Bar "Rierefrei" (Ideen für autistengerechte Lokale / Bars )

Hallo!

Vor ein paar Monaten habe ich von einem interessanten Gedankenexperiment auf Twitter gelesen. Es ging darum, dass die meisten Bars und Lokalitäten nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ausgerichtet sind und dadurch für Betroffene teilweise gar nicht oder nur schwer nutzbar sind. Ein User hat folgendes Gedankenspiel eröffnet: wenn er eine Bar eröffnen würde, in der Menschen mit einer seelischen oder körperlichen Behinderung keine Barrieren (Schwierigkeiten aufgrund der örtlichen Gegebenheiten) erleben: was müsste er dabei beachten? Diese Bar würde er dann Bar "Rierefreiheit" nennen. Leider existiert eine solche Bar noch nicht, aber ich finde diese Idee nicht schlecht. Und vielleicht möchte ja demnächst jemand eine Bar eröffnen und interessiert sich für das Thema. Darum möchte ich mich heute mal an diesem Spiel beteiligen und habe mal überlegt, welche Dinge in einer Bar / Lokalität sinnvoll wären, damit sich die meisten Autist: innen recht wohlfühlen könnten. Selbstverständlich kann diese Auflistung nicht abschließend sein und trifft sicher auch nicht auf jeden Autisten zu, weil wir einfach alle individuell sind.   

Rückzugsbereich oder Ruhige Zonen

Wenn ich an meine Lieblingsbar denke: puh, das ist teilweise schon ganz schön trubelig und laut... Nun handelt es sich um eine Spielebar (Brettspiele, Kniffel, Kartenspiele) wodurch es in der Natur liegt, dass es da etwas munterer zugeht. Zusätzlich würde ich behaupten, dass es die beste Bar in der Dresdner Neustadt ist. 😂 Ich werde dir Bar jetzt mal nicht nennen, sonst könnte man noch annehmen, ich werde gesponsert. ^^ Ich vermute aber, dass das in vielen gewöhnlichen Bars oder Lokalen der Fall ist. Je beliebter die Bar, desto mehr Menschen, desto lauter werden die Umgebungsgeräusche. Für autistische Menschen kann das tatsächlich sehr herausfordernd sein, weil sie eben nicht besonders gut darin sind, Reize, die für sie nicht relevant sind auszublenden. Stellen Sie sich mal vor, sie nehmen alles gleichzeitig und gleich laut wahr: die Gespräche am eigenen Tisch, die Gespräche von den anderen Tischen, Gläser klirren, die Lüftung surrt, vorn öffnet sich die Tür, hinten brutzelt der Chef die Pattys für die Burger, eine Flasche fällt runter, es läuft Musik, ... Wenn man also eine barrierefreie Bar gestalten möchte, würde ich tatsächlich empfehlen einen Rückzugsraum einzurichten oder sogenannte ruhige Zonen, wo folgendes beachtet wird:
  • evtl. gedämpftes Licht
  • keine Hintergrundmusik
  • etwas weiter weg vom großen Trubel
  • nicht sooo viele Tische, sonst wird es ja wieder lauter
Die Ruhebereiche wären sogar sinnvoller, denn dann kann man ja gleich bei der Reservierung bzw. spontan entscheiden: möchte ich den Trubel oder lieber im ruhigeren abgeschirmten Bereich sitzen? 

Alle verarbeiteten Zutaten sollten auf der Speisekarte stehen

Das bezieht sich jetzt natürlich auf Bars, die zusätzlich etwas zu essen anbieten, gilt aber auch für Gaststätten. Ganz viele schreiben nur die Hauptzutaten auf, wie z. B. bei Spaghetti Bolognese: "Tomaten-Hackfleischsoße mit Spaghetti". Für 99 % der Gäste reicht diese Angabe natürlich völlig zu, weil sich jeder etwas unter Spaghetti Bolognese vorstellen kann und diese auch schon gegessen und vielleicht sogar gekocht hat. Bei vielen autistischen Menschen gibt es aber das Problem, dass sie sehr wählerisch sind, in den Lebensmitteln, die sie für sich akzeptieren - zum Beispiel kann ein einzelnes Gewürz oder z. B. Zwiebel das komplette Gericht für sie ungenießbar machen, selbst rausfischen des Bestandteils ist dann eigentlich nicht denkbar. Meine Empfehlung ist wirklich: schreibt alles, was in dem Gericht verarbeitet wurde auf - so irrelevant es für euch auch scheinen mag, oder habt zumindest griffbereite Listen, falls die Speisekarte sonst zu fett wird. Das bietet autistischen Menschen soooo viel Sicherheit, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. So können sie nämlich viel besser entscheiden: ist das Gericht für mich genießbar oder sollte ich lieber ein anderes Gericht wählen? Nun könnte man sagen: "Naja, aber es weiß doch jeder, dass da Zwiebel und Petersilie reinkommen..." Nein! Wenn der autistische Mensch dieses Gericht grundsätzlich ohne Zwiebel kocht, dann rechnet er bisweilen eben doch nicht damit, für ihn gehört es ja nicht rein... 

Kommunikation mit Mitarbeitern ohne Ansprechzwang

Hier sind die Technikgurus gefragt. Es könnte zum Beispiel funktionieren, indem man Tablets am Tisch hat, die mit der App der Bar bestückt sind. In dieser App sollte man u. a. direkt Essen und Getränke bestellen können, aber auch die Mitarbeiter "rufen" können, um gewisse Fragen zu stellen, bzw. Getränke nachzuordern, ohne dass man sie direkt ansprechen muss. Es geht aber auch ohne Technik. Hierfür könnte man zentral in der Bar Zettel und Stift bereit legen und wenn der Barbesucher irgendetwas von dem Mitarbeiter möchte, kann er dort hingehen und seine Botschaft / Bitte oder Frage auf den Zettel schreiben und in die Ablage von Tisch 5 legen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Mitarbeiter nur dann zu dem besagten Kommunikationstisch gehen, wenn gerade niemand dort schreibt, oder auf den Tisch zusteuert. Der Tisch sollte von den Mitarbeitern nur zum abholen der Zettel angesteuert werden, um es den Kunden die Angst vor der direkten Kommunikation haben, leichter zu machen. Die gesamte Idee mit der kontaktlosen Kommunikation mag vielleicht für den einen oder anderen ein bisschen komisch wirken, aber es gibt sowohl nicht-sprechende Autisten, als auch Autist: innen die nicht in der Lage sind, mit fremden Menschen zu sprechen und die es fürchterlich unter Druck setzen würde, wenn der Kellner vor ihnen steht und jetzt die Bestellung aufnehmen will... Selbstverständlich sollte es auch die Möglichkeit geben, dass der Kellner ganz normal zum Tisch kommt. Das individuelle Bedürfnis kann man direkt am Bareingang abklären, in dem man dort bereitliegende Karten hochhalten kann: z. B. eines mit Kellner und eines mit Tablet. 

Stimmingspielzeug bereitstellen

Vielen Menschen im Autismus-Spektrum beruhigt und entspannt es, wenn sie Stimming betreiben. Stimming bedeutet, dass sie ihren Körper selbst stimulieren. Zum Beispiel funktioniert das, indem sie mit Armen flattern, vor und zurück schaukeln mit dem Oberkörper, vor sich hinsummen oder immer wieder dieselben Wörter wiederholen. Im Prinzip tut alles gut, was wiederkehrend und ein bisschen monoton ist, weil das ein Reiz ist, dem das Gehirn nicht so viel Beachtung schenken muss, er läuft irgendwie so im Hintergrund mit. Leider trauen sich viele Autist: innen in der Öffentlichkeit nicht zu stimmen, weil es natürlich bisweilen ziemlich auffällig ist und auf neurotypische Menschen manchmal befremdlich wirkt. Wenn in einer Bar an jedem Tisch eine kleine Auswahl an Stimmingspielzeug bereitliegen würde und ein Schild in der Bar hängen würde: "Stimming ist hier ausdrücklich erwünscht! Tun Sie das was Ihnen gut tut!" würde das die Hemmschwelle erheblich herabsetzen. Was würde sich anbieten: 

- Fidget Spinner
- Fidget Cube
- Antistressbälle zum drücken
- Pop Fidget (das sind die meist viereckigen silikonartigen Teile, wo man Halbkugeln ploppen kann
- ...

Im Prinzip eignet sich alles, was gut desinfizierbar ist und keine verschluckbaren Kleinteile hat. 

Wenn mir noch weitere Punkte einfallen, kommt auf jeden Fall eine Fortsetzung dieses Beitrags. Was würdet ihr euch wünschen? Schreibt es gern mal in die Kommentare.

Habt einen schönen Tag!
Anne

Kommentare