Was kann man gegen das Kauen auf Kleidung u. ä. tun?

Hallo!

Es gibt Menschen, die ein sehr starkes Kaubedürfnis haben. Die meisten Menschen stillen dieses Bedürfnis, indem sie beispielsweise viel Kaugummi kauen, oder sich Gemüsesticks bereitstellen. Manchen Menschen dagegen gelingt es nicht ganz so gut, ihr Bedürfnis auf diese Weise zu stillen. Sie kauen stattdessen z. B. auf Kleidung, Stiften, Radiergummis, dem Kabel von Kopfhörern oder nehmen Gegenstände aller Art in den Mund. Das ist natürlich ungünstig. Im harmlosesten Fall gehen die Sachen halt einfach kaputt, sehen unschön aus und müssen häufiger ersetzt werden, im ungünstigsten Fall ist es schlichtweg gefährlich, denn die Gegenstände, auf denen herumgekaut wird, sind in der Regel nicht zum Verzehr geeignet. Das Kauen auf Kleidung oder anderen Gegenständen ist in der Regel völlig unabhängig vom Hungergefühl, erfüllt aber dennoch wichtige Bedürfnisse:
  • Es hilft beim Fokussieren und konzentrieren auf bestimmte Aktivitäten. Kaugummi hat übrigens denselben Effekt - durch das Kauen wird das Gehirn besser durchblutet, man kann sich besser konzentrieren. 
  • Es wirkt beruhigend. 
  • Das kauen sorgt für einen sensorischen Input im Mundbereich. Besonders Menschen im Autismus-Spektrum haben teilweise eine Unterempfindlichkeit im Mundraum und benötigen intensivere Reize, um etwas wahrnehmen zu können.
  • Kauen hilft Menschen, die unter Reizüberflutung leiden, andere Reize auszublenden indem sie sich ausschließlich auf das kauen konzentrieren. 
  • Es hilft ggf. dabei die Beschaffenheit des Gegenstandes besser erfassen zu können, wenn z. B. die Wahrnehmung über die Haut nicht so gut ausgeprägt ist.
Es kann sehr viele Gründe geben, warum Menschen auf Gegenständen herumkauen, die nicht zum Verzehr geeignet sind. Da dieses Verhalten aber wie gesagt bestimmte Zwecke erfüllt, ist es meines Erachtens nicht sinnvoll, dieses Verhalten zu verbieten. Viel sinnvoller ist es zu schauen, was man der Person stattdessen anbieten kann, um das Bedürfnis befriedigen zu können. Heute kommen dazu mal einige Tipps. 

Essbares als Snack bereitstellen

Bei dem Tipp geht es mir hauptsächlich darum, dem Betroffenen andere Möglichkeiten aufzuzeigen, womit er sein Bedürfnis befriedigen kann. Es empfiehlt sich Lebensmittel mit unterschiedlichen Konsistenzen anzubieten. Knäckebrot (schön hart, knusprig), Gurke (fest, aber feucht), Möhren (hart, knackig, irgendwie süß schmeckend), Paprika (süß, fest aber auch gleichzeitig irgendwie weich), Kaugummis in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen (am Besten zuckerfrei), Reiswaffel, ... Am besten ist es, das Angebot immer mal wieder zu tauschen. Immens wichtig ist es natürlich, dass man hier ausschließlich gesunde Lebensmittel anbietet, die nach Möglichkeit wenig Kalorien haben. Es ist ja nicht das Ziel, dass das Kind zwar nicht mehr an Klamotten kaut, aber dafür nach kürzester Zeit dick und rund ist, weil es die ganze Zeit auf Süßigkeiten zurückgreift. Außerdem sollte auch nicht immer direkt Nahrung angeboten werden, egal wie gesund sie ist, denn wie ich schon sagte: meist hängt das Kaubedürfnis nicht vom Hungergefühl ab und wenn sie immer etwas zu essen angeboten bekommen, verlernen sie irgendwann auf ihr Hungergefühl zu achten. Aber man kann es eben immer mal mit einschieben als Alternativvorschlag für das Kind, wenn es mal wieder anfängt, an Kleidung zu knabbern.

Kauspielzeug zur Verfügung stellen

In einem früheren Beitrag habe ich euch schon mal ausführlich die Kaukette vorgestellt. In Kürze zusammengefasst: es handelt sich hierbei um ein medizinisches Gummi ohne giftige Inhaltsstoffe wie Blei, Latex, PVC, Weichmachern oder ähnliches. Sie ist genau dafür gedacht, dass man darauf herumkaut und es gibt sie in unterschiedlichen Stärken, Formen, Farben, manche haben zusätzlich noch Textur wie z. B. Noppen oder Riffel für zusätzlichen sensorischen Input. Da ist wirklich für jeden etwas dabei und sie sind im Prinzip unkaputtbar. Es empfiehlt sich lediglich sie ab und zu abzukochen, weil sich eben doch Umwelteinflüsse darauf ansammeln... Ich bin erwachsen und ich habe mehrere Kauketten, die ich sehr sehr gerne nutze. Es gibt sie in quietschbunt für Kinder, aber auch unauffällig einfarbig für Erwachsene. Ich habe euch mal einen Link beigefügt, wo ihr fündig werden könntet: Kauketten aller Art. Es ist nicht schädlich für die Zähne und macht eben auch nicht dick - es erfüllt einfach nur das Bedürfnis des Kauens und dem Input im Mundbereich, daher könntet ihr es eurem Kind immer anbieten, wenn es mal wieder anfängt auf ungünstigen Gegenständen zu kauen. 

Box mit erlaubten Gegenständen bereitstellen

Bei Gegenständen die eine gesundheitliche Gefahr darstellen, wenn man auf ihnen herumkaut, ist die Sache klar: diese sind strikt zu verbieten und zu verhindern, dass sie in den Mund genommen werden. Es gibt aber auch Materialien die ungefährlich sind, wie z. B. Strohhalme, alte T-Shirts, Waschlappen, Schnuffeltücher, ... Mein Vorschlag wäre, dass ihr gemeinsam mit dem Betroffenen schaut, welche Materialien sich für ihn gut im Mund anfühlen und dann besprecht: "Auf alles was in dieser Box ist, darfst du nach Herzenslust herumkauen. Was nicht hier drin ist, ist tabu!" Denn es macht meines Erachtens keinen Sinn, komplett zu verbieten auf Gegenständen zu kauen - wie gesagt, das Kauen erfüllt verschiedenste Bedürfnisse. Es geht doch eher darum, dieses Bedürfnis von gefährlichen Gegenständen auf Gegenstände umzulenken, die nicht kaputt gehen können und ungefährlich sind... 

Sensorische Angebote machen

Manche Kinder kauen auch deswegen auf Gegenständen, weil das ihre Wahrnehmung stimuliert. Die unterschiedlichen Materialien im Mund fühlen sich einfach spannend an, geben Informationen über die Beschaffenheit, die vielleicht über die Hände (noch) nicht so gut wahrgenommen werden kann. Ein Ansatz wäre daher auch, dem Kind ganz viele Aktivitäten anzubieten, mit denen es über den Körper ganz viele Tasterfahrungen machen kann. Zum Beispiel:
  • Heraussuchen von Murmeln o. Ä. aus Gefäßen, die mit ungekochten Erbsen / Linsen/Sand/Nudeln/Reis gefüllt sind
  • Massage mit einem Igelball, "Pizza backen" auf dem Rücken des Kindes
  • mit nackten Füßen durch feuchtes Gras laufen
  • matschen mit Wasser
  • Schaukeln, Trampolin springen, Wippen
  • ...
Was ist sonst noch wichtig?

Bei nicht-sprechenden Personen, oder kleineren Kindern, die sich noch nicht äußern können, kann das Kaubedürfnis auch auf Zahnprobleme hinweisen. Von daher kann es sinnvoll sein, den Betroffenen zahnärztlich untersuchen zu lassen, um ausschließen zu können, dass gesundheitliche Probleme dahinter stecken. Außerdem kann es sinnvoll sein, mit dem Kinderarzt oder Ergotherapeuten zu sprechen und sich zusätzlichen Rat zu suchen. Denn die Grundgefahr, dass der Betroffene bzw. das Kind doch mal zu Gegenständen greift, die wirklich gefährlich sind, wenn sie zerkaut werden, bleibt natürlich auch dann bestehen, wenn man versucht das Bedürfnis umzulenken. Und vielleicht gibt es ja noch viele weitere kreative Ansätze, wie man dem Kind die sensorischen Erfahrungen ermöglichen kann, sodass das herumkauen auf Gegenständen eventuell gar nicht mehr notwendig ist. 

Habt einen schönen Tag!
Anne


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