Interview mit dem Berufsbildungswerk Hamburg - Teil 2

Guten Tag!

Heute kommt der versprochene zweite Teil des Interviews mit dem Berufsbildungswerk Hamburgs. Beim letzten Mal habe ich ausschließlich über sehr allgemeine Fragen gesprochen, heute geht es ein bisschen mehr ins Detail. :)

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme / Eignungsabklärung

In fast jedem Berufsbildungswerk gibt es nicht nur die Möglichkeit eine Ausbildung zu absolvieren. Das hat den Hintergrund, dass viele der Teilnehmer noch nicht unbedingt bereit dafür wären, sondern noch einen gewissen Zeitraum benötigen, in dem sie intensiv gefördert und unterstützt werden und die Chance haben, sich so weiterzuentwickeln, dass sie für die Ausbildung auch tatsächlich in der Lage sind. Dazu gehört zum einen die Weiterentwicklung der Selbstständigkeit, ggf. Stabilisierung bei psychischen Schwierigkeiten, Verbesserung der Fertigkeiten, die vielleicht noch nicht so gut entwickelt waren, für eine Ausbildung aber notwendig wären. Diese Maßnahme wird in den Berufsbildungswerken "Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme" genannt. Wenn noch so gar nicht klar ist, wofür sich der zukünftige Azubi interessiert bzw. was trotz seiner Behinderung / seines Störungsbildes möglich ist, gibt es noch die Eignungsabklärung. Dort wird intensiv geschaut, was dem Teilnehmer besonders viel Spaß macht und welcher Beruf für ihn / sie geeignet ist. Das besondere im Berufsbildungswerk Hamburg ist, dass es beide Maßnahmen nicht nur allgemein gibt, sondern auch speziell für autistische Teilnehmer (BvB im nachfolgenden BAS!C genannt) Darauf beziehen sich die nachfolgenden Fragen.

Anne (A = ich) Sind bei der Berufsvorbereitung auch neurotypische Teilnehmer: innen dabei oder ausschließlich Autist: innen?

Berufsbildungswerk Hamburg (kurz BBW): In der regulären Berufsvorbereitung haben wir gemäß des Inklusionsgedankens auch nicht autistische Teilnehmer: innen. Eine dadurch entstehende Neurodiversität übt Toleranz auf allen Seiten. In der Maßnahme BAS! C, die eine Ergänzung zur Berufsvorbereitung darstellt, haben wir zu Beginn eine reine Autist: innen – Gruppe. Im Verlauf der Maßnahme werden jedoch die Teilnehmer: innen in die reguläre BVB übergehen.

A: Wie ist der übliche Tagesablauf in der Eignungsabklärung / der Berufsvorbereitung?

BBW: Am Anfang, direkt am ersten Tag, bekommt jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin einen individuellen Stundenplan. Dieser Stundenplan gilt dann für die Zeit der Eignungsanalyse. Außerdem findet am ersten Tag ein Rundgang durch das BBW statt, sowie die Erklärung der wichtigsten Regeln und Hausregeln. Die jeweiligen Ansprechpartner: innen werden kennengelernt und zum Teil gibt es erste Sicherheitseinweisungen in die jeweiligen Werkstattbereiche. Die reguläre Zeit der Anwesenheit ist dabei von 7:30 Uhr bis 16:15 Uhr. Der einmal wöchentlich stattfindende Schultag beginnt 7:30 Uhr und endet um 12:30 Uhr. Dieser Stundenplan berücksichtigt die Werkstattzeiten, Förderunterricht und Sozialkompetenztraining. 

In der Werkstattzeit geht es vor allem darum, Fertigkeiten und Fähigkeiten auszubauen und zu festigen. Im Förderunterricht werden nicht nur Basiskompetenzen in Mathe und Deutsch bearbeitet, sondern auch binnendifferenziert, sowie am Unterrichtsverlauf und Unterrichtsverhalten gearbeitet. Sollte etwas besonders herausfordernd sein oder Arbeitszeiten nicht leistbar, kann der Tages- und Wochenplan angepasst und die Arbeitszeit individuell gekürzt werden. Wobei immer wieder geprüft werden muss, ob die Maßnahme noch zielführend für den ersten Arbeitsmarkt verläuft. Weiterhin werden regelmäßige Termine bei der Psychologin, der Ergotherapeutin und der medizinischen Fachkraft berücksichtigt, sollten diese individuell notwendig sein. Auch unsere medizinische Fachkraft und unsere Bertriebsärztin werden obligatorisch hinzugezogen.

A: Wie viele Teilnehmer sind üblicherweise in einer Gruppe?

BBW: Unsere Gruppengrößen orientieren sich an Nachfrage und Eignung des Gewerks. Im Durchschnitt haben wir 8-10 Teilnehmer: innen je Gruppe.


Spezielle Förderung autistischer Azubis: Autismus-Coach, Therapie, Förderung

Eine Unterstützungsmöglichkeit von der ich bisher noch nie gehört habe, ist der sogenannte Autismus-Coach (alle Geschlechter sind vertreten). Darum hier mal ein grober Überblick:

A: Wie kann der Autismus-Coach den Azubi konkret unterstützen, bzw. was sind seine klassischen Aufgaben?

BBW: Im BBW Hamburg haben wir eine Fachreferentin für Autismus und einen dazugehörigen Fachdienst. Der Fachreferentin kommt eine zentrale Rolle im Unterstützungsprozess autistischer Teilnehmer: innen zu. Sie berät Teilnehmer: innen und deren Eltern aber auch die Kolleg: innen in den verschiedenen Teams. Sie spricht mit Institutionen, Betrieben und ist in verschiedenen fachspezifischen Netzwerken zum Thema Autismus präsent.

Die Mitarbeiter: innen nehmen an professionsgebundenen Fortbildungen, zum Thema Autismus,  teil, um ihnen mehr Sicherheit und Knowledge   im Umgang und in der Unterstützung autistischer Auszubildender zu geben. Außerdem haben wir im BBW Hamburg unterschiedliche Maßnahmen und Projekte für Autist: innen. Hier lässt sich BAS!C als eine BVB-Maßnahme nur für Autist: innen nennen. Wobei ein besonderer Fokus auf Übergänge und Integration gelegt wird.

Sozialtraining

Zusätzlich findet im Berufsbildungswerk Hamburg für alle Teilnehmer auch Sozialtraining statt. Darin werden verschiedenste Inhalte vermittelt (Persönliche Kompetenz, Methodische Kompetenz, Sozialkompetenz, IT- und Medienkompetenz, Handlungskompetenz). Wer mehr über die einzelnen Punkte erfahren möchte wird hier fündig: Sozialtraining . Grundsätzlich werde ich immer ein wenig stutzig, wenn ich Sozialtraining in Verbindung mit der Autismus-Spektrums-Störung höre, da das immer so klingt, als ob die AutistInnen an ihre Umwelt angepasst werden sollen. Aber: das Sozialtraining findet im BBW für alle Teilnehmer statt, außerdem...

A: Was ist das Hauptlernziel, das die autistischen Azubis bei dem Sozialtraining erlernen sollen und was sind die Hauptübungsmethoden?

BBW: Von einem wirklichen Hauptziel kann man so konkret nicht sprechen, da die Barrieren und Stärken aller Teilnehmer: innen individuell sind. Wichtig ist es am Ende, dass jede Teilnehmer: in im Rahmen der Möglichkeiten in ein Praktikum gehen kann, um sich vor Ort in einem Betrieb zu erproben. Natürlich mit allen personellen Hindernissen, die auftreten können. Diese dann zu bewältigen, wird von unseren Ausbilder: innen und  Sozialpädagog: innen unterstützt.

... ist das im BBW Hamburg wie ihr lesen könnt, überhaupt nicht das Ziel. Wer immer im BBW eine Ausbildung, bzw. eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme absolvieren will, braucht sich wirklich überhaupt nicht vor dem Sozialtraining zu fürchten. Es ist wirklich eine reine Unterstützung und keinesfalls dafür gedacht, die Autist: innen auf links zu drehen (Redewendung). 

Schulbegleitung

Eine weitere Tatsache macht es autistischen (und auch neurotypischen Azubis) die Ausbildung erleichtert: die Berufsschule ist direkt auf dem Gelände des Berufsbildungswerkes. Sie hat sehr kleine Klassen. Das ist aber noch nicht alles. Während der Berufsvorbereitenden Maßnahme findet auch Berufsschulunterricht statt. Und für diesen steht autistischen Teilnehmern (bei Bedarf, es ist keineswegs Pflicht!) am Anfang eine Schulbegleitung zur Verfügung, die ihnen den Einstieg in die neue Umgebung erleichtern soll. Da kommt doch gleich eine Frage auf:

A: Besteht die Möglichkeit der dauerhaften Schulbegleitung in der Berufsschule oder ist das nur für den Einstieg möglich?

BBW: Durch die sehr enge Kooperation mit der Berufsschule 24 und der Klassengröße von 8 – 10 Schülern entsteht dieser Bedarf höchstens zu Beginn der Maßnahme. Eine Begleitung des Unterrichts durch unsere Sonderpädagog: innen - auch direkt in der Klasse - ist sowieso vorgesehen. Bei Bedarf berate ich als Autismus-Fachreferentin auch Lehrer: innen und Schüler: innen, damit der Unterricht für alle Seiten reibungslos funktioniert. 

Autist: innen untereinander

A: Gibt es besondere Angebote, bei denen autistische Teilnehmer miteinander vernetzt werden?

BBW: Wir bieten Autismus-Gruppen (SoKo-Gruppen), durch unsere Psycholog: innen an, an denen Autist: innen auch aus unterschiedlichen Gewerken und Maßnahmen beteiligt sind und ihre sozialen Kompetenzen ausbauen können. Unser BAS!C- Projekt vernetzt auch Autist: innen aus unterschiedlichen Praxisbereichen. In den Internaten gibt es spezielle „Paper and Pen“- Gruppen, die hauptsächlich von autistischen Bewohner: innen besucht werden. Unsere Auszubildenden im Bereich IT, haben einen hauseigenen Chat eingerichtet, über den sich auch unsere autistischen Teilnehmer: innen vernetzen können.

Fazit

Im BBW Hamburg ist man sich den Besonderheiten, Stärken und Schwächen von Menschen im Autismus-Spektrum bewusst und bemüht sich, die Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die diese Teilnehmer benötigen um erfolgreich eine Ausbildung absolvieren zu können und optimal auf das Berufsleben (optimalerweise auf dem freien Arbeitsmarkt) vorbereitet zu sein. Ich hoffe, ich konnte euch einen guten Überblick über die Möglichkeiten im BBW vermitteln. Wenn ihr noch Fragen habt, die weder die Website noch das Interview beantworten und ihr traut euch nicht, beim BBW nachzufragen, könnt ihr diese in den Kommentaren stellen, ich kriege die bestimmt für euch noch raus. Ich möchte aber betonen, dass ihr die Ansprechpartner ruhig direkt anschreiben oder anrufen könnt. Die beißen garantiert alle nicht. :)

Noch einmal vielen vielen Dank an das BBW Hamburg, die mir meine ganzen Fragen so ausführlich beantwortet hat und an Frau J. mit der ich so eine angenehme Kommunikation hatte. :-)

Habt einen schönen Tag!
Anne

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