Autismus und PDA

Hallo ihr Lieben!

Heute möchte ich euch eine neurologische Besonderheit / ein Verhaltensprofil vorstellen, die überdurchschnittlich häufig in Verbindung mit der Autismus-Spektrum-Störung auftritt: das PDA-Profil. PDA steht für: Pathological Demand Avoidance - pathologische Anforderungsvermeidung. Bevor ich starte, ist es wichtig zu erwähnen: nicht jeder Mensch im Autismus-Spektrum hat gleichzeitig ein PDA-Verhaltensprofil und nicht jeder PDA-ler hat Autismus. Es kann auch bei anderen psychischen und neurologischen Beeinträchtigungen auftreten. 

Betroffene wirken auf Außenstehende häufig unkooperativ, stur oder faul. Das liegt daran, dass sie auf jegliche Anforderungen (und seien sie noch so simpel) mit Ablehnung reagieren. Sie tun das nicht, um ihren Mitmenschen das Leben schwer zu machen, sondern weil sie jegliche Kooperation als möglichen Kontrollverlust betrachten. Sprich: sie haben Angst. Was ist die klassische Reaktion auf etwas, das einem Angst macht? Man meidet diese Sache. Es ist vergleichbar, als ob ein absoluter Spinnenphobiker aufgefordert werden würde, in einem Raum voller Vogelspinnen zu schlafen. Natürlich würde er sich nicht darauf einlassen. Bei Menschen mit einem PDA-Profil geht es dabei nicht zwingend um die Anforderung an sich, sondern mehr um das Gefühl kontrolliert zu werden, bzw. gesagt zu bekommen, was sie tun soll. Das widerspricht dem massiven inneren Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle, welches alle Betroffenen eint. Ihre Verweigerung ist also kein Zeichen dafür, dass sie etwas gegen ihre Bezugspersonen haben, sondern sie treten damit einfach für sich selbst ein. Aber was soll man jetzt als Betreuer oder Angehöriger von Menschen mit einem PDA-Profil tun? Gerade wenn es Kinder sind - man kann sie ja schließlich nicht sich selbst überlassen, nur um eine starke emotionale Reaktion des Kindes zu vermeiden... Ein weiterer Punkt der nämlich häufig auf Menschen mit PDA-Profil: sie haben große Schwierigkeiten in der Emotionsregulation. Wenn sie sich also überfordert fühlen, kann es sein, dass sie (wenn sie autistisch sind) zum Beispiel in einen Meltdown (vergleichbar mit einem Wutanfall) oder Shutdown (stellt euch das vor, als ob ihr den Notaus-Taster einer Maschine betätigt) oder eine Panikattacke rutschen. Ich kann euch beruhigen: es gibt Strategien um mit den Besonderheiten dieser Menschen umzugehen: die sogenannten PANDA-Strategien. 

P - Pick your battles! (Wähle deine Kämpfe!)

Es gibt alltägliche Anforderungen, wie z. B. ausreichend essen, trinken, schlafen, Körperpflege, witterungsgerechte Kleidung, die müssen einfach sein, da geht kein Weg dran vorbei und die müssen die Angehörigen selbstverständlich auch einfordern. Wichtig zu beachten: auch diese alltäglichen Anforderungen, können für PDA-ler sehr herausfordernd sein. Neben diesen lebenswichtigen Dingen, gibt es aber auch viele Punkte im Alltag, wo man sich überlegen kann: lohnt sich eine Diskussion darum jetzt wirklich? Ein Beispiel: man hat sein Kind davon überzeugt, dass es bei 5 Grad Außentemperatur zwingend Socken anziehen muss. Es hat sich allerdings für eine pinke und eine grüne Socke entschieden, die optisch also nun wirklich gar nicht zusammenpassen. Ja, man könnte das Kind jetzt auffordern, eine der beiden Socken auszutauschen und das richtige Paar anzuziehen. Na klar ist das optisch ansprechender und macht vielleicht eine bessere Außenwirkung. Aber: ist es jetzt wirklich so schlimm, wenn die Socken nicht zusammenpassen? Auf die Wärme der Füße hat die Sockenfarbe jetzt keinen Einfluss - der wichtigste Punkt ist also erfüllt. Das Kind muss gleich noch eine Jacke und Schuhe anziehen und vielleicht sogar noch eine Mütze aufsetzen. Wieder Situationen in denen das Kind zwangsweise kooperieren muss. Vielleicht sieht die Kombi ja doch gar nicht so schlecht aus...? 

A - Anxiety Management (Angstmanagement)

Hier geht es darum, es dem Betroffenen so einfach wie möglich zu machen die Anforderung zu bewältigen, indem man dafür sorgt, dass die Angst gar nicht so stark hochkocht. Der wichtigste Punkt hier: den Betroffenen möglichst nicht unter Druck setzen (also z. B. "Wir müssen jetzt wirklich gleich los! Zieh dich endlich an!"). Am Wichtigsten ist es, selbst die Ruhe zu bewahren, freundlich bleiben, keine genervte Körperhaltung einnehmen. Stattdessen könnte man zum Beispiel ein Spiel anbieten. "Mal schauen, ob du es schaffen kannst, in 3 min 4 Kleidungsstücke anzuziehen!" Oder ein Wettbewerb: "Was meinst du? Bist du schneller mit anziehen fertig, als ich den Tisch gedeckt habe?" Mitunter hilft es auch, das Kind oder den Betroffenen einfach mal eine Weile in Ruhe zu lassen und sich nicht die ganze Zeit dazu zu stellen, sondern vielleicht gemütlich in einem anderen Raum einen Kaffee trinken oder ein bisschen in der Zeitung lesen. Der Betroffene fühlt sich nicht die ganze Zeit beobachtet und man selbst startet den Tag mit ein paar guten Minuten für sich selbst. Win-Win. Eine andere Alternative ist, Autonomie ein bisschen vorzutäuschen. "Möchtest du den roten oder den blauen Pullover?" Je nachdem wie schlau die Betroffenen sind, kann es natürlich sein, dass die "Du-hast-die-Wahl"-Technik und die Spieltechnik nicht funktionieren, weil die Anforderung dahinter dennoch erkannt werden. Was aber vermutlich sehr vielen Betroffenen hilft: Vorhersehbarkeit schaffen. "Was passiert denn, wenn ich fertig bin mit anziehen?" Es kann verunsichern, wenn man nicht weiß, was einem bevorsteht - und Verunsicherung blockiert, weil sie verhindert, dass man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Dagegen kann zum Beispiel das TEACCH-Modell helfen - z. B. eine Bildstrecke mit den einzelnen Schritten, die erledigt werden müssen, bis das Haus verlassen werden kann und was danach ansteht. 

N - Negotiation and collaboration (Verhandlung und Zusammenarbeit)

Hier steht die Frage: "Was können wir tun, damit dir dieses oder jenes leichter fällt?" im Vordergrund. Es geht darum, den Menschen mit PDA "ins Boot zu holen" (Redewendung). Signalisieren: ich verstehe deine Schwierigkeiten mit der Situation und möchte dir helfen, diese zu minimieren. Vielleicht ist Zähne putzen im Bad mit Zahnpasta zu viel, aber es funktioniert vielleicht bei gedämpften Licht und einem Hörspiel und einer kleinen Schüssel Wasser im Bett? Oder beim Aufräumen: welche Hälfte des Zimmers möchtest du aufräumen, welche soll ich übernehmen? Oder die Aufforderung so zu formulieren, dass man das Kind als Unterstützer braucht: "Ich muss unbedingt Paulchen wickeln. Es wäre mir eine riesige Hilfe, wenn du in der Zwischenzeit den Tisch decken könntest. Bei dir kann ich mich darauf verlassen, dass dann auch wirklich alles an Ort und Stelle ist und wir mit dem Abendbrot anfangen können." Der PDA-ler bekommt dann das Gefühl: hey, hier kann ich kooperieren und hinterher ist mein Gegenpart stolz auf mich. Oder, wenn man gemeinsam ein Spiel spielen möchte, nicht die Regeln vorgeben, sondern das Kind dazu einladen, selber Regeln vorzuschlagen, die gerecht erscheinen, damit alle Spaß am Spiel haben. Das müssen nicht zwangsläufig die echten Spielregeln sein, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dann auch daran hält, ist deutlich höher, als wenn man auf die echten Spielregeln bestehen würde. 

D - Disguise and minimise demands (Anforderungen verschleiern und minimieren)

Bei dieser Strategie geht es darum, dem Menschen mit PDA-Profil nicht preiszugeben, wie wichtig einem die Erfüllung der entsprechenden Anforderung wäre. Ein Beispiel das ich schon mal in einem Podcast gehört habe: so tun als wäre es keine Anforderung. Eine Therapeutin wollte mit ihrem kleinen Klienten ein besonderes Spiel spielen, also hat sie das Spiel auf dem Tisch platziert, bevor das Kind reingekommen ist. Das Kind hat das Spiel gesehen und sich sofort darüber aufgeregt, weil der Junge es klar als Anforderung identifiziert hat. Sie blieb ganz entspannt und hat ihm erklärt, dass sie es vergessen hat, wegzuräumen, dass das gar nichts mit ihm zu tun habe. Auch in den kommenden Wochen stand das Spiel immer wieder auf dem Tisch wenn er reinkam. Immer wieder hat er sich darüber geärgert / war genervt davon, aber immer wieder blieb die Therapeutin völlig entspannt und hat immer wieder vorgegeben, dass sie das Spiel einfach vergessen hat wegzuräumen, weil es gerade so viele Kinder spielen würden. Eine weitere Woche später stand das Spiel NICHT auf dem Tisch. Was ist passiert? Der Junge war irritiert, ging zum Materialschrank, fand dort das Spiel, ging damit auf den Teppich und wollte es auf einmal spielen. :-) Und zwar nur, weil die Therapeutin ihm gegenüber nicht hat durchblicken lassen, wie gerne sie dieses eine Spiel mit ihm spielen würde. Eine andere Möglichkeit ist es, subtile Hinweise zu verwenden (Achtung: kann von Autisten auch überhört werden): statt: "Mach doch mal das Licht an!" sagen: "Wird langsam dunkel hier oder?" Viele Menschen mit PDA-Profil sprechen aber auch gut auf Challenge-Angebote an. "Schaffst du es, alle Kuscheltiere aufs Bett zu werfen, bis ich bis 20 gezählt habe?" Wenn man es schafft, dass die Anforderung vom Gegenüber nicht als Anforderung, sondern als freiwillige Idee oder witziges Spiel angesehen wird, ist die Chance, dass die Aufgabe erledigt wird, deutlich höher.

A - Adaption (Anpassung)

Das ist tatsächlich eher eine Strategie, die für die betreuende Person oder den Angehörigen hilfreich ist: eine Art Null-Erwartungs-Haltung. Sie verhindert Frust! Und zwar immens. Man sollte sich immer bewusst sein: was gestern funktioniert hat an Strategien, muss heute nicht genauso gut funktionieren. Denkt immer daran: wir sind keine Maschinen, die immer nach demselben Schema F funktionieren. Vielleicht hat der Mensch schlecht geschlafen - dann wird er vielleicht nicht für Challenges zu haben sein, weil seine Grundstimmung schlechter ist - auch wenn er gestern noch super motiviert bei der Sache war und die Körperpflege extrem schnell und ohne meckern hinter sich gebracht hat. Vielleicht ist das Gegenüber einfach mal grundsätzlich misstrauisch drauf und erkennt sofort, dass ihr die Anforderung verschleiern wollt. Aber: es kann sich auch lohnen eine Strategie anzuwenden, die bislang noch gar nicht geklappt hat - vielleicht ist ja der heutige Tag wie gemacht dafür? Das wichtigste an der Null-Erwartungs-Haltung: die Wahrscheinlichkeit, dass man positiv überrascht wird, ist relativ hoch. Denn wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass die Aufforderungen die gestellt werden müssen, nicht erledigt werden, dann hat man automatisch eine geringere Grundanspannung, wenn es nicht sofort funktioniert - und das spürt der PDA-ler! Er fühlt sich also weniger unter Druck gesetzt und ist ggf. viel entspannter und macht es dann vielleicht doch!!

P.S. Ich bin mit dem Begriff "Betroffener" selbst nicht so richtig glücklich, weil es eben keine Krankheit an sich ist, aber mir ist absolut keiner eingefallen. Bitte seht es mir nach.

Anne 

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