Praxistest eines sensory-friendly-Museum (Bach-Museum Leipzig)

Hallo ihr Lieben,

vor zwei Jahren habe ich bereits einen Beitrag zu einem Pilotprojekt des Leipziger Vereins "LunA - Leipzig und Autismus" geschrieben. Dieser hat das Prädikat "Sensory friendly" (sinnesfreundliche Umgebung)" ins Leben gerufen. Damit ausgezeichnet werden alle Freizeiteinrichtungen, die Bedingungen aufweisen, die für Menschen im Autismus-Spektrum, aber auch andere Personengruppen mit besonderen Bedürfnissen im Bereich der Wahrnehmung (z. B. Personen mit psychischen Erkrankungen) günstig sind. Besonders viel Wert wird dabei auf die Punkte: 

- flexible Kommunikationsformen
- Planbarkeit
- Abmilderung von äußeren Reizen

gelegt. Ich war am Sonntag nun im Bach-Buseum. Anhand dieses Museums hat LunA präsentiert, was Freizeiteinrichtungen tun können, um auch für Menschen mit wahrnehmungsspezifischen Besonderheiten attraktiv zu sein. Heute möchte ich darauf eingehen, wie gut das aus meiner Sicht, also aus der Wahrnehmung einer betroffenen Person, gelungen ist. Dabei werde ich mich ebenfalls an den drei Punkten orientieren, die LunA als besonders wichtig erachtet hat.

Flexible Kommunikationsformen

Häufig geht die Autismus-Spektrum-Störung mit Schwierigkeiten in der Kommunikation einher. Das kann bedeuten, dass Betroffene in manchen Situationen oder auch generell nicht sprechen (können), oder dass sie vielleicht Probleme haben, die für sie relevanten Informationen herauszufiltern, sei es nun in einem Gespräch oder wenn sie einen Text vor sich haben. So benötigen manche Autisten für ihre Kommunikation Bildkarten. Diese sind meistens mit einfachen schriftlichen Sätzen, sowie einem Piktogramm / Foto ausgestattet. So können Betroffene ihre Bedürfnisse kommunizieren, ohne das verbal zu tun. Auf der Website des Bach-Museums werden solche Bildkarten kostenfrei zur Verfügung gestellt, um diese bei einem Besuch eventuell einsetzen zu können. Das finde ich einen super Service! Auch an Menschen, die Bilder zur Strukturierung einer Aktivität benötigen, ist gedacht worden. So gibt es von den wichtigsten Ausstellungsgegenständen Fotos, die ebenfalls ausgedruckt werden können. Dazu wurde auch eine Vorlage zur Verfügung gestellt, die ähnlich der TEACCH-Methode gestaltet ist. Auf der linken Seite kann man die Bilder der einzelnen Ausstellungsobjekte kleben, welche man besichtigen möchte, auf der rechten Seite kann man abhaken, was man erledigt hat. So ist es zum Beispiel auch möglich, zu gezielten Ausstellungsteilen zu gehen, die das Interesse wecken, ohne alles abklappern zu müssen. 

Laut LunA sollten im Jahr 2022 alle Mitarbeiterinnen des Museums für die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Wahrnehmungsbesonderheiten geschult worden sein. Inwiefern das erfolgt ist, kann ich nicht verifizieren, da ich "undercover" in dem Museum war und nicht mit Bildkarten, etc. gearbeitet habe. An sich finde ich das aber super sinnvoll und clever mitgedacht, denn was nützen Hilfsmittel wie Kommunikationskarten, wenn die Mitarbeiter den Betroffenen dann komisch angucken und nichts damit anfangen können? Dem Punkt "Flexible Kommunikationsformen" wurde auf jeden Fall hervorragend Rechnung getragen.

Planbarkeit

Ich habe noch kein Museum besucht, bei dem man sich derart gut im Vorfeld darüber informieren konnte, was einen erwartet. Auf der Internetseite des Bach-Museums sind mehrere Dokumente online gestellt, die einen ausführlichen Überblick darüber geben, was alles besichtigt werden kann, was berücksichtigt werden muss (Rucksäcke und Jacken müssen abgegeben werden, der Spind benötigt keine Münzen, sondern funktioniert über einen Schlüssel), wie sieht das Museum aus (es sind tatsächlich Fotos der einzelnen Räume enthalten, was unfassbar hilfreich ist, weil man so vor Ort weniger Eindrücke verarbeiten muss) und wo welche Klang-, Temperatur- und Lichtverhältnisse sind. Man kann sich so wirklich einmalig darauf vorbereiten, was einen vor Ort erwartet. Auch ein Plan, in welcher Reihenfolge die Räume am besten besichtigt werden sollten, ist dabei. Der Punkt Planbarkeit ist absolut erfüllt. 

Abmilderung von äußeren Reizen

Bei dem Punkt weiß ich nicht so genau, was gemeint ist. Dadurch dass es aber ein Dokument gibt, auf dem ein Raumplan ist, der mit Informationen zu Klimaanlage, Fenster, Vorhänge, Klanginstallationen, etc. enthält, kann man relativ gut entscheiden, von welchen Räumen man sich besser fernhält, weil man die Bedingungen darin nicht so gut ertragen kann. Außerdem gibt es die Möglichkeit eines kostenlosen Audio-Guides (auch in leichter Sprache), sodass man sich von den Umweltreizen ein bisschen abschirmen kann. Ansonsten hat man tatsächlich wenig Chancen, die Reize vor Ort einzudämmen, da nahezu überall Musik läuft. Manche lassen sich auslösen, sie beginnen also erst, wenn man sie aktiv antippt, etc. Was man selber kann, ist aber logischerweise auch anderen Besuchern möglich, sodass man schlecht steuern kann, wann welche Musik läuft. Es ist aber eine Emailadresse hinterlegt, wo man sich vorab beraten lassen kann, wann voraussichtlich viele Museumsbesucher vor Ort sind, etc. Außerdem kann man, mit Rücksprache der Aufsicht, das Museum für eine längere Pause verlassen und später wiederkommen. Diesen Service gibt es ja nun definitiv nicht überall. Im Rahmen des Möglichen hat man auch diesen Punkt also relativ gut umgesetzt.

Sonstige Anmerkungen / Fazit

Ich finde es richtig prima, dass man sich darüber Gedanken gemacht hat, was autistische Menschen bzw. andere Personen mit Besonderheiten in der Wahrnehmung benötigen, damit ein Museumsbesuch für sie attraktiv bzw. überhaupt erst möglich wird. Denn es gibt so viele Punkte, an denen Betroffene im Alltag scheitern, weil da einfach nicht auf ihre Bedürfnisse geachtet wurde. Umso schöner ist es, wenn dies im Freizeitbereich getan wird. Es könnte allerdings noch ein bisschen offensichtlicher auf der Website zu erkennen sein, es sind ziemlich viele Klicks nötig, um zu den hilfreichen Dokumenten zu gelangen und wer nicht weiß, dass das Museum sensory-friendly ist, wird man vermutlich auch nicht unter dem Punkt Barrierefreiheit suchen. 

Ein bisschen traurig finde ich, dass das Bach-Museum offensichtlich bisher die einzige Einrichtung deutschlandweit ist, die mit diesem Prädikat geführt wird. Es ist wirklich nicht schwer, sein Museum sinnesfreundlicher zu gestalten und ich bin mir sicher, dass LunA auch bei der Umsetzung beraten und unterstützen würde. Aber es fehlt vermutlich auch schlicht an dem Wissen, dass es diese besonderen Bedürfnisse gibt, weswegen man gar nicht auf die Idee kommt, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Wenn es dann ein paar mehr werden, würde ich mir außerdem eine Website wünschen, auf der klar und übersichtlich aufgelistet ist, welche Einrichtungen das schon umsetzen, sodass man als Betroffener aktiv dorthin gehen kann. 

Ausblick

In den nächsten Wochen werde ich Beiträge zum Thema Autismus und Psyche veröffentlichen. Dabei wird es unter anderem auch um Selbstverletzung, Depression und Suizidalität gehen. Wer mit diesen Themen nicht gut zurecht kommt, sollte diese Beiträge entweder überspringen oder zumindest nicht allein lesen.

Habt einen schönen Tag!
Anne

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