Brauchen AutistInnen Freundschaften?

Hallo!

Ich habe vor längerer Zeit schon mal einen Beitrag über Autismus und Freundschaft geschrieben. Dort habe ich beschrieben, warum es für autistische Menschen eher schwierig ist, Freundschaften aufzubauen und zu erhalten. Außerdem habe ich aufgezählt, was meines Erachtens Voraussetzungen sind, damit eine Freundschaft wirklich funktionieren kann. Aber benötigen Menschen im Autismus-Spektrum überhaupt Freunde? 

Diese Frage klingt zunächst vermutlich seltsam. Besonders wenn man neurotypisch ist und vielleicht einen recht großen Freundeskreis hat, mit dem man gern auch regelmäßig etwas unternimmt. Aber die Frage ist gar nicht so merkwürdig, wenn man bedenkt, dass eines der Hauptdiagnosekriterien "Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation" ist...  

Manche AutistInnen haben überhaupt kein Interesse an Interaktion.

Besonders bei Menschen mit frühkindlichem Autismus ist das gar nicht mal so selten. Bei Kindern mit dieser Erkrankung könnte man recht leicht den Eindruck gewinnen, dass sie sich eher für Gegenstände interessieren, als für ihre Mitmenschen in der Umgebung. Viele (nicht alle) dieser Betroffenen kapseln sich komplett von ihrer Umwelt ab und leben eigentlich nur im "Inneren". Es wäre für sie eine unfassbare Anstrengung und ggf. sogar eine Qual, wenn man sie dazu zwingen würde, mit anderen Menschen Kontakt aufzubauen und sich auch noch regelmäßig mit dieser Person zu treffen. Das liegt unter anderem daran, dass sie deren Verhalten und Kommunikation häufig nicht verstehen. Autisten haben nicht dieselben Bedürfnisse wie Neurotypen. Ich kenne zum Beispiel einen erwachsenen Autist, der überhaupt keinen Sinn in der Interaktion mit anderen Menschen sieht. Er nimmt lediglich Kontakt auf, wenn er irgendwelche Informationen benötigt oder zur Bedürfnisbefriedigung (er benötigt etwas mehr Unterstützung im Alltag). Er benötigt keine Freunde, um seine Freizeit für ihn angenehm zu gestalten. 

Meistens eher wenige Freunde, eher Bezugspersonen.

Im Kindergarten hatte ich eigentlich nie Freunde, ich bin eigentlich immer meinen Erzieherinnen U und M wie ein Schatten gefolgt, oder habe gemalt, im Sandkasten gespielt, Bücher angeguckt... Mit den anderen Kindern zu spielen, war für mich eigentlich nie interessant. Die waren einfach mit im Raum, haben aber nie irgendetwas gemacht, wo ich gern mit eingestiegen wäre. 

Auch in der Schule hatte ich nur eine Hand voll Freunde, in elf Schuljahren hatte ich 8 Freundschaften: F, S, F, T, D, (J), A, M. Da sich das über mehrere Schuljahre verteilt hat, habe ich eigentlich meist nur 3 richtig intensive Freundschaften gehabt. Und das war mehr als genug. Mit dem Rest habe ich mich eigentlich immer gut verstanden, aber kein gesteigertes Interesse an intensiverer Interaktion mit ihnen. Jetzt ist es so, dass ich drei richtige Freundschaften habe: Toni (ihr kennt sie schon aus dem Freundschaftsinterview), Franzi und Julian (Name geändert), Daniel (Name geändert). Mit denen stehe ich sehr regelmäßig  Ansonsten sind es eher "örtliche/thematische" Freundschaften. Zum Beispiel beim Eishockey habe ich eine Hand voll Menschen, die ich unglaublich gern mag. Zum Beispiel I, S, K, R, C, E, K, A. Außer I und S (mit den beiden habe ich auch außerhalb gelegentlich Kontakt und treffe mich auch mit ihnen) sehe ich die meisten dieser Personen häufig ausschließlich beim Eishockey. Es ist aber tatsächlich auch keine richtige Freundschaft mit diesen Menschen. Ich würde sie eher als meine Bezugspersonen / Hauptansprechpartner bezeichnen. Ich mag diese Menschen richtig gern und teilweise führe ich unfassbar intensive Unterhaltungen mit ihnen, aber ich wüsste nicht, was ich mit den Personen machen würde, wenn ich sie außerhalb vom Eishockey treffen würde. Es ist eher so, dass diese Menschen eine ganz besondere Ausstrahlung haben, die irgendwie dafür sorgen, dass ich mich beim Eishockey wohlfühle. 

Meiste Freizeitbeschäftigungen sind ohne Menschen

Die meiste Zeit meiner Freizeit sehne ich mich jetzt nicht besonders nach Freunden. Ich treffe mich regelmäßig mit meiner Mama, meinem Papa, ab und zu mit meinem Bruder und seiner Freundin und einem Bekannten. Außerdem treffe ich mich regelmäßig per Videochat mit Julian und Toni (sie wohnen nicht in meiner Stadt), und treffe mich sehr oft mit Franzi. Mehr Kontakt brauche ich eigentlich nicht. Die meisten AutistInnen laden in ihrer Freizeit ihren "Akku" auf und beschäftigen sich mit ihrem Spezialinteresse oder Aktivitäten, bei denen sie nichts mit Menschen zu tun haben. Man darf nämlich nicht vergessen, dass die Interaktion mit anderen Menschen für viele AutistInnen ziemlich anstrengend sind, weil Neurotypen und Autisten eine unterschiedliche Art zu kommunizieren haben und die meisten neurotypischen Verhaltensweisen von Autisten nicht so wirklich verstanden werden können. Sie müssen also immer zusätzliche Denkleistung aufwenden, selbst wenn sie nur gemeinsam einen Filmabend machen. Die meisten Autisten können sich wirklich am allerbesten vom Alltag entspannen, wenn sie keinen Kontakt zu anderen Menschen haben. 

Fazit

Die wenigsten Menschen kommen komplett ohne Freunde oder Familie besonders gut zurecht, auch Autisten nicht. Es ist aber Tatsache, dass die meisten Menschen im Autismus-Spektrum grundsätzlich ein niedrigeres Bedürfnis nach Interaktion mit anderen Menschen haben und es gibt auch Autisten, den andere Menschen völlig egal sind. (Sicher auch abhängig von der Stärke des Autismus). Die meisten Autisten haben eine handvoll Menschen, mit denen sie sich dafür richtig gut verstehen.

Habt einen schönen Tag!
Anne

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