Autismus und Klassenfahrten

Hallo ihr Lieben!

Nun ist schon länger kein Beitrag mehr auf diesem Blog erschienen. Aber mich gibt es noch, mir ging es nur in den vergangenen Monaten nicht gut und außerdem hat mir ein bisschen die Kreativität gefehlt. Es wird mir leider nicht mehr gelingen, wöchentliche Beiträge hochzuladen, aber ich bemühe mich, nun wieder regelmäßiger auf dem Blog aktiv zu sein. Heute mal wieder ein Beitrag für Eltern / Betreuer autistischer Kinder / Jugendlicher. 

Jeder der die Schule besucht hat, ist mit dem Thema schon einmal in Berührung gekommen: Klassenfahrten. Für die meisten Jugendlichen ein Hochgenuss: rund um die Uhr Zeit mit den besten Freunden, keine elterliche Aufsicht, keine Schule im eigentlichen Sinne, neue coole Aktivitäten, ... Aber auch aus pädagogischer Sicht sind Klassenfahrten tatsächlich sinnvoll. Die Lehrer lernen ihre Schüler mit ihren Eigenheiten besser kennen und die Klasse wächst durch die intensive gemeinsame Zeit besser als Team zusammen. Eigentlich also ein geniales Vorhaben. Viele autistischen Kinder sehen das allerdings völlig anders. Die Ankündigung einer Klassenfahrt führt bei vielen Betroffenen nicht etwa zu Jubelstürmen, sondern sorgen erst einmal für Stress und Angst. Ich will damit auf keinen Fall sagen, dass alle Autist: innen Probleme mit Klassenfahrten haben. Autismus ist eine Spektrumsstörung - kein Autist ist wie der andere. Heute geht es mir aber um die Fraktion, die von Klassenfahrten stark herausgefordert sind. Denn grundsätzlich bergen Klassenfahrten sogar ziemlich viele Punkte, die für autistische Kinder und Jugendliche relativ schwierig sind:

- (meist) völlig fremde Umgebung
- Heimweh (ja, sogar Jugendliche in der Pubertät können Heimweh empfinden)
- Veränderung des üblichen Tagesablaufs 
- erhöhtes Konfliktpotential - nicht alle Kinder verstehen sich traumhaft
- kaum Gelegenheit für Rückzug
- andere Lebensmittel als sonst
- ...

Klassenfahrten bedeuten in erster Linie Veränderung der Gewohnheit, etwas womit autistische Kinder in aller Regel eher schlecht klar kommen. Ist doch ganz einfach zu lösen, oder? Geben wir einfach der Klassenlehrerin Bescheid und sagen, dass unser Kind nicht mit zur Klassenfahrt fährt. So einfach ist es leider nicht.

Klassenfahrten sind grundsätzlich Pflicht!

Für den Bereich Schule gibt es keine deutschlandweite Gesetzesgrundlagen. Alle Bundesländer entwerfen ihre eigenen Rechtsgrundlagen zu diesem Bereich. In einem Punkt sind sich aber alle Bundesländer einig: Klassenfahrten zählen zu den sogenannten schulischen Veranstaltungen und sind grundsätzlich für alle Schüler erst einmal verpflichtend. Zunächst einmal halte ich diese Entscheidung für sinnvoll. Andernfalls würden nämlich vermutlich vielen Kindern wertvolle Erlebnisse und Erfahrungen fehlen. Die Pflicht der Teilnahme sorgt zum Beispiel dafür, dass Eltern eine Grundlage haben, um beim Amt eine finanzielle Unterstützung für die Kostenbewältigung dafür zu beantragen. Außerdem verhindert das, dass Jugendliche, die vielleicht einfach mal eine Woche frei haben wollen sagen, dass sie keine Lust auf die Klassenfahrt haben und dadurch zu Hause bleiben können. Das sind nur zwei Beispiele, aber ich vermute, ihr habt noch ausreichend eigene Gedanken dazu, weswegen es schon sinnvoll ist, dass die Klassenfahrt keine freiwillige Aktion ist. Für Kinder, die nun stärker mit einer solchen Fahrt zu kämpfen haben, gibt es aber natürlich auch eine Lösung. In Ausnahmefällen können Kinder von der Teilnahme an dieser Pflichtveranstaltung befreit werden. Das muss auf Antrag der Eltern erfolgen. Ich kann euch beruhigen: es ist relativ wahrscheinlich, dass Klassenlehrer und Schulleiter i. d. R. Verständnis dafür haben, wenn man ihnen erklärt, dass es durch den Autismus (oder anderen Gründen) für das Kind mehr Stress als positive Erfahrungen bedeuten würde, wenn man es zwingt zur Klassenfahrt zu fahren. Die Chance, dass der Befreiung stattgegeben wird, ist damit relativ hoch. Es ist allerdings durchaus möglich, dass das Kind dann ersatzweise eine andere Klasse besuchen muss und dort unterrichtet wird. 

Es gibt jedoch auch den Fall, dass die Kinder selber gern versuchen möchten, an der Klassenfahrt teilzunehmen, aber keine Idee haben, wie sie das aufgrund der zahlreichen Herausforderungen bewerkstelligen sollen. Darum soll es in dem heutigen Blogbeitrag gehen. Was für euch geeignet ist, wisst ihr ja dann am besten. 

Bei Ziel in der Nähe: Tagsüber bei Klasse, nachts zu Hause

Wenn das Ziel der Klassenfahrt in der Nähe ist und das Kind sich mit seinen Klassenkameraden grundsätzlich gut versteht, kommt vielleicht diese Lösung in Betracht. Das Kind wird von den Eltern jeden Tag zur Herberge gebracht, es nimmt ohne Eltern den ganzen Tag an den Mahlzeiten und Veranstaltungen teil und wird abends wieder abgeholt. Das sorgt dafür, dass das Kind Zeit mit seinen Klassenkameraden verbringen und damit besser mit ihnen zusammenwachsen kann, ohne das Projekt wegen den bevorstehenden Übernachtungen direkt abzulehnen. Vielleicht ergibt es sich ja dann auch ganz zufällig, dass das Kind vielleicht doch mit seinen Freunden da bleiben möchte...? 

Eltern übernachten in der Nähe

Wenn das Kind schon selbstständiger ist und sich grundsätzlich die Übernachtung wünschen würde, aber noch unsicher ist, könnten die Eltern sich zum Beispiel ein Zimmer in derselben Jugendherberge oder in der unmittelbaren Umgebung buchen und quasi auf Rufbereitschaft stehen. Grundsätzlich wird versucht, dass das Kind zusammen mit seinen Klassenkameraden übernachtet, wenn es aber nicht klappen sollte, kann das Kind den Sicherheitsjoker ziehen und doch bei den Eltern übernachten, früh morgens geht es dann wieder in den Klassenverband. Wichtig wäre hier natürlich, dass die Klassenlehrerin zunächst versucht, das Kind zu beruhigen. Wenn sie beim kleinsten jammern direkt sagt: "Okay, wir rufen Mama und Papa an, damit sie dich abholen kommen", hat das Kind keine Chance, die Erfahrung zu sammeln, dass es vielleicht doch ohne die Eltern mal irgendwo übernachten kann. Vielleicht könnte man als Zwischenebene auch vereinbaren, erst einmal miteinander zu telefonieren, bevor der "Umzug" zu den Eltern erfolgt. Es sollte grundsätzlich alles versucht werden, damit das Kind es schafft, die Nacht mit den anderen Kindern zu verbringen. 

Eigenes Bettzeug, typische Nahrungsmittel mitnehmen

Wenn vor allem die vielen Veränderungen schwierig sind, kann man zum Beispiel das eigene Bettzeug mitgeben. Bei manchen Jugendherbergen ist es ohnehin erwünscht, dass eigene Decken- und Kissenbezüge mitgebracht werden, wenn es nicht ausdrücklich erwähnt wird, wird es aber auch niemanden stören, wenn man es einfach macht. Dem Kind könnte es helfen, weil es so nicht auch noch mit dem fremden Geruch des Waschmittels zu kämpfen hat, oder mit der anderen Textur des Bettbezugs, sondern hat schon etwas gewohntes erprobtes. Der andere Punkt sollte mit der Jugendherberge vorher abgesprochen werden. Gerade Kinder, die selektiv essen, haben häufig Probleme, etwas zu essen zu finden, wenn es nicht genauso aussieht, wie sie es sonst kennen. Wenn man mit der Herbergsleitung spricht, ist es ziemlich sicher kein großes Problem, wenn das Kind Produkte, die es tagtäglich isst, einfach mitbringt. Und wenn man mit den Mitarbeitern vorab spricht, ist es sicher machbar, dass täglich zum Abendbrot trockene Nudeln gekocht werden, wenn eben nichts anderes geht. Man muss es nur kommunizieren. 

Ausreichend Rückzug ermöglichen

Besonders anstrengend ist bei einer Klassenfahrt, dass man eigentlich permanent unter Dauerbeschuss von Reizen steht. Im Gegensatz zum normalen Schultag, nach dem sich das Kind zurückziehen kann, hat es die ganze Zeit Gesellschaft um sich und ist im Prinzip gefordert, an Angeboten für die gesamte Klasse teilzunehmen. Gerade für autistische Menschen ist es aber immens wichtig, dass sie ausreichend Ruhezeiten haben, in denen sie sich von den Reizen des Alltags erholen können. Wichtig ist daher, dass das Kind zum Beispiel ein Einzel-, bzw. maximal ein Doppelzimmer bekommt. Außerdem sollte genug Betreuungspersonal mitfahren, damit der Schüler frei entscheiden kann, bestimmte Aktivitäten nicht mitzumachen, sondern sich zurückzuziehen, ohne auf sich allein gestellt zu sein. Eine andere Variante ist noch einfacher und kommt sicher auch einigen neurotypischen Kindern zu Gute: es werden von Anfang an weniger Aktivitäten und Gruppenangebote geplant und stattdessen Ruhephasen in den Tagesablauf integriert. Natürlich verlangt man von einem 8. Klässler nicht mehr, dass er Mittagsschlaf macht. Aber das ist auch gar nicht notwendig. Es reicht völlig, wenn man sagt, dass die nächste Stunde zur freien Gestaltung gedacht ist, sprich: die Kinder entscheiden für sich, was sie mit der Zeit anfangen. Es fällt dann also im Klassenverband gar nicht unbedingt auf, wenn der autistische Klassenkamerad sich zurückzieht und zum Beispiel Tagebuch schreibt oder etwas liest. Weil es auch viele andere Kinder geben wird, die eine ähnliche Aktivität wählen. 

Tagespläne geben auch auf Klassenfahrten Struktur

Wenn das Problem im veränderten Tagesablauf liegt, der für das autistische Kind noch dazu schwer vorhersehbar ist, kann die Lehrkraft relativ einfach Abhilfe schaffen, indem sie dem Kind einen, auf die Klassenfahrt angepassten, Tagesplan zur Verfügung stellt. Die meisten Aktivitäten werden für eine bestimmte Uhrzeit geplant und die Lehrkräfte planen um diese Aktivitäten herum, wann die Kinder aufstehen, wann es Frühstück, Mittag und Abendessen gibt. Verschriftlicht man diese Eckpunkte, kann man autistischen Kindern schon viel Sicherheit geben. Zusätzliche Sicherheit gewinnt das Kind, wenn gewohnte Rituale die es von zu Hause kennt, so weit wie möglich auch auf Klassenfahrt durchgeführt werden. Die Eltern sollten sich also frühzeitig mit der Klassenlehrerin zusammensetzen und beschreiben, welche Rituale zu Hause morgens und abends durchgeführt werden. Vieles kann, wenn vielleicht auch in leicht abgewandelter Form, an jedem beliebigen Ort genauso durchgeführt werden. Wenn das Kind alt genug ist, sollte man es dabei unbedingt mit einbinden, da die erwachsenen Bezugspersonen teilweise gar nicht so richtig bemerken, welche Details im Ritual zwingend erforderlich sind und was eigentlich nur zufällig immer gleich abläuft. 

Training und Vorbereitung ist alles!

Eine Klassenfahrt wird nicht erst 2 Tage vor Beginn angekündigt. In der Regel erfahren die Eltern bereits zu Beginn des Schuljahres oder zumindest mehrere Monate im Voraus, wenn ein solches Vorhaben angedacht ist. Es ist also noch ausreichend Zeit, das Kind auf dieses besondere Event vorzubereiten. So kann man zum Beispiel als Familie selbst einen Kurztrip irgendwo hin machen und dabei schon mal in einer Jugendherberge übernachten. Wenn das Klassenfahrtziel nicht ganz so weit weg ist, kann man vielleicht sogar versuchen, direkt in der geplanten Jugendherberge zu übernachten und sie oder zumindest die nähere Umgebung schon mal unter die Lupe zu nehmen und sich damit vertraut zu machen. Vielleicht gibt es auch Bilder auf der dazugehörigen Website, sodass man sich schon mal einen ersten Eindruck verschaffen kann. Alles was im Vorfeld erkundet wird, überfordert dann in der ohnehin schon herausfordernden Situation der Klassenfahrt nicht mehr, weil es schon bekannt ist. Ein unbekannter Faktor weniger. 

Außerdem kann das Kind schon mal bei anderen Familienangehörigen, wie zum Beispiel Onkel/Tante/Oma/Opa oder einem regelmäßigen Spielpartner des Kindes probeweise übernachten. So kann es sich in halbwegs gewohnter Umgebung schon mal vorsichtig an das woanders schlafen gewöhnen. Vor der Klassenfahrt sollte man das nahende Event visualisieren, also zum Beispiel im Kalender den Tag einkreisen wo es losgeht und das Kind streicht jeden Tag ein Kästchen durch. Außerdem sollte das Kind an allen Vorbereitungen zur Klassenfahrt beteiligt werden, also zum Beispiel gemeinsam mit euch die Tasche packen. Jede Überraschung die vermieden werden kann, sollte vermieden werden. Umso weniger gestresst ist euer Kind dann vor Ort.

Fazit

Auch wenn Klassenfahrten für die meisten autistischen Menschen erst einmal relativ herausfordernd sind, gibt es einige Möglichkeiten, ihnen diesen mehrtägigen Ausflug schmackhaft zu machen. Mag es dem Kind auch erst einmal Angst machen, sollte man trotzdem versuchen, die Klassenfahrt irgendwie zu realisieren, da sie für die Teambildung in der Klasse und natürlich auch für die Selbstständigkeit des Kindes immens wichtig ist. 

Kommentare