Unterschied Meltdown - Wutanfall

Guten Tag!

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ein Meltdown sehr leicht mit einem klassischen Wutanfall verwechselt werden kann. Das liegt daran, dass sich die Menschen in beiden Zuständen recht ähnlich verhalten. Die Auslöser für diese Zustände, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Da es im Fließtext immer ein bisschen schwierig ist, einen Überblick über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verschaffen, möchte ich heute mal auf die Tabelle zurückgreifen - Anmerkungen folgen darunter. 

 

Meltdown

Wutanfall

mögliches

Verhalten

- schreien, weinen

- sich selbst schlagen und/ oder beißen

- gegen Gegenstände / Boden schlagen / treten

- ggf. Kopf gegen Wand schlagen

-  Stimulation durch reiben der Arme an rauer Wand/Teppich, etc.

- wehren gegen Berührungen, dadurch versehentliche Verletzung anderer Menschen möglich

- schreien, weinen

- gegen Gegenstände schlagen / treten

- ggf. mit Gegenständen werfen

- um sich schlagen, auf dem Boden wälzen, mit den Füßen stampfen

- möglicherweise beißen, hauen oder treten anderer Personen

Auslöser

- sehr viele Veränderungen im Tagesablauf (möglicherweise mehrere in kurzer Zeit)

- Reizüberflutungen

- intensive Gefühle, die nicht verarbeitet werden können

- etwas läuft anders, als von dem Menschen gewünscht

- Müdigkeit, Hunger

- die Menschen geraten an ihre eigenen Grenzen und sind deswegen wütend (z. B. wenn die Bastelei nicht gelingt)

Entschärfung

möglich?

- in der Regel keine Entschärfung der Situation durch Angebote / Gespräch möglich

- teilweise Beruhigung möglich, wenn man Dinge anbieten, die dem Willen entsprechen

Warum?

- Überforderung des Gehirns durch zu intensive Reize, Emotionen oder Veränderungen

- es wird kein wirkliches Ziel verfolgt, es ist ein schlichtes reagieren

- Emotionen können (noch) nicht reguliert werden, der Wutanfall ist das Ventil

- ggf. der Versuch die Eltern zum Umstimmen zu bewegen


Was ist ein Meltdown überhaupt?

Ganz simpel: ein Meltdown ist eine mögliche Reaktion auf die Überforderung des autistischen Gehirns. Er sieht aus wie ein klassischer Wutanfall (um sich schlagen, heftig weinen, etc.), hat aber mit Frustration in der Regel überhaupt nichts zu tun. Meistens tritt er auf, wenn der Tag vollkommen anders abläuft, als das sonst so der Fall wäre, zu viele Reize auf den autistischen Menschen eingeströmt sind, oder er von zu heftigen Emotionen überladen wird, die er nicht zuordnen kann und dadurch überfordert ist. Der Meltdown kann also dann auftreten, wenn der autistische Mensch die Orientierung verloren hat oder durch zu viele Eindrücke oder Emotionen überfordert ist und keine andere Möglichkeit gefunden hat, sich runter zu regulieren. Ich habe bereits einen Beitrag über den Meltdown geschrieben, dort wird auch beschrieben, wie man Betroffenen bei einem Meltdown helfen kann, bzw. wie man sich in dieser Situation am besten verhält.

 Was muss man über den Meltdown wissen, um ihn von einem Wutanfall unterscheiden zu können?

Kontrollverlust

Menschen, die von einem Meltdown betroffen sind, haben während er stattfindet keinerlei Kontrolle über sich selbst und können effektiv nichts tun, um ihn in irgendeiner Form zu unterbrechen. Während eines Meltdowns habe ich mir mal ins Handgelenk gebissen. Dadurch bin ich dann schlagartig "aufgewacht" und dachte mir: "Was zur Hölle war das gerade eben?!" Niemand der gerade "nur" einen Wutanfall hat, würde sich selbst beißen oder irgendwie aktiv verletzen. Andere Personen verletzen (beißen, schlagen, nach ihnen treten) vielleicht, um ihnen klar zu machen, wie beschissen die Situation gerade ist. Aber sich selber niemals. Dabei möchte ich definitiv nicht sagen, dass Menschen ihren Familienmitgliedern oder Bezugspersonen bei einem Wutanfall absichtlich weh tun, es passiert vermutlich aus der heftigen Emotion heraus, aber dennoch haben sie sich eben insoweit unter Kontrolle, dass sie sich nicht selbst verletzen (ich spreche jetzt mal nicht von am Schrank stoßen, weil man aufgrund des Zorns nicht aufpasst, sondern wirklich von selbst schlagen/selbst beißen). 

Keine Verbesserung durch "Bestechung" oder Lösungsvorschläge

Auch bei Wutanfällen hat man zum Teil kaum die Chance, die betroffene Person zu beruhigen. Aber man hat zumindest teilweise die Chance, wenn man zum Beispiel einen Lösungsvorschlag anbietet oder auf den Willen desjenigen eingeht. Ein Beispiel von mir. Ich hatte einen kleineren Wutanfall, weil ich überlegt hatte, dass ich am Wochenende zum Gottesdienst gehen möchte, aber nicht daran gedacht habe, das Heimfahrtswochenende vom Wohnheim angedacht war und ich dadurch gar nicht in Dresden sein würde. Ich war deswegen extrem frustriert, weil die Ausbildung kurz vor dem Ende stand und ich eigentlich noch mal jede Chance nutzen wollte. Meine Freundin hat mir dann den Vorschlag gemacht, dass ich einfach früh von Leipzig aus nach Dohna fahren würde, den Koffer mit zur Gemeinde nehme und wir dann bis die Zeit zur Anreise gekommen ist, einfach noch bei ihr zu Hause chillen (sie wohnte damals in der Nähe). Zack war der Wutanfall vorbei! 

Ein Gegenbeispiel vom Meltdown stattdessen: Ich hatte einen, weil ich durch die Ausflüge mit der Berufsschule in den vergangenen Tagen (damals, ist schon länger her) eine extreme Reizüberflutung hatte; es war heiß, es lief komplett anders als sonst ab, wir mussten mit ganz anderen Azubis zusammen sein als sonst, ergo komplette Überforderung. Bis zum Abend ist aber nichts passiert, außer dass ich sehr reizbar war. Ich wollte dann abends noch mit einem meiner Lieblingsbetreuer sprechen, der aber keine Zeit hatte. Das war der letzte Tropfen, der das Fass quasi zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe aufgelegt und bin komplett eskaliert. Es lag aber nicht an der Abfuhr von ihm, sondern aus der Mischung aus den verrückten Tagen und der Überforderung, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass er vielleicht keine Zeit haben könnte. Er hat später noch einmal angerufen und mir mitgeteilt, dass er im Notfall doch könne (man hat durchaus am Telefon gemerkt, dass ich traurig darüber war, da hatte der Meltdown aber noch nicht begonnen). Als er angerufen hatte, war der Meltdown bereits am abklingen, darum bin ich rangegangen. Es hat aber nichts an meiner Stimmung verändert und ich habe auch nicht zugestimmt.

Es wird kein Zweck verfolgt.

An die Meltdowns in meiner Kindheit kann ich mich nicht erinnern. Aber wenn man an die Meltdowns in meiner Erwachsenzeit erinnert, war ich bis auf bei zweien eigentlich immer alleine. Draußen habe ich mich immer versucht noch irgendwie runter zu regulieren. Wenn ich dann in meinem Wohnheimzimmer oder zu Hause in meiner eigenen Wohnung war, ist es dann in der Regel passiert. So war es auch bei dem Meltdown im BBW. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich einen Meltdown habe, wusste ich ja zu dem Zeitpunkt des Telefonats noch nicht, und ich habe ihn auch später nicht darauf hingewiesen. Erstens weil ich es gar nicht gekonnt hätte (während des Meltdowns kommst du gewiss nicht auf die Idee irgendjemand anzurufen, da kannst du dir nur noch selber beim eskalieren zugucken) und zweitens weil ich auch keine Zuschauer wollte. Wer einen Meltdown erleidet, will damit nichts erreichen - er passiert einfach, ohne das man eine Kontrolle darüber hat, was passiert. Bei einem Wutanfall dagegen sind meistens Zeugen dabei (man denke nur mal an das schreiende Kind im Supermarkt). Ich möchte damit aber definitiv nicht ausdrücken, dass jeder Meltdown im Verborgenen stattfindet und der Rest Wutanfälle sind. Teilweise ist es einem auch einfach nicht möglich, sich so lange runter zu regulieren, bis man im geschützten Bereich ist, es gibt auch Phasen, da ist die Reizüberflutung so heftig, das man an Ort und Stelle eskaliert. 

Fazit

Was eigentlich immer hilft ist zu schauen: Lief irgendetwas in der letzten Zeit frappierend anders als sonst? Gab es ein oder mehrere Events, welche sehr reizintensiv waren? Beschäftigt den Autisten gerade irgendetwas besonders stark? Wenn eine Frage mit ja beantwortet werden kann und man hat das Gefühl, dass die Person sich überhaupt nicht mehr kontrollieren kann, kann man davon ausgehen, dass ein Meltdown vorliegt, anstatt eines Wutanfalls. Warum ist mir so wichtig, dass man die beiden Zustände voneinander trennen kann? Während eines Meltdowns passieren bisweilen Dinge, die wirklich unschön sind. Und ich finde, wenn man weiß, dass diese nicht einfach aus Wut, sondern aus kompletter Verzweiflung und unter komplettem Kontrollverlust passiert sind, lässt sich das als Außenstehender ein bisschen besser einordnen und vielleicht auch aushalten. Einfach weil klar ist: die Person wollte das wirklich nicht. Zusätzlich passiert es autistischen Menschen aber leider auch immer wieder, dass sie aufgefordert werden, sich doch mal zusammenzureißen. Gerade wenn sie erwachsen sind, ist es gesellschaftlich natürlich nicht mehr so wirklich anerkannt, wenn sie vermeintlich ausrasten. Das aber etwas ganz anderes dahintersteckt, erkennen die wenigsten. Und darum wollte ich mit diesem Beitrag ein bisschen aufklären. Denn nichts ist unfairer, als wenn man aufgefordert wird, sich zusammenzureißen, obwohl das Gehirn gerade völlig überfordert ist. By the way: Autist: innen sind keineswegs vor Wutanfällen gefeit. Auch sie können aus den "üblichen Gründen" ausrasten, genau wie Neurotypen, aber bei ihnen gibt es eben noch die andere Möglichkeit.

Habt einen schönen Tag!
Anne 

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