Notfallpass für Autist: innen

Guten Tag!

Im letzten Beitrag habe ich darüber geschrieben, wie man als Neurotyp autistischen Menschen unterstützen kann, wenn der Sicherheit und Struktur gebende Plan / das gewohnte Ritual / die übliche Routine nicht eingehalten werden kann. Aber natürlich gibt es auch Autist: innen, die häufig ohne neurotypische Begleitung unterwegs sind, weil sie an sich relativ selbstständig sind, nur wenig Unterstützung brauchen und im Alltag ganz gut zurecht kommen. Auch diese Autist: innen sind aber logischerweise nicht vor Situationen gefeit, in denen auch sie gehörig aus dem Konzept gebracht werden. - Situationen, die sie an den Rand der Verzweiflung bringen können, weil sie kein bisschen darauf vorbereitet sind und für die sie keine Lösungsstrategie finden können. Oder sie bekommen aus welchem Grund auch immer einen Shutdown bzw. erleiden einen Meltdown, weil sie verschiedene Reize so stark überfordert haben, dass das Gehirn einfach sagt: okay, jetzt reicht es. 

Momente, in denen die autistische Person dringend Unterstützung anderer Menschen benötigt. Wenn Familienangehörige, Freunde oder Betreuer des betroffenen Menschen dabei sind, ist das ja kein Problem. Ist man allerdings, wie oben beschrieben allein unterwegs, kann das durchaus sehr schnell zu einem sehr großen Problem werden. Denn dann ist man schließlich auf die Hilfe von fremden Menschen angewiesen. Und die wissen logischerweise nicht, was man in diesem Moment gerade braucht, was ein absolutes No-Go ist und haben ohnehin von Autismus eigentlich überhaupt keine Ahnung (was kein Wunder ist, wir sind nun mal in der Minderheit in der neurotypischen Welt und das meiste, was man über Autismus so wahrnimmt, beruht eher auf Mythen...). Diese Menschen sind dann häufig hilflos, haben ggf. Angst vor uns oder tun Dinge, von denen sie denken, dass sie uns helfen, aber das komplette Gegenteil bewirken (z. B. festhalten, intensiv auf uns einreden, etc.). Für solche Momente kann ein sogenannter Notfall-Pass wirklich extrem hilfreich für beide Parteien sein. 

Was ist ein Notfallpass überhaupt?

Ein Notfallpass gibt es nicht nur für Menschen, die von Autismus betroffen sind, sondern tatsächlich für ganz viele Erkrankungen, wie z. B. Epilepsie, Narkolepsie, Diabetes, psychische Grunderkrankungen, etc. Er dient dazu, einer fremden Person, die ggf. noch nie etwas von dieser Erkrankung gehört hat zu vermitteln, welches Problem gerade vorliegt und was gemacht werden muss, um der Person helfen zu können. Gleichzeitig stehen häufig auch Erklärungen auf einem solchen Pass, was tunlichst vermieden werden sollte in einer solchen Situation. So haben vollkommen außenstehende Personen die Möglichkeit, der Person die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie gerade benötigt, ohne auch die geringste medizinische oder psychologische Vorbildung zu haben. Teilweise, wie auf meiner Notfallkarte, steht auch eine Telefonnummer drauf mit einem Ansprechpartner, der dann weitere Instruktionen / Hilfestellungen geben kann. Bei mir ist es der Verbund, in dem meine Psychologin arbeitet, die sich eben mit Autismus auskennt. Das praktische an dem Notfallpass ist, dass die betroffene Person nicht zwingend sprechen können muss, was in den oben beschriebenen Situationen teilweise wirklich schwierig sein kann. Es genügt, wenn sie die Karte aus ihrer Tasche holt und ihrem Gegenüber in die Hand drückt. Es ist dann nicht zwingend erforderlich, weitere Erklärungen abzugeben. 

Welche Informationen beinhaltet der Notfallpass im Allgemeinen?

1. die Bezeichnung der vorliegenden Erkrankung / des entsprechenden Störungsbildes.
2. meist eine kurze Beschreibung der Erkrankung / der typischen Symptome
3. Was kann man tun, um der Person zu helfen?
4. Was sollte tunlichst unterlassen werden?
5. ggf. Ansprechpartner, die weitere Instruktionen geben können oder eine Bezugsperson, die im Notfall kontaktiert werden soll

Meist handelt es sich um stichpunktartige, kurze Informationen. Das nötigste. Mehr ist auch gar nicht erforderlich. Denn die Karte übergibt man ja in der Regel nur im allergrößten Notfall - es geht nicht darum, die Person ausführlich bzgl. dieser Erkrankung zu schulen, sondern ihr ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, damit zügig und ohne große Schwierigkeiten Hilfemaßnahmen eingeleitet werden können. 

Also Punkt 1 wäre logischerweise Autismus (vielleicht die genaue Bezeichnung wie z. B. Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom, Atypischer Autismus), und 2) kann man im Notfall auch recht gut abkupfern, wenn man im Internet einfach mal nach kindgerechten Beschreibungen zu Autismus googelt (die sind meistens wirklich gut aufs wesentliche zusammengefasst). 

Vor zwei Jahren wäre ich aber persönlich noch krass überfordert gewesen, wenn man mich nach den Punkten 3 und 4 befragt hätte. Ich könnte mir vorstellen, dass das vielen Autist: innen so geht, die die Diagnose vielleicht gerade frisch erhalten haben und sich erst einmal selbst arrangieren müssen. Darum werde ich in meinem kommenden Beitrag mal ein paar allgemeine Anregungen geben, was Autist: innen in Krisensituationen helfen könnte, bzw. was eher zu vermeiden ist. Vielleicht hilft das ja dem einen oder anderen, der selbst einen Notfallpass für sich erstellen will, aber eben noch nicht so richtig weiß, was für ihn das richtige ist. Ihr könnt euch ja die Anregungen dann einfach durchlesen und übernehmt dann das, was eurer Meinung nach am besten für euch passt. 

Wo kriegt man solche Notfallpässe her?`

Ich habe natürlich auch schon selbst recherchiert, habe aber keine wirklich sinnvolle Vorlage gefunden. Die meisten beschreiben hauptsächlich Autismus an sich, bieten aber keine Handlungsanleitung für außenstehende Personen in Krisensituationen. Dazu kommt, dass Autismus sich ja sehr unterschiedlich auswirken kann - das Risiko, dass falls eine Anleitung vorhanden ist, sie nicht wirklich auf euch passt ist sehr groß. Ich empfehle euch wirklich, euch gemeinsam mit euren Angehörigen, Freunden, Betreuern oder Psycholog: innen zusammen zu setzen und selbst eine entsprechende Karte zu entwerfen. 

Fazit

Ich finde eine solche Karte ziemlich praktisch. Sie nimmt nicht viel Platz weg (meine ist doppelseitig bedruckt, laminiert und in A5-Größe, sie hängt an meinen Kommunikationskarten dran). Natürlich ist es immer am besten, wenn man jemand dabei hat, der weiß, wie man tickt und was am besten hilft, aber mitunter ist man halt auch einfach mal alleine unterwegs. Und dann kann die Karte goldwert sein, weil man ohne viele Worte zu machen, einem Außenstehenden ziemlich klar mitteilen kann, was er tun soll. Das mindert die Unsicherheit bei diesen Menschen, minimiert aber auch das Risiko, dass dem autistischen Menschen Hilfsmaßnahmen angedeiht werden, die ihm überhaupt nicht helfen, sondern die Situation eher verschlimmern. Es kann in jedem Fall nicht schaden, eine solche Karte einfach mal im sogenannten Handgepäck dabei zu haben - man muss sie ja nicht zwangsläufig verwenden, wenn man doch alleine klar kommt. 

Habt einen schönen Tag!
Anne
 

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