Fallen AutistInnen häufiger auf "Lügen/Flunkereien" hinein?

Guten Morgen!

AutistInnen nehmen stets alles wortwörtlich und glauben demnach auch alles was man ihnen erzählt, inklusive Lügen. Mythos oder Wahrheit? Genau darum soll es heute gehen. Zuallererst muss ich euch ein wenig enttäuschen: natürlich gibt es keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage, weil das ja von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Es gibt Autisten die fallen auf alles rein, während andere Autisten in dem Punkt super empfindsam sind und alles hinterfragen, schließlich gibt es auch Neurotypen, denen man ohne Probleme alles erzählen kann und sie kaufen es einem direkt ab. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass es autistischen Menschen häufig eher schwer fällt Flunkereien bzw. Lügen zu entlarven. Hier wären ein paar Gründe dafür:

Es fehlt meist die Idee davon, dass andere Menschen überhaupt schwindeln könnten.

Die Mehrzahl der autistischen Menschen ist sehr, sehr ehrlich. Wer mehr zu den Gründen erfahren möchte: ich habe schon mal einen ziemlich langen Beitrag zum Thema "Können AutistInnen lügen?" geschrieben. Da es jetzt den Rahmen sprengen würde, zähle ich hier mal nicht im einzelnen die ganzen Gründe auf. Aber: wenn man selber in der Regel wenig bis gar nicht schwindelt, und es einem ohnehin eher schwer fällt, sich in Menschen hineinzuversetzen, kommt man jetzt nicht grundsätzlich auf die Idee, die Aussagen seiner Mitmenschen zu hinterfragen. Die meisten gehen einfach davon aus, dass es ihrem Umfeld ebenfalls so geht wie ihnen. Klar wissen sie, dass Menschen mitunter schwindeln, aber sie beschäftigen sich einfach nicht damit, ob das gerade der Fall sein könnte. Sie machen es ja schließlich auch nicht. Und wenn man nicht darauf achtet, ist die Wahrscheinlichkeit darauf reinzufallen natürlich ungemein größer.

Meist ist es schwierig, Auffälligkeiten im Verhalten/Gesichtsausdruck festzustellen.

Es gibt so eine Art Sprichwort: "Du flunkerst doch, ich sehe es deiner Nasenspitze an." Das stimmt rein biologisch natürlich nicht. Die Geschichte von Pinocchio ist ein Märchen, die Nase wächst nicht, zumindest nicht sichtbar. Trotzdem erkennt man meist Veränderungen im Gesicht, wenn eine Person schwindelt. Schlichtweg aus dem Grund, weil die meisten Menschen einfach nicht besonders begabt darin sind. Viele Menschen schmunzeln leicht, bzw. gucken absichtlich eher an ihrem Gegenüber vorbei und verhalten sich eher unruhig, weil sie sich mehr auf ihren "Text" konzentrieren, als auf ihre Körpersprache. 

Das ist auch der Grund, warum man mir, wenn ich es denn mal versuche, im Nullkommanichts ansieht, dass das, was ich da gerade von mir gebe, nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich grinse sowieso schon, aber wenn ich versuche zu flunkern, wird das Grinsen unwillkürlich noch breiter. Woran das liegt weiß ich nicht, aber es geht vielen Menschen so, die jetzt keine "Profi-Lügner" sind. Wer sich schon mal mit dem Thema Autismus beschäftigt hat weiß, dass es nicht gerade zu den Kernkompetenzen eines Autisten gehört, Mimik und Gestik des Gegenübers zu deuten. Die meisten lassen es daher einfach gleich bleiben und schauen ihren Mitmenschen gar nicht erst in die Augen/das Gesicht, weil sie dort eh in der Regel keinen nennenswerten Informationszuwachs gewinnen. Wenn man Gesichtsausdruck und Körpersprache aber ignoriert, können einem diese kleinen Besonderheiten aber logischerweise nicht auffallen, ein wichtiges Indiz was wegfällt...

Es fehlt das Gespür dafür, wann eine Geschichte eher weniger glaubhaft ist.

Ich hatte früher einen Partner, von dem jeder aus meiner Familie immer wieder gesagt hat: "Der Typ lügt, wenn er den Mund aufmacht." Fast immer, wenn ich erzählt habe, was er mir mitgeteilt hat, dass gerade in seinem Leben so passiert, haben sie gesagt, dass das Schwachsinn ist. Ich fand das immer unfair - sie kannten ja schließlich weder ihn so richtig, noch waren sie irgendwie dabei um wirklich sagen zu können, dass das nicht stimmt. Ich dachte einfach, dass sie ihn nur nicht leiden können und ihn einfach schlecht machen. Ich habe ihm original ALLES geglaubt, was er mir von früh bis spät so erzählt habe. Das ist das Problem von Autisten: sie gehen meist grundsätzlich davon aus, dass das, was man ihnen erzählt, schon stimmen wird. Weil sie wie gesagt gar nicht den Hintergrund erkennen - warum sollte ich gerade angelogen werden? Sie erkennen die Motivation der Person nicht (Schwierigkeiten sich in andere Menschen hineinzuversetzen). Inzwischen kenne ich ihn so gut, dass ich selber teilweise die Krise kriege, wenn meine Freundin so erzählt, was er ihr erzählt und sage sofort: "Was für ein Müll." Einfach weil ich mehrere Male die Erfahrung gemacht habe, dass zum Beispiel das was angekündigt wird, nie in die Tat umgesetzt wird. Das ist nämlich die gute Nachricht:

Auch Autisten können lernen, zu erkennen, wenn sie angeflunkert werden.

Es wird ihnen niemals wirklich leicht fallen, so etwas zu erkennen. Das nicht. Aber sie gewinnen mit der Zeit an Erfahrung. Wenn sie von einer Person immer wieder dieselbe Art von Flunkerei aufgetischt bekommt und am eigenen Leib spürt, dass diesen Worten nie Taten folgen, wissen sie irgendwann, dass dass diese Aussage nicht stimmt. Sie sind ja auch nicht bescheuert. Eine gewisse Chance besteht auch, wenn sie eine Vertrauensperson haben, die ihnen immer wieder erklärt, warum das, was sie gerade hören, nicht der Wahrheit entspricht und worauf sie achten müssen. Frei nach dem Motto: "Steter Tropfen höhlt den Stein." Wenn man es nur oft genug wiederholt bzw. erklärt, wird es meist verstanden. Es gibt allerdings eine weitere Baustelle, die es AutistInnen erschwert, Flunkereien zu entlarven:

Sie können gemachte Erfahrungen häufig nicht generalisieren.

Generalisieren bedeutet, dass man eine bzw. mehrere gemachter Erfahrungen ein und derselben Art auf andere Situationen übertragen kann. AutistInnen können das in der Regel nicht, weil ihr Gehirn anders verknüpft ist, als das bei Neurotypen der Fall ist. Ich habe das in dem Beitrag zu Routinen schon mal beschrieben und es bildlich verdeutlicht. Wenn sie es schaffen zu erkennen, dass bei Person A eine bestimmte Aussage nie stimmt, bzw. einfach Spaß ist, dann ist das in der Regel schon ein ziemlicher Fortschritt, weil auch das nicht vorausgesetzt werden kann. Schon um das zu beherrschen, braucht es einiges an Wiederholung. Aber die Erfahrung auf andere Personen übertragen? Keine Chance. AutistInnen beurteilen so ziemlich jede Situation komplett neu. Auch im Alltag. Es fällt ihnen schwer Muster zu erkennen und von einer erlebten Situation auf eine neue zu schließen. Das Risiko auf ein und denselben Blödsinn mehrfach reinzufallen, ist demnach signifikant höher als bei Neurotypen.

Fazit

Autisten fällt es schwerer zu erkennen, wenn ihnen ein Bär aufgebunden wird (Redewendung), weil sie Probleme haben Auffälligkeiten in Gestik und Mimik zu erkennen und ihnen die Fähigkeit zum generalisieren fehlt. Das bedeutet aber nicht, dass sie grundsätzlich alles glauben. Auch sie machen schließlich Erfahrungen und haben immer noch die Chance, es kognitiv zu erfassen, wenn sie es vielleicht erklärt bekommen. Grundsätzlich gilt also: wenn ihr eine autistische Person aus Spaß veräppelt, ist es ratsam, hinterher zu prüfen, ob sie es nicht zufällig wörtlich und damit ernst genommen hat. Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass ihr mit ihr keinen Spaß machen dürft, aber ihr solltet sicherstellen, dass auch rüberkommt, dass es nur Spaß war. 

Habt einen schönen Tag!
Anne

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