Übernachten in fremden Umgebungen - Tipps und Tricks

Hallo ihr Lieben!

In vielen Bundesländern fangen demnächst die Ferien an oder haben sogar schon begonnen. Für viele neurotypische Menschen ein optimaler Zeitpunkt um einen Urlaub mit der ganzen Familie zu machen. Für viele Familien mit autistischen Kindern (oder sonstigen Familienmitgliedern) ist das dagegen gar nicht mal so leicht, weil diese das Übernachten in fremder Umgebung ablehnen. Ein Urlaub ist somit also eigentlich quasi unmöglich - wenn man am Zielort nicht übernachten kann, kommt man halt nicht weit und es bleiben nur Tagesausflüge. Selbstverständlich trifft das nicht auf alle autistischen Menschen zu - manche haben mit dem Übernachten in unbekannten Umgebungen auch keine großen Probleme, aber es trifft eben leider doch auf viele Autist: innen zu. Ich möchte allen Familien die das betrifft aber Mut machen - ich gehöre selber zu den Menschen, die es normalerweise grundsätzlich ablehnen in den Urlaub zu fahren und nicht mal bei Freunden übernachten. 
  • zu Hause
  • bei Oma / Opa (ungern!!)
  • früher, aller 14 Tage bei Papa - jetzt wohnt er woanders, darum schlafe ich dort nicht mehr so gern
  • wenn es mir nicht gut geht: bei Mama
  • früher: im Wohnheim (während der Berufsausbildung)
  • früher: bei meinem Expartner
Also eigentlich kann man zusammenfassen: die einzigen Schlafspots die ganz gut gehen / gingen sind: zu Hause, im Wohnheim, 14-tägig am Wochenende bei Papa. Wochenende und Papa gingen nur so prima, weil ich die Schlafumgebung in- und auswendig kannte. Ansonsten lehne ich sämtliche Situationen, wo ich woanders übernachten müsste, nach Möglichkeit ab. Jetzt aber das Überraschende: ich war dieses Jahr 4 Tage im Urlaub in Tschechien und habe neulich sogar bei meiner Freundin übernachtet!! Es ist nicht unmöglich, dass es auch bei euren Familienmitgliedern einmal klappt! Ich möchte euch heute ein paar Anregungen geben, was ihr tun könnt, dass sich der autistische Mensch vielleicht doch in der Lage dazu sieht, in den Urlaub zu fahren oder in einer anderen Situation außerhäusig zu übernachten. Wichtig: es sind nur Anregungen - keine Garantie dafür, dass das für den Autist eures Vertrauens auch so gut funktioniert - hier hilft nur das gemeinsame Besprechen, ausprobieren und viel Geduld.

1. In sicherer Umgebung üben.

Wenn das Übernachten woanders normalerweise grundsätzlich abgelehnt ist, ist stark davon auszugehen, dass es den autistischen Menschen brutal überfordert, wenn man ihn einfach "einpackt" und mit ihm in den Urlaub fährt und ihn quasi ins kalte Wasser wirft (Redewendung): "So, wir schlafen jetzt hier." Das würde zusätzlich vermutlich auch das Vertrauen zu den Bezugspersonen ein Stück weit zerstören, weil die ja eigentlich genau wissen, dass er / sie das nicht erträgt. Stattdessen sollte versucht werden, es langsam angehen zu lassen. Mein Vorschlag wäre stattdessen, es vielleicht innerhalb des Hauses oder der Wohnung auszuprobieren. Einfach mal in einem anderen Raum als sonst übernachten, zum Beispiel könnte mit dem Geschwisterkind getauscht werden, oder Kind schläft im Elternschlafzimmer - vielleicht mit bei den Eltern im Bett? Oder man schläft als Familie gemeinsam im Wohnzimmer - das kann doch auch ein Abenteuer sein! Sinnvoll ist auch, das ein bisschen zu wechseln, damit sich der Mensch nicht nur an den einen neuen Raum gewöhnt, sondern sukzessive merkt, dass er durchaus auch in anderen Räumen schlafen kann und gar nichts schlimmes daran ist. Der entscheidende Vorteil zu Hause ist natürlich, dass jederzeit die Notbremse gezogen werden kann. Bei Überforderung geht es einfach ins eigene Bett und es bekommt dennoch jeder ausreichend Schlaf, weil man nicht mitten in der Nacht noch heim fahren muss. Je nachdem wie die Schlafsituation im Urlaub wäre, sollte man es entsprechend genauso trainieren - also zum Beispiel gleich mit dem Geschwisterkind oder mit den Eltern im Raum. Wenn es in der sicheren Umgebung der Wohnung funktioniert, kann man anfangen, es ein bisschen auszuweiten - vielleicht ist es auch möglich bei Oma zu übernachten? Selbstverständlich mit der ganzen Familie als Backup. Wenn das irgendwann ebenfalls gut klappt, kann man mal eine Nacht in einem Hotel schlafen, usw. 

2. Eigenes Bettzeug mitnehmen

Manche autistische Menschen haben nicht unbedingt das Problem mit der fremden Umgebung an sich, sondern mit der Sensorik. Also zum Beispiel weil sich Bettdecke und Kissen im Hotel anders anfühlen, oder weil ein anderes Waschmittel genutzt wird -  das riecht natürlich ganz anders. Dieses Problem kann man natürlich ziemlich einfach, wenn auch ein bisschen platzaufwändig lösen. Wenn es nur der Geruch ist, wird eben eigene Bettwäsche mitgenommen und das vorbereitete Bett im Hotel einfach abgezogen und die eigene Bettwäsche drauf gemacht. Sollte es das ganze Gefühl sein, nimmt man eben Kissen und Decke mit! Als ich neulich bei meiner Freundin übernachtet habe, habe ich zum Beispiel mein Kissen mit in die Reisetasche gestopft, zusätzlich zu meinem Dynamo-Kissen, was ich ohnehin immer zum schlafen benötige. Wann immer ich woanders übernachten muss: das kleine Dynamo-Kissen muss mit, weil ich damit auch zu Hause schlafe und die Sicherheit brauche. Tatsächlich hat es mir aber auch geholfen, dass ich mein eigenes Kopfkissen mit in Dresden hatte. Natürlich nimmt es Platz weg, wenn man das ganze Bettzeug mitschleppt, aber wenn es dann möglich ist, relativ stressarm woanders zu übernachten, ist es das vielleicht wert! Und natürlich sollte niemals das Kuscheltier vergessen werden. Auch ein beruhigender Duft von zu Hause kann helfen - zum Beispiel das Parfum der Mama... 

3. Schlafsack 

Eine andere Familie mit einem autistischen Kind nutzt ein Wohnmobil, um in den Urlaub zu fahren, weil das Kind dort konstant ein gewohntes, gleichbleibendes Umfeld hat, dass es sicher kennt. Nun hat natürlich nicht jeder ein Wohnwagen oder ist auch einfach der Hotel-Typ. Trotzdem kann man Bedingungen herstellen, die immer gleich sind. Wie wäre es zum Beispiel, wenn man im Urlaub grundsätzlich einen Schlafsack benutzen würde? Wenn das Kind immer in einer fremden Umgebung den Schlafsack benutzt, schafft das Sicherheit. Natürlich kann man auch z. B. immer die rote Decke als Schlafunterlage auf der Matratze benutzen. Alles was Gewohnheit schafft, ist erlaubt. Besonders sinnvoll ist es, z. B. den Schlafsack vor der geplanten Übernachtung bereits zu Hause zur Vorbereitung zu benutzen. Wenn das Kind einige Nächte darin geschlafen hat, ist er dann in der neuen Umgebung eine bekannte Konstante und beruhigt. 

4. Möglichst alles so machen wie immer

Wenn schon die Schlafumgebung anders ist, sollte man wenigstens die übliche Abendroutine einhalten. Nichts überfordert mehr, als wenn alles Gewohnte über Bord geworfen wird. Zusatzempfehlung von mir: lasst euch die Abendroutine aus Sicht der autistischen Person beschreiben. Fragt, was besonders wichtig ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele neurotypische Menschen gar nicht wahrnehmen, wie wichtig bestimmte Details sind, weil sie für sie selbst nebensächlich sind. Wenn der autistische Mensch sehr selektiv isst, sollte zum Beispiel auch penibel darauf geachtet werden, dass die Safe Foods, also die Lebensmittel, die immer gegessen werden, in jedem Fall vorhanden sind, damit die Person sich nicht auch noch mit diesem Problem auseinandersetzen muss. So viel Kontinuität wie möglich. 

5. Auf Urlaub / Übernachtung vorbereiten

Warum wird woanders übernachtet, wann und wie viele Nächte sind geplant? Das ist natürlich das Minimum an Information, die vorhanden sein sollte und das sollte auch jedem einleuchten. Zusätzlich kann man in der geplanten Unterkunft fragen, ob es vielleicht Fotos von dem Zimmer gibt, in dem voraussichtlich geschlafen wird. Man kann diese Anfrage ja damit begründen, dass man ein autistisches Familienmitglied hat, und dieses vorbereiten muss. Manchmal gibt es ja auch Fotos auf der Website, aber tatsächlich ist es sinnvoller, wenn man wirklich Fotos von dem tatsächlichen Zimmer bekommt, weil es andernfalls wieder zu Irritationen führen könnte, weil sich der Autist vielleicht nur auf das Zimmer auf dem Foto eingestellt hat. Die geplanten Übernachtungen sollten - so vorhanden und regelmäßig genutzt, auch in den Wochenplan eingetragen werden, damit der betroffene Mensch es wirklich täglich vor Augen hat. 

Fazit

Alles was in der Fremde an die gewohnte Umgebung zu Hause erinnert, kann helfen, es dem autistischen Menschen leichter zu machen. Wichtig ist aber, dass vorab mit der autistischen Person besprochen wird, unter welchen Voraussetzungen er sich das vorstellen könnte und was sie benötigen würde. Was A hilft, kann es für B noch schlimmer machen. Hier muss man einfach fragen. Man muss aber auch im Hinterkopf haben: es ist eine unfassbare Anpassungsleistung woanders zu übernachten und manche autistische Menschen werden ihr Leben lang nicht in der Lage dazu sein, so etwas zu bewerkstelligen. Sie verweigern es nicht, weil sie ihren Mitmenschen den Urlaub nicht gönnen, sondern weil sie die fremde Umgebung wirklich stresst. Sollte das der Fall sein, könnte man auch noch darüber nachdenken, dass man in den Urlaub fährt und das Kind / der Teenager wird von einer vertrauten Person im häuslichen Umfeld betreut. Das geht natürlich auch nicht in allen Familien, wäre aber eine mögliche Alternative, da so jeder auf seine Kosten kommt. Oder man sucht sich ein Ferienziel, was in der Nähe des Wohnortes ist und eine Person aus der Familie fährt jeden Abend mit dem Kind zurück nach Hause und der Rest schläft vor Ort und früh wird wieder hingefahren. Damit könnte man sich ja auch abwechseln. Diese Alternative ist vielleicht ein bisschen stressiger, aber zumindest hat man einen Kompromiss: die autistische Person hat ihr gewohntes Umfeld zum schlafen und kehrt jeden Abend in ihr sicheres Terrain zurück und die restliche Familie kann Urlaub verbringen. Seid kreativ!

Habt einen schönen Tag.
Anne

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