Interview mit dem Berufsbildungswerk Hamburg - Teil 1

Guten Tag!

Jetzt ist es wieder soweit: in den Schulen geht es in die heiße Phase - das Schuljahresende steht kurz bevor, die Zeugnisse sind in nicht mehr ganz so weiter Ferne und in vielen Bundesländern sind die Abschlussklassen gerade mächtig am Schwitzen über den Prüfungen, oder sind vielleicht sogar schon damit durch. Nur... Nach den Prüfungen ist es ja nicht vorbei - ganz im Gegenteil, dann geht im Prinzip erst so richtig der Ernst des Lebens los. Es steht ein vollkommen fremder Lebensabschnitt an: die Ausbildung geht los! Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, entweder eine Ausbildung auf dem freien Arbeitsmarkt, ein Studium, oder man absolviert die Ausbildung in sogenannten Berufsbildungswerken. Dort arbeiten speziell geschulte Mitarbeiter, die sich mit den meisten bekannten Störungsbildern / Behinderungen auskennen und entsprechend viel besser auf die Auszubildenden eingehen können, als das vielleicht bei einem Ausbilder der Fall wäre, der in seinem Leben noch nie einen Autisten vor sich hatte. Dadurch, dass man im Berufsbildungswerk nicht der einzige Azubi mit Besonderheit ist, findet man dort nicht nur super liebe und verständnisvolle Ausbilder, sondern auch noch optimale Bedingungen vor, die erforderlich oder zumindest hilfreich sind, um seine Stärken voll ausschöpfen zu können. 

Wie kommt man zu einer Ausbildung im Berufsbildungswerk?

Zuallererst ist wichtig zu wissen: man durchläuft im Berufsbildungswerk eine ganz normale Berufsausbildung. Gleiche Inhalte, gleiche Dauer, gleiche Abschlussprüfung am Ende. Man kann sich nach Vollendung der Ausbildung ganz normal auf dem Arbeitsmarkt bewerben und hat dieselben Fähigkeiten wie diejenigen, die ihre Ausbildung in der freien Wirtschaft gemacht haben. Und doch ist es nicht ganz dasselbe. Bei einer Ausbildung in einem BBW handelt es sich um eine Berufliche Rehabilitationsmaßnahme, die gesetzlich geregelt ist und in der Regel von der Agentur für Arbeit finanziert wird. In seltenen Fällen übernimmt die Finanzierung auch die Renten- oder Unfallversicherung. Man bewirbt sich also nicht klassisch, sondern muss sich bei der Agentur für Arbeit beraten lassen, die dann die Ausbildung im BBW finanziert. Teilweise ist es möglich, dass man zwischen mehreren Berufsbildungswerken wählen kann. Es gibt BBWs in den verschiedensten Städten und manche sind auf ganz bestimmte Behinderungen eingerichtet und spezialisiert. In der Regel wird das BBW genommen, das am nächsten am Wohnort dran ist, oder was eben am besten zur Behinderung passt. Bei mir wäre örtlich das BBW Leipzig am nächsten gewesen. Da dies aber für Hör- und Sprachgeschädigte ist, ich aber nichts dergleichen habe, bin ich an das BBW Dresden gekommen. 

Mich hat das damals ziemlich überfordert, weil ich eigentlich keine Ahnung hatte, was mich dort erwartet. Zwar gibt es bei den meisten Berufsbildungswerken eine Website, mit der es sich vorstellt, aber das gibt ja auch nur einen groben Überblick. Darum habe ich mir überlegt, dass ich mal verschiedene Berufsbildungswerke anschreibe und ihnen Fragen stelle, die NICHT auf ihrer Website vorkommen. Damit möchte ich euch helfen, euch ein wenig besser darauf einzustellen, was euch vor Ort erwarten könnte, bzw. Dinge zu erfahren, die ihr vielleicht nicht fragen würdet. Den Anfang macht das BBW Hamburg. Dieses hat sich unter anderem auf Autismus spezialisiert und bietet mehrere Maßnahmen und Unterstützungsmöglichkeiten für Auszubildende mit diesem Störungsbild. 

Warum ist das BBW Hamburg besonders geeignet für Autist: innen?

Zum einen bietet das BBW Hamburg Maßnahmen speziell für Autismus an. Mehr dazu erfahrt ihr im zweiten Teil des Interviews. Außerdem bilden sich die Mitarbeiter dort regelmäßig zum Thema Autismus weiter und arbeiten unter anderem mit den Autismusinstituten Hamburg und Lübeck zusammen, wodurch sie sich immer wieder Unterstützung und Beratung holen können. Man kann also sagen, dass sie im Prinzip immer auf dem neuesten Stand sind. Außerdem gibt es weitere Bedingungen, die für Autist: innen überaus günstig sind:

- Es wird mit der TEACCH-Methode gearbeitet.

- Es gibt auch für wiederkehrende Arbeitsabläufe Handlungsanleitungen - im BBW ist man sich also bewusst, dass autistische Menschen Schwierigkeiten mit der Generalisierung (gemachte Erfahrungen auf andere Situationen übertragen) haben und haben mit diesen Anleitungen eine Lösung dafür gefunden.

- Bei Bedarf erhält man Orientierungshilfen für den Tages- /Wochenablauf.

- Im BBW herrscht eine klare und eindeutige Kommunikation und man hat immer die gleichen Ansprechpartner. 

Nun aber endlich zum Interview :)

Das Interview ist erfreulich umfangreich geworden, weswegen ich es auf zwei Beiträge aufteilen werde. Heute geht es um allgemeine Fragen.

Anne (Ich - A): Autist: innen haben es aufgrund ihrer Besonderheit bekanntermaßen leider schwerer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Was ist Ihre Erfahrung? Wie hoch ist die Quote der Azubis, die nach der Ausbildung tatsächlich in Arbeit kommen?

Berufsbildungswerk Hamburg (kurz BBW): Dass es Autist: innen schwerfällt, nach der Ausbildung in sozialpflichtigen Beschäftigungen Fuß zu fassen stimmt. Unsere Statistik zeigt einmal den Bundesdurchschnitt ganz rechts und in der mittleren Spalte die Kennzahlen im BBW Hamburg - jeweils in Prozent.

 

BBW Hamburg

2021

Bundesdurchschnitt (51 BBWs)

2020

Berufsvorbereitung

Eingliederung nach 12 Monaten

85,6 %

83,6 %

Ausbildung

Eingliederung nach 12 Monaten

67,0 %

64,5 %

Ausbildung

Abbruchquote

11,3 %

12,4 %

Ausbildung

Prüfungsquote

67,0 %

64,5 %

Bei der Kennzahlenerhebung handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren, hier bezogen auf alle Absolvent: innen bzw. bei der Abbruchquote bezogen auf alle Teilnehmer: innen (TN) die in der letzten abgeschlossenen Maßnahme waren. Das Verfahren wurde zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Berufsbildungswerken abgestimmt und festgelegt. Uns ist nicht bekannt, dass unsere Quoten für Autist: innen stark von denen anderer - nicht autistischer Teilnehmer: innen - abweichen.

A: Haben Sie „Partner-Unternehmen“, die besonders bevorzugt autistische Absolventen einstellen?

BBW: Wir arbeiten seit vielen Jahren mit einigen Unternehmen zusammen, die mit festen Teams auf beiden Seiten, autistische Azubis ausbilden und zum Teil dann auch nach der Ausbildung einstellen. Im BBW Hamburg gibt es Teams, bestehend aus Sonderpädagog: innen, Psycholog: innen und Sozialpädagog: innen, die mit den Teilnermer: innen als multiprofessionelles Team zusammenarbeiten. Diese Teams arbeiten langfristig mit Ausbilder: innen – der Partnerunternehmen und Berufsschullehrer: innen der zuständigen Berufsschulen zusammen. Da diese Professionen untereinander gut verzahnt sind und bestehende Prozesse in Ablauf und Betreuung eingespielt sind, können wir dieses Zusammenarbeiten als erfolgreich bezeichnen.

A: Wie bereiten Sie autistische Azubis auf den Bewerbungsprozess vor?

BBW: Da wir nach den Standards der BAG BBW eines autismusfreundlichen Berufsbildungswerkes arbeiten, halten wir auch für die Bewerbungsphase ganze Prozesse zur Unterstützung unserer autistischen Teilnehmer: innen vor. Im gesamten Bewerbungsprozess werden die Teilnehmenden eng begleitet. Das beinhaltet u.a. die Vorbereitung des Gesprächs und die Bearbeitung von Themen wie „Was ist Autismus? und „Was ist mein Autismus?“, da es Teilnehmende gibt, die sich der Besonderheiten nicht bewusst sind. Auch zu den Gesprächen werden die Teilnehmenden begleitet und sollen dann auch die Möglichkeit haben, Probearbeitstage im Betrieb zu machen. Das BBW hält für Betriebe, die noch keine Erfahrung mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum haben, eine Broschüre bereit, die auf die speziellen Bedürfnisse und Problemlagen autistischer Menschen eingehen.  

Das Abschlussmanagement gewährleistet, dass der gegangene Weg reflektiert wird und das Erreichte aber auch die Schwierigkeiten beleuchtet werden.

A: Welche Möglichkeiten gibt es für Autist: innen, bei denen sich herausstellt, dass sie auch nach einer berufsvorbereitenden Maßnahme nicht in der Lage sind, eine Ausbildung zu absolvieren?

BBW: Bei uns in Hamburg gibt es die Möglichkeit, wenn Autist: innen nicht oder noch nicht in der Lage dazu sind, eine Berufsausbildung für den ersten Arbeitsmarkt zu absolvieren, die BVB zu verlängern. Für autistische Teilnehmer: innen gibt es auch die Möglichkeit beispielsweise ein Jahr der „Reifung“ in der unterstützten Beschäftigung zu wählen. Es gibt auch immer die Alternative „zu pausieren“, um eine medizinische Reha zur Stabilisierung anzustreben. Für autistische Teilnehmer: innen, für die eine Berufsausbildung für den ersten Arbeitsmarkt aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen, trotz aller möglichen Nachteilsausgleiche und zur Verfügung stehender Kompetenzen, nicht in Frage kommt, gibt es immer die Möglichkeit, in eine der großen oder auch kleinen Hamburger Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu arbeiten. Diese wiederum sind vielfältig im Angebot und haben unter anderem auch Ateliers im Angebot.

A: Haben Sie auch Erfahrungen mit nicht-sprechenden Autist: innen bzw. mit Autisten, die eine zusätzliche (leichte) geistige Behinderung haben? Wie groß ist bei Ihnen die Chance, eine geeignete Ausbildung zu finden?

BBW: Wir haben immer wieder Autist*innen mit der zusätzlichen Diagnose Mutismus. Da diesen Teilnehmer: innen in der Regel andere Kommunikationskanäle zur Verfügung stehen, gestaltet sich zwar die Begleitung der Teilnehmer: innen anders, aber unterscheidet sich nicht grundlegend in der Arbeit mit anderen Autist: innen. Jedoch spielt die Berufswahl eine entscheidende Rolle dabei. Denn je nach Berufswunsch sind auch entsprechende Kommunikationsfähigkeiten notwendig oder eher nicht. Zum Beispiel im Dialogmarketing mehr, als im Bereich Friedhofsgärtner.   Auch Autist*innen mit einer leichten geistigen Beeinträchtigung haben wir immer wieder mal in der Berufsvorbereitung, wobei es in diesen Fällen besonders wichtig ist, welche der Diagnosen die auftretenden Barrieren verursachen. Also, was genau ist der Autismus und was die kognitiven Fähigkeiten? So können wir gemeinsam in genaueres Leistungsprofil erstellen und mit unseren Teilnehmer: innen gemeinsam beraten, welche Berufe perspektivisch möglich sind. Natürlich im Hinterkopf mit dem Gedanken an den ersten Arbeitsmarkt und ob wir in Hamburg die notwendige Förderung überhaupt leisten können. Selbst mit der Möglichkeit einer theoriereduzierten Ausbildung.


Zwischenfazit

Ich danke zunächst dem Berufsbildungswerk Hamburg, dass sie sich direkt bereit erklärt haben, bei dem Interview mitzumachen. Das ist wirklich superlieb! Nun kennt ihr schon mal den grundsätzlichen Weg, wie man überhaupt seine Ausbildung im BBW absolvieren kann und habt schon mal einen kleinen Überblick, welche Erfahrungen das Berufsbildungswerk Hamburg bereits mit autistischen Menschen gemacht hat. Im nächsten Beitrag wird es dann spezifischer. Hier kommen dann Informationen zu konkreten Unterstützungsangeboten. 

Habt einen schönen Tag!
Anne

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