Momente: ungeahntes Wissen - ein Beispiel für die Wahrnehmung von Autisten

Hallo ihr Lieben!

Gestern war ich mal wieder mit einem guten Freund im Zoo. Während wir uns so unterhalten haben, habe ich, an unterschiedlichsten Stellen immer wieder Wissen "ausgespuckt", das mir urplötzlich eingefallen ist. Er war am Schluss wirklich ziemlich überrascht und fragte mich, wo ich diese ganzen Fakten her habe. So wirklich erklären konnte ich mir das selbst nicht. Ein ähnliches Beispiel: wenn mich auf Arbeit eine Kollegin fragt, in welche Hortgruppe ein Schüler gehört, habe ich nahezu immer sofort den Erzieher "griffbereit", und der Klassenlehrer kommt gleich mit an die Oberfläche. Ich könnte auch sofort sagen, wie das jeweilige Kind geschrieben wird. Nun könnte man sagen: "Naja, sie arbeitet halt täglich mit den Namen." Ja, stimmt. Aber ich arbeite tatsächlich nur ganz selten mit den Gruppenlisten, da ich mich meistens nur mit einem Kind beschäftige, bei dem ein entsprechender Sachverhalt an mich herangetragen wird. Und: sogar unsere Hortleiterin, die tagtäglich mit den Kindern in irgendeiner Form zu tun hat, muss ganz häufig auf eine Gruppenübersicht schauen. Und bei den Erziehern oder Therapeuten kommt es immer mal wieder vor, dass sie sich die korrekte Schreibweise der Namen einfach nicht merken können. Das ist gar keine Kritik an den entsprechenden Kollegen - ganz im Gegenteil, es ist einfach nur der Beweis dafür, dass es ganz normal ist, dieses Wissen nicht "gespeichert" zu haben. Nicht umsonst gibt es entsprechende Listen, mit denen man nachschlagen kann. Warum also habe ich Wissen, bei dem ich überhaupt nicht zuordnen kann woher ich das weiß, oder datenbankähnliche Strukturen in meinem Kopf, die es mir ermöglichen, zu einer Person dutzende Fakten auszuspucken wenn man mich danach fragt? 

Mein Erklärungsansatz ist die Besonderheit der autistischen Wahrnehmung. Das Gehirn eines Menschen mit Autismus ist vergleichbar mit einem Schwamm. Alles was an Reizen (Geräusche, Gerüche, Geschmäcker, optischen Reizen und haptischen Reizen - also was man z. B. auf der Haut wahrnimmt) von der Außenwelt auf das Gehirn trifft, wird aufgesogen wie Wasser in einem Badeschwamm. Das neurotypische Gehirn ist dagegen wesentlich pragmatischer veranlagt. Von ihm werden alle eingehenden Reize auf Notwendigkeit überprüft. Alle Sinneseindrücke, die es für nicht relevant hält, kommen überhaupt nicht im Bewusstsein des Menschen an. Um beim Bild des Schwammes zu bleiben: auch bei neurotypischen Gehirn werden erst einmal alle Eindrücke aufgesogen - der Unterschied zum autistischen Gehirn ist aber, dass im neurotypischen Gehirn der Schwamm ausgewrungen wird. Der Mensch bekommt also nur das ins Bewusstsein, was nach dem auswringen noch übrig geblieben ist. Dieser Step fällt bei Menschen mit einer Autismus-Spektrums-Störung. Es ist ein Mythos, dass autistische Menschen ALLES und vor allem in gleicher Konsistenz wahrnehmen. Das funktioniert überhaupt nicht, das Gehirn wäre gnadenlos überfordert. Was aber stimmt: es kommen deutlich mehr Reize an, als das bei Neurotypen der Fall ist. 

Mein Eindruck ist, dass Menschen mit Autismus teilweise gar nicht in der Lage sind zu realisieren, was sie alles wahrnehmen können, weil sie mit der Verarbeitung der Eindrücke zu stark beschäftigt sind. So kann es beispielsweise sein, dass ich im Zoo an einem Schild vorbeilaufe und eigentlich nur nach einem bestimmten Fakt suche, der mich gerade interessiert, aber das Gehirn nimmt gleichzeitig und automatisiert auch noch die anderen Fakten auf dem Schild auf und legt sie ab, ohne dass ich das bewusst steuern kann, weil es eben nicht filtert, was gerade interessant ist und was für mich eigentlich völlig irrelevant ist. Versucht es doch mal - fragt den Autisten in eurem Umfeld (oder euch selbst, wenn ihr autistisch seid) irgendetwas aus den unterschiedlichsten Bereichen. Ihr werdet staunen, wie viel Wissen abgelegt ist, von dem die Autisten gar keine Ahnung haben, woher sie es haben... Es ist wirklich spannend!

Startet gut in die neue Woche!
Anne

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