Hallo ihr Lieben!
Heute ist mal ein bisschen Gesellschaftskritik an der Reihe. Ich habe heute früh einen Podcast gehört, in dem es um Adipositas ging, und die Moderatorin hat als eine der ersten Fragen gestellt, ob ihre Interviewpartnerin Erfahrungen mit Mobbing gemacht hat - Kinder seien ja schon ziemlich grausam. Ein Satz, der mich unglaublich wütend gemacht hat. Mit diesem Spruch macht es sich die Gesellschaft aus meiner Sicht ziemlich einfach, keine weiteren Anstrengungen zu unternehmen, aktiv gegen Mobbing vorzugehen. Kinder seien schließlich einfach so, da müsse das gemobbte Kind einfach durch, oder sich eben so anpassen, dass es möglichst wenig Angriffsfläche bietet. FALSCH! Aus meiner Sicht ist das einfach nur falsch.
Kinder sind NICHT von Grund auf böse!
Zum einen finde ich den Satz "Kinder sind grausam." falsch, weil er aus meiner Sicht einfach riesengroßer Blödsinn ist. Ich habe noch nie ein Säugling erlebt, der ein anderes Baby gemieden hätte, weil es zum Beispiel eine andere Hautfarbe hat, etwas dünner oder dicker ist, als es selbst oder vielleicht ein bisschen schielt. Babys und Kleinstkindern sind solche Eigenschaften zunächst schnurzpiepegal. Das Gehirn eines Kleinkindes kann mit einer blanken, unbemalten Leinwand verglichen werden. Im Laufe des Lebens machen wir unterschiedliche Erfahrungen - daraus entsteht dann langsam das Gemälde. Babys werden noch nicht mit Vorurteilen geboren. Sie erlernen sie von ihrem erwachsenen Umfeld. Im Kleinkindalter ist es Kindern in aller Regel noch völlig egal, wer da mit ihnen spielt - es wird erst mal jede Person angenommen wie sie ist, Hauptsache sie ist dem Kind zugeneigt und hat tolle Spielideen. Es interessiert sie nicht, ob die Person dick oder dünn ist, eine Brille trägt, oder nebenbei ab und zu an ihrem T-Shirt kaut oder vor sich hin wippt mit dem Oberkörper. Weil sie die "Norm" noch nicht kennen - sie lernen die Personen völlig unvoreingenommen kennen und erleben es als normal, dass jeder Mensch in ihrem Umfeld ein bisschen anders ist.
Die Schuld liegt aus meiner Sicht also nicht beim Kind, sondern daran, wie sie erzogen und sozialisiert werden. Im Laufe ihrer Entwicklung probieren sie dann die eine oder andere Verhaltensweise aus, die sie bei ihren Altersgenossen beobachtet haben und dann kommt der entscheidende Punkt, an dem aus völlig toleranten und offenen Kindern die "grausamen" Kinder werden. Die Erziehungsberechtigten beobachten die neuen Verhaltensweisen ihrer Kinder und bitten sie, das zu unterlassen, weil sie diese irritierend finden, sie nicht einordnen können, sie nicht möchten, dass andere Leute komisch gucken, wenn ihr wohlgeratenes gesundes Kind dieses "abnorme" Verhalten zeigt. Sie möchten vermeintlich das Beste für ihre Kinder. Um das unerwünschte Verhalten nachdrücklich zu verhindern, fallen mitunter dann Sätze wie: "Das sieht doch doof aus. Du willst doch nicht, dass dich alle angucken... Das machen doch nur kleine Kinder..." Sätze, die Kinder zutiefst irritieren können. Sie haben vielleicht in der Ausprobierphase bemerkt, dass auch ihnen das beobachtete Verhalten der anderen Kinder gut tun würde, weil es sie zum Beispiel entspannt oder beruhigt oder es sich einfach gut anfühlt - und dann erfahren sie aber von ihren Erziehungsberechtigten, denen sie uneingeschränkt vertrauen, dass das irgendwie falsch ist. Ist doch irgendwie logisch, dass sie Kinder, die diese Verhaltensweisen auch im älteren Kindesalter / Jugendalter noch weiter beibehalten, merkwürdig finden, oder? Es wurde ihnen beigebracht, dass "anders verhalten, als das die Masse der Menschen tut" negative Konsequenzen hat, oder dass dieses oder jenes Verhalten altersunangemessen ist.
Was kann man dennoch tun, damit Mobbing / Ausgrenzung / etc. unterbleibt?
Das Stichwort lautet: Aufklärung! Die Kinder und Jugendlichen müssen dort abgeholt werden, wo sie stehen (Redewendung). Das gilt sowohl wenn eine konkrete Diagnose besteht, wie zum Beispiel eine Autismus-Spektrums-Störung, aber auch, wenn keine Diagnose besteht. Ich gehe auf beide Varianten ein und gebe Beispiele, wie die Aufklärung ablaufen könnte, bzw. wie man den Kindern und Jugendlichen helfen kann, zu verstehen, warum dieses oder jenes bei einem anderen Kind eben anders ist, als sie es kennen.
Gleiche Möglichkeiten für alle
Am ehesten akzeptieren Jugendliche Unterstützungsmaterialien (wie z. B. Stimming Toys, Schallschutzkopfhörer, etc.) anderer Mitschüler, wenn deren Existenz und Benutzung für sie selbstverständlich und ganz normal sind. Dafür muss der "Scheinwerfer" von den Hilfsmitteln und dem Kind, das sie vordergründig benötigt. Wie wäre eine Schüssel mit verschiedenen Stimmingtoys an denen sich alle Jugendlichen frei nach Bedarf jederzeit bedienen können? Diese kleinen Spielzeuge kosten wirklich nicht die Welt, zumal man sie als Set kaufen kann. Auch Schallschutzkopfhörer sollten allen Jugendlichen zur Verfügung stehen, schon allein, weil sie auch neurotypischen Menschen beim Konzentrieren helfen können.
Projekttag zum Thema: "Was tut mir gut?"
Ein solches Projekt kann man Jugendlichen zum Beispiel im Rahmen des Ethikunterrichts (Stichwort: Ich und mein Umfeld - welche Bedürfnisse haben wir? Was unterscheidet uns?) oder Biologieunterrichts (Stichwort: Psychische Gesundheit) verkaufen. Dazu kann man die Jugendlichen im Vorfeld beauftragen, einmal Dinge von zu Hause mitzubringen, die ihnen gut tun. Weiterhin könnte man natürlich auch Materialien, die sich zum Stimming eignen, zur Verfügung stellen und ausprobieren lassen. Dabei sollte man immer wieder betonen, dass Stimming eine Ressource ist - nichts verwerfliches. Außerdem sollte immer wieder darüber gesprochen werden, dass jeder unterschiedlich ist und entsprechend auch andere Bedürfnisse hat. Die Chance, dass die Jugendlichen hinterher toleranter diesbezüglich sind, ist auf jeden Fall höher. Eben weil sie in eigener Erfahrung spüren konnten, dass das richtig angenehm sein kann, was ihr Mitschüler da tut.
Aufklärung
Besonders wenn eine konkrete Diagnose bekannt ist, kann man überlegen, ob eine Aufklärung der Klassenkameraden diesbezüglich sinnvoll ist. Das können sowohl die Eltern, als auch behandelnde Therapeuten des Kindes oder aber auch der Schulpsychologe machen. Auch hier kommt es darauf an, die Empathie der Jugendlichen durch eigene Erfahrungen zu stärken. Wie nimmt das autistische Kind die Welt wahr? Hierfür kann man den Jugendlichen mit Kopfhörern ein spezielles youtube-Video abspielen, welches die akustische Reizüberflutung darstellen (ich persönlich finde diese Darstellungen nicht so wirklich passend, aber um eine Idee zu vermitteln, sind sie allemal geeignet), dazu könnte man ihnen ein Wimmelbild vorlegen, auf dem sie bestimmte Dinge heraussuchen sollen (visuelle Reizüberflutung) und während dieses Prozesses könnte die Lehrerin immer wieder durch die Klasse gehen und mit verschiedenen Materialien unterschiedlicher Texturen über die Arme streichen (taktile Überreizung). Die Kombination aus allen drei Maßnahmen dürfte den Jugendlichen einen sehr guten Eindruck in die Wahrnehmung des autistischen Mitschülers geben und sehr wahrscheinlich ein größeres Verständnis dafür auslösen, wenn sich ebendieser Mitschüler mal anders verhält, als sie das eigentlich als normal und angemessen empfinden würden. Wichtig: die Eltern der Jugendlichen sollten unbedingt vorab über dieses Projekt informiert werden und ihre Einwilligung dazu geben. Außerdem soll Sinn und Zweck dieser "Übung" keinesfalls sein, dass die Jugendlichen hinterher ein schlechtes Gewissen haben oder für ihr vorheriges Verhalten bestraft werden sollen mit dieser Erfahrung - es geht rein um Erfahrungsvermittlung - um Unterstützung bei der Perspektivübernahme.
Zudem sollten die Jugendlichen mit dieser intensiven Erfahrung nicht allein gelassen werden, sondern unmittelbar nach dem Experiment sollte gemeinsam in der Klasse besprochen werden, welche Wahrnehmungen jeder gemacht hat. Außerdem sollten Informationen über Autismus vermittelt werden. Man kann auch gemeinsam einen der dutzenden Tests im Internet absolvieren, bei dem man die Emotionen anhand von Fotos identifizieren muss. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten!!
Fazit
Kinder und Jugendliche sind NICHT grausam. Sie werden nur im Laufe ihrer Entwicklung so sozialisiert, dass alles was vom Normalbild abweicht, negative Konsequenzen hat oder irgendwie komisch ist. Das Ergebnis darf niemals sein, dass die autistische Person lernt, ebenfalls ihre, für sie dringend notwendige Verhaltensweise (vorausgesetzt sie schadet niemandem anderen) zu unterdrücken, damit sie nicht gemobbt wird. Es gilt die Umwelt dafür zu sensibilisieren, dass jeder verschieden ist und verschieden nicht schlimm sein muss. Und ihnen zu vermitteln, warum diese Verhaltensweise eben notwendig ist.
Habt einen schönen Tag.
Anne
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