mit Vorurteilen. Um ehrlich zu sein, war mir die Reporterin in der Folge wirklich durchgehend maximal unsympathisch, weil mich ihre ganzen Vorurteile, die sie in der Folge präsentiert hat und was sie sonst noch so von sich gegeben hat, einfach wahnsinnig wütend gemacht hat. Zugegeben: sie hat sich reflektiert und immer wieder erwähnt, dass sie weiß, dass die Vorurteile extrem problematisch sind und eigentlich gar nicht zutreffen, aber schon alleine die ausführliche Äußerung dieser Vorurteile haben mich sehr geärgert.
"Krampfiger" Umgang vs. selbstverständlicher Umgang
Frau Schmidt beschreibt, dass sie den Eindruck hat, sich gegenüber Menschen mit Behinderung permanent krampfig verhalten würde, weil sie gar nicht so richtig weiß, wie sie mit behinderten Menschen umgehen soll. Ihre Freundin sei Heilerziehungspflegerin und diese sei so locker und selbstverständlich im Umgang mit ihren Klienten. Zitat: "Wie macht die das? Ich will das auch!" Schon dieser Satz hat mich sauer gemacht, weil sie quasi hervorgehoben hat, wie vorbildhaft ihre Freundin mit "diesen Behinderten" umgeht. Es sollte nichts besonderes sein, einen normalen Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu pflegen, denn wir sind keine merkwürdigen Exoten - wir sind schlicht und einfach Menschen, wie jeder andere auch. Warum sollte man anders mit einer Person umgehen, nur weil sie im Rollstuhl sitzt, schlecht sieht oder vielleicht mit den Armen wedelt? Diese Äußerungen implizieren doch im Prinzip: "ich bin normal, alle die so aussehen wie ich, sind normal, alle anderen machen mir Angst weil sie nicht in mein klassisches Bild passen und deswegen weiß ich nicht, wie ich mit ihnen umgehen soll."
Dieser Satz wirkt meines Erachtens irgendwie überheblich. Man muss nicht "lernen" mit "diesen Behinderten" normal umzugehen, wenn man sie einfach als das wahrnimmt was sie sind: Menschen. Denn, sorry, aber: Menschen im Rollstuhl / einer geistigen Behinderung / Autismus / einer Sehbehinderung / einem fehlenden Arm / was auch immer, haben doch auch keine Berührungsängste im Umgang mit den nichtbehinderten Menschen! Rollstuhlfahrer könnten genauso unsicher sein und sich fragen: "oh Gott, die kann laufen - hoffentlich trete ich ihr nicht auf den Schlips wenn ich sie frage ob sie sich setzen möchte! Ich will sie doch nicht verletzen oder ihr auf die Nerven gehen!" Von Menschen mit Behinderung wird automatisch davon ausgegangen, dass sie mit Nichtbehinderten ganz normal umgehen... Sollte man mal drüber nachdenken.
Menschen mit Behinderung brauchen ständig Hilfe.
Ja und nein. Das kommt ganz auf Art und Ausprägung der Behinderung an, wie viel Hilfebedarf ein jeder Mensch hat. So brauchen ja auch pflegebedürftige alte Leute nicht permanent und bei allem Unterstützung. Es gibt immer Dinge, die die Person auch selbstständig machen kann, zum Beispiel Kreuzworträtsel lösen, selber essen, auf Toilette gehen, ... Auf keinen Fall ist es aber so, dass behinderte Menschen überhaupt nichts alleine machen können und permanent Hilfestellungen von außen brauchen. Denn man muss ja auch mal bedenken, dass wir von klein auf mit der Einschränkung aufwachsen! Wir entwickeln quasi schon von Anfang an die Fähigkeit, wie wir unsere Einschränkung ausgleichen können. So können Sehbehinderte vielleicht nicht einfach so aus der Tür rausgehen und einen Stadtbummel machen, weil sie ihre Umgebung nicht so richtig wahrnehmen und ggf. potentielle Gefahren nicht rechtzeitig entdecken. Das heißt aber nicht, dass sie ständig Begleitung brauchen. Sie können genauso selbstständig wie Sehende sein, denn es gibt ja Hilfsmittel wie einen Langstock, sprechende Kompasse oder Farberkennungssoftware. Ein Kind, das nicht laufen kann, wird ebenfalls nicht stundenlang auf einer Stelle sitzen, bis die Eltern es dort mal wegtragen. Es wird lernen, wie es den Rollstuhl benutzt, Treppen auf allen vieren hochkommt, auf dem Popo durch die Wohnung kommt oder in Situationen wo es wirklich nicht weiterkommt, schlicht und einfach um Hilfe zu bitten! Menschen mit Behinderung benötigen in der Regel in ihrem Alltag die eine oder andere Unterstützung, aber das geht Nichtbehinderten ganz genauso. Keiner ist ein Superman / Superwoman. Aber entweder man findet Lösungen, um das was man nicht kann zu überbrücken (wenn man sich keine Vokabeln merken kann, nimmt man eben Wörterbücher oder Google Übersetzer) oder man bittet halt andere Menschen um Unterstützung. Aber niemand ist permanent auf fremde Hilfe angewiesen.
Menschen mit Behinderung sind bedauernswert, weil sie so ein hartes Leben haben.
Ich für meinen Teil bin mit meinem Leben eigentlich ganz zufrieden und wüsste jetzt gar nicht mal wofür man mich bedauern sollte... Ich habe einen Job, ein Dach über dem Kopf, Essen und Trinken, Körperpflegemöglichkeiten, habe die Möglichkeit medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen wenn es erforderlich ist und habe viele spannende Interessen. Ja, ich habe Autismus und das ist durchaus nicht immer geil, aber haben denn Neurotypen nur Momente wo sie sich mega fühlen? Ja, es gibt behinderte Menschen, die in der Schule gemobbt wurden (einer ihrer Gesprächspartner wurde in der Schule wegen der Behinderung gemobbt), aber - und das hat ihr Gesprächspartner auch gesagt: es gibt genauso viele nicht-behinderte Kinder, denen das auch passiert. Das ist kein Exklusiv-Ding, das nur bei behinderten Menschen passiert. Ja natürlich ist es ein bisschen unfair, dass nicht alle Menschen auf der Welt gehen können, aber dafür wurden Rollstühle entwickelt, mit denen die nicht-gehfähigen Menschen ebenso gut durch die Welt kommen. Ja, Gebäude und die Straßen sind für Menschen mit Mobilitätseinschränkung nicht immer hervorragend ausgebaut - aber wäre es denn nicht auch für Nichtbehinderte eigentlich wichtig, nicht über unebene Stellen auf dem Fußweg zu stolpern oder eine Rampe zur Verfügung zu haben, wenn man mal mit einem Trolly voller Materialien irgendwo hin muss? Ich denke, ihr versteht was ich meine.
Menschen mit Behinderung sind ständig unglücklich und hadern mit ihrem Schicksal.
Nope. Kann ich jetzt nicht unbedingt bestätigen - und ich kenne viele Menschen mit Behinderung. Noch mal: wir sind unsere Behinderung gewöhnt - wir kennen es nicht anders oder haben gelernt, damit umzugehen, wenn wir sie erst im Laufe unseres Lebens erworben haben. Außerdem hat jeder Mensch Dinge, die ihn interessieren und die ihm Freude machen. Man mag es sich kaum vorstellen (Ironie!!), aber auch behinderte Menschen finden Comedians witzig, haben Hobbys und Freunde / Familie mit denen sie gern Zeit verbringen. Selbst als ich Depressionen hatte, war ich nicht permanent kreuzunglücklich, sondern hatte immer mal wieder Situationen in denen ich richtig viel Spaß hatte und herzlich lachen oder mich freuen konnte. Und da haben die meisten Menschen mit Behinderung nicht mal eine psychische Erkrankung, die ihnen die Lebensfreude bedrohen könnte. Man beobachte einfach mal einen Autisten, der sich gerade mit seinem Spezialinteresse beschäftigen darf - ich habe noch keinen Autisten gesehen, der sich dabei scheiße fühlt und mit seinem Schicksal hadert. In dem Moment sind wir einfach nur "on Fire" und wollen alles Mögliche zu dem spannenden Thema aufsaugen und sind super entspannt. :-)
Bitte, liebe Leute - hinterfragt eure Ideen zu anderen Menschen und prüft, ob sie wirklich realistisch sein können oder nehmt euch die Zeit und fragt den betroffenen Menschen: wie erlebst du dieses oder jenes?
Habt einen tollen Tag.
Anne
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