Einzelbüro - Star-Allüren oder sinnvolle Maßnahme?

Hallo ihr Lieben,

aktuell bin ich im Gespräch mit meinem Arbeitgeber, ob ein Einzelbüro für mich evtl. Sinn ergeben würde. In einem älteren Beitrag zum Thema Autismus und Arbeit, habe ich bereits schon einmal erwähnt, dass für Menschen im Autismus-Spektrum ein Einzelbüro durchaus sinnvoll sein kann. Meine Meinung dazu ist also definitiv nicht, dass es sich hierbei um eine Star-Allüre handelt. Nun haben aber nicht alle autistischen Arbeitnehmer Chefs / Chefinnen, die sich mit Autismus und seinen Besonderheiten auskennen, denen gegenüber ist es dann manchmal schwer, zu erklären, dass das nicht einfach nur eine Flause ist, die sich der Betroffene in den Kopf gesetzt hat, sondern dass das wirklich, wirklich sinnvoll sein kann. Der heutige Beitrag soll als Argumentationshilfe dienen. :-)

Anderes Temperaturempfinden

Auf Arbeit fällt meiner Kollegin und mir (jap, ich habe auch kein Einzelbüro, wir arbeiten aber gerade daran, meinen Chef zu überzeugen) das Phänomen häufiger auf. Eigentlich täglich... Viele Menschen im Autismus-Spektrum haben eine andere Wahrnehmung was Wärme oder Kälte angeht. Meine Wohlfühltemperatur liegt z. B. bei ungefähr 18 Grad, für sie deutlich zu kalt. Ab 21 Grad laufe ich meistens schon zum Thermometer, weil ich der Meinung sind, dass in dem Büro gefühlt 30 Grad sind. Im Prinzip sitze ich auch im Winter mit T-Shirt im Büro, weil es im Pullover einfach nicht auszuhalten wäre. Selbstverständlich ist mir klar, dass es mitnichten 30 Grad im Raum sind, aber wenn es sich so anfühlt - was soll ich machen? Meistens stelle ich mich dann für ein paar Minuten ans geöffnete Fenster und meine Kollegin beißt die Zähne zusammen, danach geht es wieder eine Weile. Wenn ich in einem Einzelbüro sitzen würde, könnte sie ihre Wohlfühltemperatur einstellen und ich meine (in dem ich einfach nicht die Heizung andrehe). So wären die Bedürfnisse für gleich zwei Menschen befriedigt und sie könnten effektiver arbeiten. 

Konzentrationssteigerung durch Reizeindämmung

Dieser Punkt dürfte hinreichend bekannt sein: Menschen im Autismus-Spektrum sind nicht besonders begabt darin, Reize auszublenden. Während neurotypische Menschen es schaffen, Umgebungsgeräusche zum Großteil auszublenden, nehmen autistische Menschen wesentlich mehr wahr. Ihren Gesprächspartner nehmen sie gleich laut wahr, wie den Gesprächspartner des Mitarbeiters, der auch noch im Büro ist. Das Tippen auf der Tastatur hören sie in derselben Intensität wie das Ticken der Wanduhr. Das Gemurmel des Kollegen ist genauso präsent wie die Unterhaltung auf dem Flur. Von den sensorischen Wahrnehmungen wie Haut-/Hosenkontakt, Lichtverhältnissen, etc. sprechen wir da noch gar nicht. Und nun stellt euch mal vor, ihr habt das den ganzen Tag lang. Macht sich schwierig ein Protokoll zu schreiben oder Rechnungen zu bearbeiten, wenn man die ganzen Eindrücke auch noch die Sinfonie der ganzen Reize wahrnimmt und nicht ausblenden kann, oder? In so einem Fall ist ein Einzelbüro wirklich hilfreich, um die Konzentration aufrecht zu erhalten. Denn wenn man in einem Einzelbüro die Tür schließt, sinkt die Menge an Reizen quasi auf 2 % runter, denn dann hat man nur noch das, was durch die geschlossene Tür / das geschlossene Fenster zu hören ist, vielleicht noch das Brummen des Computers und das Ticken der Wanduhr, und ansonsten wirklich nur noch das, was man selber auslöst, also meist Tippen, Körpergeräusche, ... Das hilft wirklich enorm, weil man die Energie in die Bewältigung der Aufgabe stecken kann, statt auch noch krampfhaft zu versuchen, den Fokus darauf zu halten. 

Stimming deutlich besser möglich

Viele autistische Menschen trauen sich in der Öffentlichkeit nicht, Stimming zu betreiben. Grund dafür ist, dass die meisten Menschen in ihrem Umfeld diese Verhaltensweisen nicht gut einordnen können (sie kennen es häufig von sich selber nicht und haben vielleicht auch noch nie vorher etwas davon gehört) und darüber irritiert sind. Das ist gar nicht böse gemeint, aber wir wollen natürlich niemanden irritieren oder merkwürdig angeschaut werden. Wir wollen genauso wenig auffallen, wie alle anderen. Deswegen wird Stimming häufig unterdrückt, was natürlich nicht gerade zuträglich für das Wohlbefinden ist. Ein Einzelbüro hat den Vorteil, dass man die Tür auch einfach mal zu machen kann und dann wirklich allein im Büro ist - dort sieht das Stimming niemand. 

Lichtverhältnisse

 Das ist ein ähnlicher Punkt, wie das Temperaturempfinden. Was für die meisten Neurotypen einfach eine völlig normale Deckenbeleuchtung ist, die zum Arbeiten eben benötigt wird, kann die Helligkeit von autistischen Menschen als deutlich zu grell und vielleicht sogar schmerzhaft empfunden werden. Das Gleiche gilt bei der Frage: Fensterrollos auf oder zu? Die meisten Menschen möchten bei der Arbeit auch mal hinausschauen, ihren Blick schweifen lassen und vor allem das Sonnenlicht als natürliche Beleuchtung nutzen. Ihr ahnt es schon... In einem Einzelbüro stört es niemanden, wenn das Rollo den ganzen Tag unten bleibt. Natürlich versucht man sich gegenseitig abzustimmen, aber es wäre doch wirklich blöd, wenn entweder Person A geblendet wird oder Person B sich eingesperrt fühlt, nur weil die Bedürfnisse derart verschieden sind. 

Fazit

Natürlich sollte man immer versuchen, gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen Absprachen zu treffen, damit man gemeinsam gut im Büro arbeiten kann und die gegenseitigen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Denn natürlich gibt es auch viele Vorteile, wenn man gemeinsam im Büro ist - schon allein, weil man dann etwas von den Aufgabengebieten des Gegenübers mitbekommt und sich so besser gegenseitig vertreten kann. Außerdem macht es ja durchaus auch Spaß, sich mit den Kollegen auszutauschen und zwischendurch gemeinsam zu lachen, über das was den ganzen Tag so passiert. Aber es gibt eben auch einige gute Argumente, warum Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern Einzelbüros ermöglichen sollten. Und das gilt selbstverständlich auch für neurotypische Arbeitnehmer, es ist einfach nicht jeder Mensch dazu gemacht, mit jemand anderem ein Büro zu teilen. Fairerweise muss man aber auch sagen: selbst wenn vom Arbeitgeber grundsätzlich absolutes Verständnis für das Bedürfnis da ist, kann es passieren, dass es räumlich einfach nicht möglich ist, diesem nachzukommen. An der Stelle kann man aber zumindest überlegen, welche Maßnahmen zur Entlastung anbieten kann. Vielleicht gibt es einen ruhigen Ort in der Firma, an den sich der Mitarbeiter wenigstens für ein paar Minuten zurückziehen kann, wenn es notwendig ist. Man könnte Schallschutzkopfhörer anbieten - diese dämpfen wirklich einen Großteil der Umgebungsgeräusche, Headsets helfen dabei, sich auf seinen Gesprächspartner am Telefon zu konzentrieren, weil man ihn direkt am Ohr hat, Trennwände (wie es sie z. B. auch bei Wahlen gibt) können helfen, dass man einen abgegrenzten Bereich hat, in dem es nichts weiter zu sehen gibt, als das, worauf man sich gerade konzentrieren soll, nämlich den Computerbildschirm und den Schreibtisch mit der Aufgabe, an der man gerade arbeitet. Also auch wenn ein Einzelbüro nicht möglich ist - gebt nicht auf, es gibt Mittel und Wege, um euch dennoch am Arbeitsplatz zu entlasten und so auch eure Leistungsfähigkeit zu steigern. 

Anne

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