Hobbies und Freizeit - typisch Autistisch?

 Hallo Ihr Lieben!


Heute gibt es mal wieder einen Gastbeitrag. Anne hat mich gebeten, ein wenig über typisch autistische Hobbies zu schreiben. Ich bin selber Autist und habe Anne vor 5 Jahren kennen gelernt, als wir in Dresden im gleichen Ausbildungsbetrieb waren.

Hobbies bzw. Freizeitaktivitäten hat sicher jeder von uns. Ob Sport, Musik, gemeinsame Abende mit Freunden oder die Bundesliga - jeder Mensch braucht eine oder mehrere Beschäftigungen, die Freude bereiten uns bei denen man "seine Akkus aufladen kann" (RW). Für mich und die meisten anderen Menschen im Autismusspektrum stellen Hobbies dabei einen besonderen Stellenwert im Alltag dar, denn insbesondere bei diesen Beschäftigungen können wir die zahlreichen Reize und belastende Situationen, die uns im Alltag die Kräfte rauben, verarbeiten und uns davon ablenken. Dank der Fähigkeit vieler Menschen mit Autismus, sich große Mengen an Fakten und Informationen in kurzer Zeit einprägen zu können, gepaart mit der Begabung, sich bei einer bestimmten Beschäftigung extrem gut konzentrieren zu können (Hyperfokus/"Flow"), entstehen aus Hobbies mit der Zeit oft Spezialinteressen. Es folgen einige Beispiele, wobei ich ausdrücklich erwähnen möchte, dass dies nur ein winziger Teil von möglichen Freizeitbeschäftigungen ist, denen Menschen mit Autismus nachgehen.


Puzzles und Rätselspiele


Puzzles sind einfach toll. Man braucht dafür keine anderen Menschen, man kann zu jeder Jahreszeit puzzeln und man bekommt mit relativ geringen Aufwand ein schnelles Erfolgserlebnis.

Als Kind und Jugendlicher hatte ich geschätzt ungefähr 40-50 verschiedene Puzzles. Meine Eltern waren begeistert, mit welcher Geduld ich mich stundenlang durch Kästen voller bunter Puzzleteile wühlen konnte und fast jedes Mal zum Geburtstag und Weihnachten gab es für mich neue Puzzles in den Geschenktüten. Die Wände meines Kinderzimmers waren geradezu zugepflastert mit fertigen Puzzles, soweit ich mich erinnere war mein damaliger Rekord 4000 Teile (die halbfertigen Puzzles zu verstauen, ohne dass Teile verloren gingen, war eine logistische Meisterleistung!).

Ich finde Puzzles und andere Logikrätsel (wie z.B. Nonogramme) sind bei Menschen mit Autismus vor allem deswegen beliebt, weil man sie alleine lösen kann. Ich stelle wohl keine falschen Behauptungen auf wenn ich sage, dass die allermeisten Autisten introvertiert sind. Sie laden also ihre sozialen Energiereserven auf, wenn sie sich zurückziehen und alleine beschäftigen. Demnach sind Puzzles für sie eine super Möglichkeit, zur ruhe zu kommen und sich zu erholen. Da man beim Puzzeln ein gutes Auge für Details, logisches Denkvermögen und ein gewisses Maß an Geduld braucht, werden auch diese "natürlichen Eigenschaften" von Autisten bei diesem Hobby gefordert.


Videospiele


"Spielen ist Staubsaugen im Kopf. Zocken ist für mich Vorbeugen, dass ich nicht ganz verrückt werde." (Henning May)

Ich glaube dieses Hobby kennen besonders Eltern von Kindern im Autismuspektrum. Ich lese oft von besorgten oder gar verzweifelten Müttern und Vätern, die Mühe haben, ihre autistischen Kinder von der Spielekonsole oder vom Gameboy loszureißen. Einerseits kann ich es natürlich nachvollziehen, dass sich ein Kind, egal ob Autist oder NT, nicht stundenlang mit "daddeln" beschäftigen sollte. Ich kann mich selber noch gut daran erinnern, wie ich als Teenager mit meinen Eltern um jede Minute an der PlayStation "verhandeln" musste. Andererseits muss Rücksicht darauf genommen werden, dass bei vielen Autisten, besonders bei Kindern und Jugendlichen, das Zocken einige wichtige Funktionen erfüllt:

Vor allem Asperger-Autisten sind z.B. bei der Einschulung im Umgang mit anderen Menschen sehr überfordert. Es gibt eine kaum zu überschauende Anzahl von "Regeln" im Komplex der menschlichen Interaktion. Aspies fällt es von Natur aus schwerer, die Hintergründe von menschlichem Verhalten zu durchschauen und spätestens im Teenageralter hat vermutlich so manch ein Asperger-Autist andere Jugendliche beobachtet und sich im Stillen gefragt: "Hä? Warum reagiert Person XY so seltsam??". Jeder Mensch reagiert unterschiedlich in ähnlichen Situationen, in verschiedenen sozialen Konstellationen ist es üblich, das eigene Verhalten jeweils anzupassen, kurz: es ist ein großes, frustrierendes Durcheinander.

In Videospielen ist es anders. Ja, auch diese können ein kompliziertes Kampfsystem oder eine schwer einzuschätzende KI haben. Aber bei den meisten Computerspielen ist es so, dass man nach einer Weile den "Regelkodex" gelernt und verinnerlicht hat. Und das Beste ist - im Gegensatz zum realen Leben gibt es in den meisten Videospielen selten Fälle, in denen eine seit langem bewährte Strategie plötzlich das genaue Gegenteil bewirkt. Oder, wie ein User in einem Youtube-Kommentar erklärt: "[...] video games never yell at us for making a mistake. Video games don't leave us out of their clique for being a little different. Video games have clearly delineated rules that don't change constantly." Frei übersetzt bedeutet dies: "Videospiele schreien uns nicht an, wenn wir uns mal falsch verhalten. Videospiele schließen uns nicht aus der Gruppe aus, weil wir ein bisschen anders sind. Videospiele haben klar abgegrenzte Regeln, die sich nicht permanent ändern."


Weitere Hobbies, die für Autisten besonders interessant sein können, sind unter Anderem Züge/Fahrpläne, Klemmbausteine und Bausätze, Wandern/Spazieren, Basteln und Handarbeiten. Um diesen Beitrag nicht noch weiter in die Länge zu ziehen, möchte ich abschließend sagen: Seid stolz auf eure Hobbies und Interessen! Egal was andere darüber urteilen.

Mehr Beiträge zu Freizeitaktivitäten gibt es in Kürze auf meinem eigenen Blog. Vielleicht darf ich ja auch irgendwann wieder hier einen Gastbeitrag schreiben, bei dem ich dann gerne auf die "weiteren Hobbies" näher eingehe.


Habt ein schönes, verlängertes Wochenende :)

Adam

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