Hallo ihr Lieben!
Fast Food ist ungesund - da sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Warum gerade Menschen im Autismus-Spektrum aber genau darauf sehr gern zurückgreifen: darum soll es heute gehen. Zum Einstieg möchte ich euch ein Beispiel von meinem heutigen Tag erzählen. Ich wollte zum Mittagessen ein Brötchen mit Bockwurst beim Bäcker kaufen - dort angekommen erlebte ich den Schreck: sie hatten keine. Ich war vollkommen überfordert und habe erst mal gar nichts gekauft, sondern hab mich stattdessen 20 min hilflos vor den Bäcker gesetzt und war zu gar nichts in der Lage. Neurotypen denken nun vielleicht: wozu das Theater? Nimm doch einfach was anderes vom Bäcker. Ging nicht. In einem hilfreichen Chatgespräch mit einer lieben Bekannten, welche auch Autistin ist, hat mir berichtet, dass sie diese Situationen ebenfalls kennt und auch die extremen Verzweiflungsreaktionen auf diese Momente. Ich habe sie gefragt, was sie getan hat, als ihr Safefood beim letzten Mal nicht zu haben war. Ihre Antwort: "Ich habe Maiswaffeln gekauft. Nicht sehr nahrhaft, geht aber bei mir immer." Und genau das ist auch der Grund, warum Fastfood manchmal die letzte Rettung darstellt: es belastet unser ohnehin schon überreiztes System nicht zusätzlich und sorgt für den dringend benötigten Energieschub. Mich hat ihre Antwort daran erinnert, dass ich gern Brötchen in ein bisschen Leinöl dippe. Auch nicht sonderlich gesund, macht aber satt, der Geschmack ist bekannt und erfordert keine besondere zusätzliche Energieleistung des Gehirns. Also habe ich mir genau das besorgt. Und siehe da: das hat mir die notwendige Energie geliefert, die für den restlichen Arbeitstag erforderlich war. Aber was hat das jetzt mit Fastfood zu tun?
Lasst uns dazu doch mal überlegen, warum es Fastfood-, bzw. Restaurantketten (z. B. Peter Pane, Burger King, Mc Donalds, Ciao Bella, Schnizz, LÓsteria, etc.) überhaupt gibt. Worin liegt der Vorteil für die Betreiber und was machen sie aus? Der Hauptvorteil für die Betreiber liegt meines Erachtens in Schnelligkeit. Für jedes Gericht existiert ein ganz klarer Ablaufplan - was muss in welcher Reihenfolge erledigt werden, welche Gewürze werden in welcher Menge benutzt, wie viel Gramm Fleisch, wie viel Salat, welche Getränke werden angeboten? Wenn all solche Dinge klar festgelegt sind, lassen sich Abläufe optimieren, die Mitarbeiter wissen ganz genau, wann was zu tun ist und werden daher auch schneller, als wenn sie jedes Mal neu überlegen müssten. Auch die Portionen sind in der Regel immer gleich groß, was dazu führt, dass man deutlich besser kalkulieren kann. Es ist völlig klar: wie viel Fleisch, Pommes, Möhren, Spaghetti, etc. pro Woche i. d. R. benötigt werden, dadurch können die Kosten für das Restaurant viel besser geplant werden. Genau in dieser Beständigkeit liegt der Grund, warum besonders autistische Menschen so gern auf "Restaurants" oder Fastfood-Ketten zurückgreifen (diese gehören zum Oberbegriff der Systemgastronomie). Egal ob man jetzt in München oder in Dresden in den Burger King geht - das Menü ist von der Konsistenz und dem Geschmack komplett identisch. Wenn man sich im Schnizz Dresden das Schnitzel "Gärtnerin Art" bestellt, bekommt man dort nahezu 1:1 das, was auch im Schnizz Leipzig serviert wird. Das Schnitzel wird nahezu genauso groß sein, die Soße wird genauso schmecken und die Pommes werden garantiert dieselbe Dicke und Form haben, wie im Restaurant der anderen Stadt. Ähnlich verhält es sich in der LÓsteria. Wenn man in einen "normalen" Italiener geht, der nicht der Systemgastronomie zugehörig ist, weiß man nie so richtig: wie wird die Spaghetti Carbonara gekocht - wird eher die deutsche Variante (mit Sahnesoße) zubereitet, oder ganz klassisch mit Ei und Käse? Wie wird das Tiramisu schmecken? Bei der LOsteria stellt sich diese Frage schon nach dem ersten Besuch nicht mehr - denn dann kann man sich sicher sein: egal wo ich in die LOsteria gehe - es schmeckt immer gleich, die Portionsgröße ist identisch und wenn ich die hausgemachte Limonade bestelle, schmeckt sie in Dresden genauso wie in Magdeburg. Viele Neurotypen mögen Systemgastronomie nicht, weil sie gern "etwas Neues probieren" wollen. Für Menschen im Autismus-Spektrum ist die Systemgastronomie aber teilweise der Game Changer.
Aber auch das sogenannte Convenience Food (hochverarbeitetes Essen, welches nur noch im Backofen, der Fritteuse, der Mikrowelle oder auf dem Herd erwärmt werden muss) ist bei autistischen Menschen häufig sehr beliebt. Auch dabei ist natürlich bekannt, dass dieses Essen nicht gerade als gesund gilt. Der Vorteil ist aber auch hier: es hat immer die gleiche Konsistenz und schmeckt immer identisch. Es gibt hierbei keinerlei Überraschungen. Das ist, wenn man mit frischem Gemüse kocht oder Gemüse oder Obst roh ist, keinesfalls gegeben. Bei Convenience Food kann beides absolut kontrolliert werden, da die Rezeptur immer gleich ist und nur wenig frische Zutaten verwendet werden. Bei Obst und Gemüse ist es schlicht unmöglich, dass es immer gleich schmeckt. Genau das ist auch der Grund, warum viele neurodivergente Menschen diese Lebensmittel ablehnen. Weil sie Reize anders wahrnehmen. Erdbeeren können mal süß, mal sauer und mal quasi nach gar nichts schmecken. Äpfel schmecken mal mehlig, mal sauer, mal recht neutral fruchtig. Bei Bananen reicht manchmal nur einen Tag um die perfekte Konsistenz zu zerstören... Mir wird von Bananen beispielsweise schlecht, wenn sie nicht die perfekte Konsistenz haben. Natürlich ist es besser frische Lebensmittel zu konsumieren, statt auf diese Fertigprodukte zurückzugreifen, aber auch hier muss eben jeder für sich entscheiden, wie viel "Akku" er noch übrig hat um sich darauf einzulassen, dass man nicht weiß, was einen geschmacklich gleich erwartet.
Der Grund: im Alltag sind autistische Menschen mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Sie müssen damit umgehen, dass Dinge, die sie fest in ihren Tagesplan integriert haben, plötzlich ausfallen oder so in der Form nicht möglich sind. (Wie in meinem oben erzählten Beispiel.) Sie müssen die Sprache der Neurotypen decodieren (Stichwort: Ironie, Sarkasmus, Redewendungen), die teilweise so gar nicht ihrem instinktiven Sprachgebrauch entsprechen. Reize müssen integriert werden, ... Es soll jetzt kein "Mi-mi-mi-Katalog" zum Thema Autismus werden, ich möchte einfach nur sagen, dass das Nervensystem autistischer Menschen viele Dinge gleichzeitig verarbeiten muss und stärker davon belastet ist, als das bei Neurotypen der Fall ist, die das nahezu automatisch beherrschen. Und hier kommt der Game Changer Systemgastronomie mit ihren identischen Gerichten ins Spiel. Wir können unseren Hunger stillen, ohne dass wir mit zusätzlichen unangenehmen Reizen konfrontiert werden. Wenn wir in dem jeweiligen Lokal schon mal essen waren, wissen wir genau was uns erwartet. Wir wissen, welche Gerichte uns schmecken, wie sie schmecken, ... Welche Geräuschkulisse wird uns erwarten? In der LÓsteria ist es zum Beispiel in der Regel sehr laut. Autistische Menschen profitieren massiv von Planbarkeit und Vorhersehbarkeit. Und genau das ist eben bei der Systemgastronomie gegeben. Das kann auch bei Urlauben hilfreich sein. Viele Menschen möchten in anderen Ländern bevorzugt die dortigen einheimischen Gerichte probieren, weil sie es lieben, neue Dinge auszutesten. Für autistische Menschen sind die ganzen anderen Eindrücke aber meist bereits intensiv genug, sodass sie von der Systemgastronomie und Convenience Food profitieren.
Wie ist eure Meinung dazu?
Anne
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