Wie kann man Eltern autistischer Kinder in den Ferien entlasten?

Hallo!

Neulich habe ich Tipps gegeben, wie man Kindern aus dem Autismus-Spektrum den Umstieg von Schule auf Ferien erleichtern kann. Denn für viele bedeutet die Veränderungen zwischen der gewohnten Routine im Schulalltag und der plötzlich gewonnenen Freizeit vor allem Stress (autistische Menschen sind in aller Regel Gewohnheitstiere, die davon profitieren, dass alles einem geregelten Plan folgt und möglichst immer gleich ist). Aber nicht nur für die Kinder bedeuten die Ferien eine Herausforderung... Es gibt eine Gruppe von Menschen, bei denen man vollkommen vergisst, dass sie auch belastet ist und das sogar meist nicht zu knapp: die Eltern! Viele Eltern neurotypischer und "gesunder" (bitte bitte seht mir diese Formulierung nach, mir fällt gerade wirklich keine bessere ein) Kinder, finden Ferien bisweilen sehr anstrengend. Die Kinder wollen ständig bespaßt werden, Geschwister kabbeln sich untereinander (klar, mehr Zeit miteinander = mehr Reibungspunkte), vielleicht wurde der Flug urplötzlich nach vorne verlagert und man muss sich mega beeilen... Ich möchte das ganz und gar nicht klein reden, Ferien können für Eltern wirklich anstrengend sein.

Es gibt aber z. B. im Autismus-Spektrum Kinder, die müssen wirklich nonstop betreut und beaufsichtigt werden. Eltern von solchen Kindern können sich bisweilen nicht einfach mal hinsetzen und gemütlich ein Buch lesen, während der Junior das neue Computerspiel ausprobiert - nein, den Sprössling unbeaufsichtigt zu lassen, kann dazu führen, dass das Kind sich selbstständig macht und das Haus unbemerkt verlässt. Oder die Kinder müssen mehrmals täglich gewickelt werden, und dabei spreche ich nicht nur von Kleinkindern, sondern durchaus auch von 12 - 16-jährigen. Oder es wird vielleicht eine permanente Assistenz bei den Nahrungsaufnahmen benötigt... Eltern von schwer beeinträchtigten Kindern sind in den Ferien in der Regel damit beschäftigt, das Kind entweder auf Schritt und Tritt zu begleiten, um es oder den Hausrat vor größeren Gefahren zu schützen, oder müssen zumindest ständig auf Abruf sein, weil sie bei irgendetwas unterstützen oder assistieren müssen. Für sie bedeuten die Ferien in der Regel keine Erholung, sondern wirklich immensen Stress. Während sie in der Schulzeit ihre Kinder wenigstens für die Zeit des Unterrichts in guter Betreuung wissen und sich ein wenig erholen können, weil sie einfach mal Zeit für sich haben und ihre eigenen Aufgaben erledigen können, haben sie diese Erholungsphasen in der Ferienzeit in der Regel gar nicht. Darum möchte ich heute ein paar Tipps geben, wie diese Eltern entlastet werden können.


Scheut euch nicht die Ferienbetreuung in Anspruch zu nehmen.

In den meisten Schulen wird in den Ferien eine Hortbetreuung angeboten. Viele Eltern haben allerdings ein schlechtes Gewissen, wenn sie dieses Angebot nutzen und die Kinder in den Ferien dorthin schicken. Schließlich kann das Kind dadurch nicht ausschlafen, es muss ggf. bei einem Programm mitmachen, auf das es jetzt nicht hundertprozentig Lust hat, vielleicht haben die Eltern sogar Urlaub - das ist doch quasi wie abschieben... Halt Stop! Ihr seid KEINE schlechten Eltern, wenn ihr euer Kind in den Ferienspielen betreuen lasst. Nein, auch nicht, wenn ihr selbst Urlaub habt. Die Betreuung eines schwerbehinderten / mehrfachbehinderten Kindes ist enorm anstrengend und kann sehr nervenaufreibend sein. Besonders wenn man vielleicht alleinerziehend ist / der Partner beruflich stark eingebunden ist oder noch Geschwisterkinder betreut werden müssen, kann bei mehreren Wochen Ferien komplett der Akku leergesaugt werden. 

Das steigert nicht nur das Risiko gegenseitiger Konflikte, es ist auch einfach für die eigene Gesundheit nicht gut, wenn man keinerlei Gelegenheit bekommt, zwischendurch ein kleines bisschen zur Ruhe zu kommen. Ihr müsst euer Kind ja nicht alle Wochen der Ferien in die Betreuung geben, aber schon ein paar Tage zwischendurch können extrem helfen, den Akku wieder ein kleines bisschen aufzuladen. Ganz davon abgesehen ladet ihr eure Kinder nicht ab. Im Gegenteil - sie werden von pädagogisch geschultem Personal betreut, das mit ihnen tolle Ausflüge macht, bastelt, auf den Spielplatz geht oder irgendwelche anderen tollen Dinge macht. Die Erzieher kennen die Kids meist schon aus dem Schulalltag und gleichzeitig haben die Kinder ein bisschen gleichbleibende Routine, weil sie eben zum Beispiel zur selben Zeit in die Schule fahren, nur dass sie eben in die Ferienspiele gehen, statt in den Unterricht.

Bekannte (vielleicht sogar mit Kindern) einladen

Wenn man nicht das Glück hat, dass der Partner in den Ferien ebenfalls Urlaub hat und vielleicht auch keine anderen Familienmitglieder (wie Tante, Onkel, Oma, Opa) zur zusätzlichen Unterstützung zur Verfügung stehen, ist es sehr schwierig mit beeinträchtigten Kindern irgendwelche größeren Ausflüge zu unternehmen oder sogar in den Urlaub zu fahren. Schon der Schwimmbadbesuch kann zu einer Unmöglichkeit werden. Ergo bleiben meistens nur die eigenen vier Wände. Das kann je nach Dauer der zu überbrückenden Ferien ziemlich ermüdend und einsam sein. Darum mein Tipp: ladet  erwachsene Bekannte / Freunde zu euch nach Hause ein. Einfach mal gemeinsam eine Tasse Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen, vielleicht ein gemeinsames Abendbrot zusammen zubereiten, quatschen... Eben ein bisschen Zeit miteinander verbringen. 

Das hebt auf jeden Fall die Grundstimmung, weil man nicht mehr alleine ist. Und es hat noch einen ganz entscheidenden weiteren Vorteil: vier Augen sehen mehr als zwei.  Ja, man muss immer noch aufpassen, dass das Kind nicht urplötzlich im Wohnzimmer anfängt den Schrank zu erklimmen, oder in der Küche sämtliche Schubladen auszuräumen und sich ggf. am Messer zu schneiden. Aber: man kann sich einfach mal abwechseln! Garantiert folgt auch Franziska deinem Kind gerne mal in die Stube, damit du nicht direkt wieder die Gabel mit dem Stück Kuchen fallen lassen musst. Oder Juliane spielt mal eine Stunde mit deiner Tochter Playstation, damit du mal einen kleinen Mittagsschlaf machen kannst, weil du in der Nacht nur am rennen warst, weil dein autistisches Mädchen einfach nicht schlafen konnte... Vor allem aber hat man nicht mehr die Last der alleinigen Verantwortung wirklich alles vorherzusehen, was dein Kind gleich tun könnte. Es ist schließlich mindestens eine weitere erwachsene Person anwesend, die ebenfalls Augen und Ohren hat. Und wenn sie euer Kind vielleicht sogar schon lange kennt, könnt ihr zwischendurch auch einfach mal ein kleines bisschen abschalten, einfach weil man sich die Verantwortung teilen kann. 

Sprecht mit euren Freunden / Familienangehörigen darüber, was ihr euch wünscht.

Viele Eltern, die in einer solchen Situation sind, scheuen sich teilweise, Freunde oder Familienangehörige um Unterstützung zu bitten. Sie wollen sie nicht belasten, oder denken: "Ach naja, irgendwie kommen wir schon alleine klar... Ist ja schließlich unser Kind, also müssen wir uns auch darum kümmern... Aber darum geht es nicht! Ihr habt Unterstützung verdient, vor allem wenn so eine anstrengende Phase ansteht, kann das so sehr helfen. Und: Viele gute Freunde oder Familienangehörige würden euch vermutlich sehr, sehr gern unterstützen, haben aber keine Idee, in welcher Form sie das tun können. Oder sie ahnen gar nicht, dass ihr Hilfe brauchen könntet, weil ihr ja nichts sagt und offenbar immer so gut zurecht kommt. Vielleicht wollen sie euch auch nicht auf den Schlips treten mit einem Hilfeangebot... 

Dadurch gehen dutzende Chancen für eine kleine Entlastung einfach flöten. Mein letzter Tipp für diesen Beitrag ist daher so simpel wie wichtig: sprecht offen mit euren Freunden oder Familienangehörigen darüber, dass ihr euch Unterstützung wünschen würdet und vor allem in welcher Form sie euch unterstützen können. Sagt einfach offen: "Hey, wärt ihr so lieb, mich in den Ferien ein kleines bisschen zu unterstützen? Es wäre so lieb, wenn du für mich einkaufen gehen könntest, mit Sophia kann ich doch nicht so wirklich raus..." Oder: "Kannst du mit Benny eine Runde Bus fahren? Dabei entspannt er sich immer so schön und ich kann endlich mal die Wohnung aufräumen!" Gebt euch einen Ruck und fragt einfach mal nach! Die anderen haben im Notfall immer noch ein Mund zum nein sagen, aber erst mal könnt ihr es doch versuchen! Ich wiederhole mich, aber die meisten helfen euch garantiert liebend gern und benötigen nur einen Ideenanstoß! 

Anmerkung 

Wie ihr vermutlich mitbekommen habt, sind in dem Beitrag keine überragenden neuen Tipps zu lesen, auf die Eltern nicht schon selber gekommen wären. Sinn und Zweck dieses Beitrags war es tatsächlich den betroffenen Familien Mut zu machen, diese einfachen Entlastungsmöglichkeiten des Alltags auch zu nutzen und ihnen noch einmal aufzuzeigen, welche Vorteile das für die gesamte Familie haben kann. Ein sehr großes Problem ist nämlich tatsächlich, dass die Eltern sich, je länger sie schon mit ihrem besonderen Kind zusammenleben, immer mehr mit der Situation einfach abfinden und sich denken: "Joa, wird schon irgendwie." und überhaupt nicht mehr auf die Idee kommen, Unterstützung wirklich in Anspruch zu nehmen, weil sie denken: "Ich komm schon irgendwie klar!" und sich dabei teilweise an den Rand der Erschöpfung bringen können. Es war einfach mal wieder ein sanfter Erinnerungswecker: liebe Eltern - ihr seid nicht alleine! 

Ihr dürft und sollt euch Hilfe und Unterstützung holen! Damit werdet ihr nicht zu schlechten Eltern, sondern ganz im Gegenteil: ihr tragt damit erheblich zur Verbesserung der Situation bei! Denn es bringt niemanden weiter, wenn ihr die Ferien und den Schulalltag zwar immer ganz alleine stemmt, aber irgendwann einfach völlig ausgelaugt seid. Und wenn die Alltagsunterstützungen nicht ausreichen sollten um euch zu entlasten, ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Es gibt noch zahlreiche professionelle Entlastungsmöglichkeiten für Familien mit behinderten Kindern, wie z. B. die Kurzzeit-/ oder Tagespflege oder den familienentlastenden Dienst. Dazu werde ich entweder in den kommenden Ferien oder demnächst gesonderte Beiträge verfassen. Die genaue Erläuterung davon würde jetzt schlicht den Rahmen dieses Beitrags sprengen. 

Ich wünsche euch für diese Ferien: Mut Hilfe anzunehmen und gezielt danach zu fragen und eine ganz tolle Zeit mit euren Kindern und eurer Familie!

Habt einen schönen Tag!
Anne

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