Ist mein Kind zu einsam?

Hallo ihr Lieben,

wie ihr vermutlich wisst, gehören Probleme in der sozialen Interaktion zu den Hauptsymptomen der Autismus-Spektrums-Störung. Wenig verwunderlich, dass viele Autisten sich schwer damit tun, Freunde oder andere neue Bekanntschaften zu machen. Viele Eltern autistischer Kinder machen sich daher Sorgen, dass ihr Kind vielleicht einsam sein könnte und denken darüber nach, ob sie ihnen helfen sollen, Freunde zu finden. Aber ist das wirklich sinnvoll? Und wenn ja - wie sollte man das am besten machen? Ich muss euch gleich vorab enttäuschen: diese Frage kann pauschal nicht beantwortet werden, weil jeder Mensch verschieden ist. Ich möchte euch aber in diesem Beitrag Punkte aufzeigen, die ihr bedenken solltet und euch damit eine Hilfestellung bei eurer Entscheidungsfindung bieten. 

Gespräche mit dem Kind führen

Essenziell wichtig ist, dass als allererstes die Bedürfnisse des Kindes zu diesem Thema ermittelt werden. Gerade wenn die Eltern neurotypisch sind, können sie es sich häufig nicht vorstellen, dass es für das Kind angenehm ist, wenn es nach der Schule kein Kontakt zu anderen Klassenkameraden hat, sondern sich ausschließlich alleine beschäftigt, während die betreffenden Kinder überhaupt keinen Mangel wahrnehmen. Mein Ratschlag wäre daher: setzt euch einfach mal in einer ruhigen Minute mit eurem Kind zusammen und fragt behutsam nach. Achtung: denkt dabei nicht zu simpel. Gerade autistische Kinder können mit der Frage, ob sie sich einsam fühlen, überhaupt nichts anfangen.
  • Gibt es in deiner Klasse / Schule / Kindergartengruppe jemand, mit dem du gern mehr Zeit verbringen würdest, aber nicht weißt, wie du Kontakt aufnehmen könntest? 
  • Würdest du dich darüber freuen, wenn mal ein gleichaltriges Kind zu Besuch käme?
  • Würdest du deinen Nachmittag anders verbringen, wenn du einen Freund / eine Freundin hättest?
  • Was ist für dich in einer Freundschaft am wichtigsten? Was würdest du gern mit einem Freund unternehmen?
  • Hast du manchmal das Gefühl, dass du gern mit jemand anderem als mit uns über deine Gedanken und Gefühle sprechen möchtest?
  • Warum verbringst du deinen Nachmittag meist alleine? Möchtest du allein sein, oder weißt du nicht so richtig, mit wem du etwas unternehmen könntest?
  •  Warum möchtest du nicht mit anderen Kindern spielen?
Wenn sich herauskristallisieren sollte, dass das Kind Interesse an einer Freundschaft hat, aber keine Ahnung hat, wie es das anstellen könnte, kann man weiterführende Fragen stellen. Vor allem sollte man erfragen, ob ihr einfach mal einen Spielgefährten einladen sollt, es bei der Kontaktaufnahme einfach mal begleiten sollt oder ob es vielleicht nur Tipps haben will und das Projekt allein in Angriff nehmen möchte, weil es ihm vielleicht peinlich ist, wenn die Eltern zum Händchen halten mitkommen. Vielleicht wäre es auch eine Möglichkeit mit der Lehrerin in der Schule oder der Erzieherin zu sprechen, damit die die Kontaktaufnahme im Alltag pädagogisch geschickt sanft anbahnt. Auch hier kommt es ganz auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder an. 

Soziale Interaktion = Anstrengung

Man sollte bedenken, dass soziale Interaktion für Menschen im Autismus-Spektrum immer auch eines bedeuten: Anstrengung. Im Kindergarten / der Schule müssen sie zwangsläufig mit verschiedensten Menschen interagieren - Gleichaltrigen und Erwachsenen. Dagegen haben sie keine Wahl. Gegebenenfalls ist das für sie bereits so kräftezehrend, dass sie den Nachmittag für sich und ihre Spezialinteressen brauchen, um wieder Kraft für den nächsten Tag zu schöpfen. Dann wäre es absolut kontraproduktiv, wenn man es gut meint und einen Gleichaltrigen anschleppt. Darum ist es so wichtig, mit dem Kind darüber zu sprechen, was es eigentlich selbst über das Thema denkt. 

Mangel? Nicht die Spur! 

Meine Mutter hat früher auch immer gedacht, dass ich zu einsam bin, weil ich außer meiner Freundin im Ort und meinen Klassenkameraden in der Schule eigentlich keine wirklichen Freundschaften gepflegt habe. In der Diagnostik hatte sie meiner Psychologin von ihren Sorgen diesbezüglich berichtet. Diese hat mich daraufhin gefragt, ob ich das Gefühl habe, dass ich einsam wäre oder zu wenig Freunde hätte. Ich konnte das überhaupt nicht bestätigen. Die Zeit mit meinen Klassenkameraden in der Schule und die doch recht häufigen Treffen mit meiner Freundin waren für mich völlig ausreichend, ich habe mich schon immer gern allein beschäftigt, gemalt, Geschichten geschrieben, Gitarre gespielt, ... Alles Aktivitäten, wo eine weitere Person nur stören würde. Mir ist gar nicht in den Sinn gekommen, dass andere unter der Situation vielleicht leiden würden. Ich war eigentlich in der Regel ziemlich zufrieden mit der Situation wie sie war. Klar war es manchmal frustrierend, wenn meine Freundin mal keine Zeit hatte, aber im Regelfall habe ich mich wirklich sehr gern allein beschäftigt. Mitunter sind die Sorgen der Erziehungsberechtigten diesbezüglich also völlig unberechtigt. 

Hindernis: unterschiedliche bevorzugte Beschäftigungen

Autisten und Neurotypen haben häufig gravierend unterschiedliche Vorstellungen von einer gelungenen Freizeitbeschäftigung. Neurotypische Jungs würden vermutlich mit ihren Kumpels auf den Bolzplatz gehen - für die meisten autistischen Kinder sind Teamsportarten dagegen die Hölle. Sie würden vermutlich eher für sich alleine den Ball gegen eine Mauer kicken oder vielleicht noch mit dem Kumpel hin- und herschießen. Wenn es sich gerade nicht mega gut mit den anderen Kindern versteht, ist davon auszugehen, dass es in einer größeren Gruppe eher untergehen und gar nicht so wirklich Freude haben würde. Ein anderes Beispiel sind Rollenspiele - autistische Kinder können mit sowas häufig absolut nichts anfangen. Andersrum ist es aber natürlich ähnlich. Die wenigsten neurotypischen Kinder werden sich dafür begeistern können, stundenlang über Modelle von Straßenbahnen zu recherchieren. Es besteht also häufig die Grundfrage: was soll ich denn mit dem Freund überhaupt machen? Dieses Hemmnis kann man umgehen, indem man das Treffen begleitet und von Anfang an eine Beschäftigung vorgibt, zum Beispiel eine Radtour oder ein Schwimmbad-, oder Kinobesuch. Also etwas, bei dem man sich nicht erst auf eine gemeinsame Beschäftigung einigen muss. 

Geheimtrick: Zufällig anwesende Gleichaltrige

Wenn man als Elternteil den Eindruck haben sollte, dass das Kind sich einsam fühlt, aber trotzdem nicht gewillt ist, mit einem anderen Kind mehr Kontakt aufzubauen, kann man es ein bisschen zu seinem Glück zwingen, ohne es zu überfordern. Was immer ganz gut funktioniert sind Ausflüge, bei denen andere Kinder einfach dabei sind, ohne dass es jetzt ganz offiziell darauf abzielt, dass das Kind jetzt mit einem Gleichaltrigen etwas unternehmen soll. Einfach mal die Freundin bitten, ob sie beim nächsten Besuch einfach mal ihr Kind mitbringt, oder ein Familienausflug - Tante, Onkel, ihr als Eltern und dann ist die Cousine noch mit dabei. Wichtig ist, dass es Aktionen sind, bei denen die Kinder nicht interagieren MÜSSEN. Es ist ganz wichtig, dass sie auch einfach co-existieren und sich einzeln beschäftigen können. Manchmal, wenn die Gleichaltrigen dann schon mal da sind, geht das mit dem gemeinsamen Spielen von ganz alleine und macht großen Spaß, obwohl man vorher auf Nachfrage niemals ja gesagt hätte, wenn man gefragt worden wäre, ob man gern Besuch von einem anderen Kind bekommen würde. Am besten ist es allerdings, wenn euer Kind das jeweils andere Kind schon recht gut kennt und sich gut mit ihm versteht. Bei mir waren das meistens meine Cousinen bei Familienfeiern, bzw. auch der Sohn von meiner Mutter ihrer Freundin. Die beiden haben extrem viel miteinander gemacht und haben uns Kinder einfach mitgenommen, sodass wir uns ziemlich gut aneinander gewöhnt haben und dann auch viel gemeinsame Spielideen entwickelt haben. Unser gemeinsames Hobby waren absolute Amateur-Zaubershows für unsere Mütter, die dann immer so tun mussten, als wären sie total beeindruckt, obwohl es wirklich auf den ersten Blick zu erkennen war, wie es funktioniert. ;-) Aus Freude darüber, dass wir so viel Spaß an der gemeinsamen Aktion haben, haben sie sich aber immer wieder gern als "beeindrucktes" Publikum zur Verfügung gestellt.

Fazit

Meistens ist es am zielführendsten, wenn man einfach mit dem Kind darüber spricht, was es sich wünscht. Oft stellt sich dann heraus, dass die Sorgen völlig unbegründet sind, weil das Kind mit der Situation vollkommen zufrieden ist. Wenn ihr den Eindruck haben solltet, dass es vielleicht doch nicht so wirklich glücklich über die Situation ist, aber nicht in der Lage ist, seine Gefühle dazu zu interpretieren oder auszudrücken, wäre es manchmal auch noch eine gute Möglichkeit mit der Kindergärtnerin / Lehrerin oder Erzieherin der Schule zu sprechen, was die beobachten. Wenn sie die Einschätzung teilen, kann man gemeinsam überlegen, wie man das Kind, ohne es zu überfordern, sanft in Kontakt mit anderen Kids bringen kann. Es kann aber genauso gut sein, dass sie sagen, dass das Kind am Tag eigentlich recht gut in die Gruppe / die Klasse eingegliedert ist und kein Grund zur Sorge besteht. Ihr als Eltern habt das beste Gefühl für euer Kind, ihr wisst, was es mag und wovor es vielleicht Angst hat. Glaubt mir: ihr werdet euer Kind schon bedürfnisgerecht und liebevoll in seiner Entwicklung begleiten, wenn ihr mit ihm sprecht und es beobachtet, werdet ihr auf jeden Fall erkennen, ob Unterstützungsbedarf besteht, oder ob alles so bleiben kann wie es ist.

Habt einen schönen Tag.
Anne

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