Autismus und Mobbing

Hallo ihr Lieben,

heute soll es um ein ernstes Thema gehen, das leider sowohl Neurotypen als auch Autisten betrifft: Mobbing. Warum habe ich mich ausgerechnet für ein solches Thema entschieden? Zum einen glaube ich, dass es wichtig ist, Menschen dafür zu sensibilisieren, denn je mehr man über etwas Bescheid weiß, desto eher besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man auch als Außenstehender solche negativen Gruppenprozesse erkennen und eingreifen kann. Zum anderen sind Menschen im Autismus-Spektrum aufgrund ihrer Besonderheiten leider relativ häufig "Opfer" solcher Attacken. Auch ich habe leider in meinem Leben bisher in fast allen Bereichen (Schule, Ausbildung, Beruf) immer wieder erlebt, dass Neurotypen wirklich großen Spaß daran haben, den Autismus auszunutzen um mich bis aufs Blut zu provozieren oder mir das Leben schwer zu machen. Ob man in meinem Fall von Mobbing sprechen kann, vermag ich nicht so wirklich einzuschätzen. 

Was ist Mobbing überhaupt?

Es gibt verschiedene Arten von Mobbing:

- verbales Mobbing: eine Person wird immer wieder beleidigt, kritisiert oder ausgelacht
- körperliches Mobbing: die Person wird geschlagen, getreten, geschubst, ...
- soziales Mobbing: der Betroffene wird bewusst ausgegrenzt und schlecht behandelt
- Cyber-Mobbing: spielt sich im Internet ab, die Person erhält fiese Nachrichten über soziale Medien oder erhält gemeine Mails, es werden Dinge über sie verbreitet, die nicht zutreffend sind

Dabei gilt häufig das Prinzip: alle (oder eine größere Gruppe) gegen einen (oder einen kleinen Personenkreis) und dauert über einen längeren Zeitraum an. Viele Betroffene bekommen von den Mobbern zu hören: "Du verstehst ja überhaupt keinen Spaß!", was die angesprochene Personen häufig zusätzlich verunsichert. Aber es handelt sich eben nicht um ein kleines Späßchen oder eine Neckerei, die bei Freunden ganz normal ist. Es beruht dabei nicht auf Gegenseitigkeit. Spaß hat nur der Mobber, der sich daran erfreut, wenn die andere Person wütend wird, verzweifelt, weint oder sich zurückzieht, weil es nicht mehr weiter weiß. Wenn das "Opfer" auf die Provokationen / Quälereien des Mobbers reagiert, führt das dazu, dass sich der Mobber selbst besser fühlt. Hat er es doch wieder geschafft, dieses armselige kleine Würstchen zum heulen zu bringen und die Peergroup beglückwünscht ihn dazu. Nicht unbedingt, weil sie das Verhalten ihres Kumpels wirklich gut finden oder weil sie das "Opfer" nicht leiden könnten und annehmen, dass es diese Tortur verdient hätte, sondern weil sie Angst davor haben, die nächsten zu sein. 

Meine Erläuterung ist bei weitem nicht vollständig, wenn man versuchen würde Mobbing vollumfänglich zu erklären, hätte man Stoff für eine monatelange Reihe an Beiträgen. Nun soll es ja aber heute darum gehen, warum ich glaube, dass Menschen im Autismus-Spektrum besonders häufig "Opfer" solcher Attacken werden und dazu kommt, dass es sich bei Mobbing um einen sozialen Gruppenprozess handelt. Naja, und Autisten sind jetzt nicht unbedingt die Besten, wenn es darum geht, soziale Prozesse zu entschlüsseln. Darum möchte ich es für diesen Moment jetzt bei dieser rudimentären Erklärung über Mobbing belassen und hoffe, dass ich euch dennoch ausreichend abgeholt habe und ihr euch ein bisschen darunter vorstellen könnt.

Erläuterungen für guten Umgang mit Autisten = Werkzeug 

Nach der Diagnosestellung bieten viele Psychologen ihren Klienten Handouts an, welche sie an ihr soziales Umfeld, also z. B. Arbeitgeber, Familie, Schule geben können, in denen dann erläutert wird, was autistische Menschen benötigen, um möglichst gut im Alltag zurecht zu kommen und zum Beispiel auf der Arbeit oder in der Schule bestmögliche Leistungen erbringen zu können. An sich eine super Idee, vor allem wenn man als autistische Person die direkte Kommunikation eher scheut und nicht so richtig weiß, wie sie ihre Bedürfnisse gut ansprechen kann. In vielen Fällen ist das auch absolut hilfreich. Im Berufsbildungswerk hatten wir im BvB in einer anderen Gruppe z. B. auch einen Autisten, der Schwierigkeiten mit seinen Gruppenmitgliedern hatte, weil sie seine Besonderheiten einfach nicht nachvollziehen konnten und sich über ihn lustig gemacht haben, oder ihn einfach merkwürdig fanden. Daraufhin hat sich eine Psychologin vom BBW einen Vormittag Zeit genommen und hat in der Gruppe Aufklärungsarbeit über die Autismus-Spektrums-Störung betrieben, sie war sozusagen so ein bisschen das Sprachrohr für ihren Klienten. Und es hat wirklich geholfen!! Das Miteinander in dieser Gruppe ist dadurch tatsächlich besser geworden. Auch ich habe bei meiner ehemaligen Arbeitsstelle bereits positive Erfahrungen mit einem solchen Flyer gemacht. Es gab Kollegen, die diese Anmerkungen als Anregung verstanden haben und ihren Umgang mit mir modifiziert haben, wodurch ich meine Fähigkeiten noch ein bisschen besser einsetzen konnte, weil die Aufgabenstellung autistengerechter wurde, etc. 

Solche Flyer oder meinetwegen auch Gespräche können jedoch auch ins Gegenteil umschlagen - denn wenn den Flyer eine Person in die Finger bekommt, die die autistische Person nicht leiden kann, dann bekommt sie das perfekte Werkzeug in die Hand um ihr das Leben schwer zu machen. Auch das habe ich leider erlebt. Denn es gab auch durchaus zwei Kolleginnen, die mich nicht mochten, was ja auch durchaus in Ordnung ist, nicht jeder mag sich. Nachdem ich aber die Flyer verteilt hatte, ist unser Verhältnis noch schlimmer geworden. Sie hat dann nämlich konsequent immer und immer wieder genau das Gegenteil von dem getan, was ich benötige. So hat sie beispielsweise immer extra viel Lärm gemacht, wenn ich im Raum war (Aktenschränke auf und zu gedonnert, mit 200 db gelocht, ...), hat mich konsequent gezwungen immer bei offener Tür zu arbeiten, obwohl es mir aufgrund des Trubels auf dem Gang wirklich schwer gefallen ist (wir waren eine relativ große Abteilung), ... Man sollte also wirklich schauen, wem man solche Informationen gibt und bei wem man es lieber bleiben lässt.

In der eigenen Welt versinken = Verpassen notwendiger Informationen

Machen wir uns nichts vor: Menschen im Autismus-Spektrum passiert es gelegentlich, dass sie sich von der Außenwelt gewissermaßen abkoppeln und für eine Zeit lang nicht so wirklich mitbekommen, was gerade um sie herum passiert. Sei es, weil sie gerade etwas spannenderes entdeckt haben, dem sie dann nachgehen wollen / müssen oder weil sie aufgrund von Reizüberflutung einfach keine Kapazitäten mehr haben und das Gehirn quasi den Not-Aus-Knopf drückt. Natürlich besteht dann besonders im Kontext Schule häufiger das Problem, dass man aufgerufen wird und eigentlich keine wirkliche Idee davon hat, was die Lehrkraft gerade von einem will. Häufig ist es dann so, dass einen alle angucken und darauf warten, was nun passieren wird, es herrscht also sozialer Druck. Und im Zuge dessen passiert es dann eben mal dass man, weil man vielleicht noch ein bisschen in seiner Welt gefangen ist, nicht auf das eigentlich vorhandene Wissen zugreifen kann und dann entweder passen muss (also nicht antworten kann), oder vielleicht falsch antwortet. Schon allein das sorgt häufig dafür, dass die Mitschüler um einen herum lachen. Ist ja wieder typisch, dass die Paula wieder keinen Plan hat, worum es geht. Das sie selber vielleicht auch ab und zu keine Ahnung haben, worum es geht, ... Naja lassen wir das. Dann kommt es aber auch immer drauf an, wie die Lehrkraft mit der Situation umgeht. Wenn sie daraufhin nämlich anfängt den / die Schüler(in) zu gängeln und mit einer Frage nach der anderen bombardiert, obwohl deutlich sichtbar ist, dass er / sie gerade überfordert ist, macht es das für die Klassenkameraden natürlich noch lustiger. Schließlich sind sie in dem Moment fein raus... 

Fiese Sprüche werden ggf. nicht erkannt - Reaktionen undurchschaubar

Ein weiterer Punkt ist, dass Menschen mit einer Störung aus dem autistischen Formenkreis häufig Schwierigkeiten haben, Sprichwörter, Ironie oder Sarkasmus als solche zu identifizieren und zu verstehen. Ebenso häufig kann mit Körpersprache nur wenig angefangen werden. Das kann dazu führen, dass ein Mobber eine fiese Stichelei gegenüber der autistischen Person macht, diese aber in Ironie verpackt. Der Autist denkt dann: "Hey, der ist aber nett!", im Hintergrund fangen aber die neurotypischen Mitmenschen an, sich hinter vorgehaltener Hand kaputt zu lachen. Ihr könnt euch vermutlich vorstellen, wie massiv irritierend das ist, wenn alle lachen und man hat keinen Schimmer, warum sie das tun. Und wenn das entsprechend häufig passiert, kommt es dann natürlich dazu, dass die betroffene Person irgendwann bei jedem Lachen das sie hört denkt: "Was hab ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?" Die Erfahrung mit dem Lachen ohne (für mich) erkennbaren Grund habe ich in der Berufsschule gemacht. Wir hatten einige Umschüler in der Klasse, die die ganze Maßnahme eher weniger ernst genommen haben. Sie haben sich ständig zueinander umgedreht, sich etwas zugeflüstert und dann gekichert. Ich war irgendwann dauergestresst, weil ich einfach keine Ahnung hatte, was denn jetzt zum Henker schon wieder so lustig sein soll. Es ist mir unfassbar auf den Geist gegangen. 

Starke Reizoffenheit = viel mehr Angriffspunkte, durch die man gestresst werden kann

Einige meiner Mitauszubildenden fanden es unfassbar witzig, sich anzuschleichen und mich dann unmittelbar neben meinem Ohr mit "NA ANNE?" anzusprechen. Ich hätte den Leuten jedes Mal aufs Neue eine reinhauen können. Vor allem weil ich irgendwann permanent auf Hab-Acht-Stellung war, ich konnte ja nicht einschätzen, wann sich das nächste Mal wieder jemand anschleicht. Dieses laute urplötzliche Sprechen direkt ins Ohr waren fast körperliche Schmerzen und ich habe mich jedes Mal so unfassbar erschrocken. Oder man wurde mit Papierkügelchen beworfen, was besonders im Berufsschulunterricht, wo ohnehin schon immer ein enormer Lautstärkepegel herrschte wegen den Umschülern, ein besonderes "Bonbon" war, um den Zustand der Reizüberflutung noch schneller zu erreichen. Oder man warf mit dem Ball im Raum umher, obwohl mehreren Menschen (inkl. mir) eindeutig anzumerken war, dass es bei ihnen für massiven Stress gesorgt hat. Im Prinzip sind Menschen im Autismus-Spektrum sehr "pflegeleicht", man kann mit ihnen eigentlich relativ gut umgehen und klar kommen, wenn man ihre Besonderheiten in der Wahrnehmung berücksichtigt und sie nicht absichtlich mit solchen Triggern quält. 

Stimming wird ggf. als merkwürdig betrachtet

Ich gebe es ja zu: manche autistische Menschen betreiben Stimmingmaßnahmen, die auf den ersten Blick vielleicht etwas merkwürdig erscheinen können, wie z. B. mit dem Oberkörper schaukeln, mit den Armen flattern, an der Kleidung kauen, ... Wenn es andere in ihrem Wohlbefinden nicht beeinträchtigt und keinen Krach verursacht, der andere Menschen zum Beispiel davon abhält, sich angemessen auf seine Aufgaben zu konzentrieren, bin ich der Meinung: was hilft ist erlaubt. Und gerade in stressigen Situation benötigen autistische Menschen Stimming einfach unglaublich dringend, um überhaupt mit der Situation umgehen zu können. Leider gibt es immer wieder Menschen, die sich über (auch unauffälliges) Stimming lustig machen, weil sie es einfach in ihrem Alltag nicht oft beobachten können. Hier hilft meines Erachtens nur Aufklärungsarbeit und die Erklärung wie notwendig diese Verhaltensweisen sind. 

Fazit

Ihr seht: es gibt leider zahlreiche Situationen, die durch den Autismus entstehen und Mobbern (oder einfach Menschen, die gern andere Leute provozieren) in die Karten spielen, weil sie zahlreiche Anknüpfungspunkte finden, mit denen sie uns das Leben schwer machen können. Was mir aber ganz wichtig ist zu betonen: Liebe Betroffene: ihr seid nicht Schuld. Ihr könnt nichts dafür, dass ihr autistisch seid und es ist daher auch nicht euer Fehler, wenn die Auswirkungen des Autismus von Fieslingen ausgenutzt werden. Die Schuld liegt bei den Menschen, die provozieren, drangsalieren, stänkern, nennt es wie ihr wollt. Vertraut euch Bezugspersonen an - es gibt immer eine Möglichkeit, die Situation zumindest soweit zu entschärfen, dass ihr wieder einigermaßen entspannt leben könnt. Habt Vertrauen. 

Anne 

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