Autismus und Synästhesie

Hallo!

Wer hat schon mal von Synästhesie gehört? Richtig: bei Synästhetikern handelt es sich um diese "komischen" Leute, die Farben schmecken, Zahlen farbig sehen, Gerüche sehen können oder zum Beispiel beim Musik hören Farben erkennen. Spoiler: diese Menschen sind selbstverständlich NICHT komisch. Ihr Gehirn hat ganz simpel ausgedrückt nur zusätzliche Verknüpfungen zwischen verschiedenen Arealen, die bei anderen Menschen, die nicht von Synästhesie betroffen sind, nicht vorhanden sind. Sie nehmen bei der Wahrnehmung eines bestimmten Reizes, automatisch einen anderen Sinn zusätzlich wahr. Auch bei Autismus gibt es andere Verknüpfungen, als das bei neurotypischen Menschen der Fall ist. Die Gehirne von Synästhetikern und Autisten haben also beide die Besonderheit, dass sie eine andere Arbeitsweise haben, weil sie äußerlich zwar identisch aussehen, aber innerlich anders verknüpft sind. Das Autism Research Centre der University of Cambridge hat herausgefunden, dass Menschen, die von Autismus betroffen sind, 3x häufiger synästhetische Wahrnehmungen haben, als das bei neurotypischen Menschen der Fall ist.

Wie lief die Studie ab?

Der Hauptverantwortliche für diese Studie war Simon Baron-Cohen, ein britischer klinischer Psychologe und Leiter des Autismusforschungszentrums in Cambridge. Über 200 Teilnehmer wurden damit beauftragt, Fragebögen auszufüllen, die das Auftreten solcher Wahrnehmungen abgefragt haben. Konkret haben 164 Menschen mit Autismus-Spektrums-Störung und 97 neurotypische Menschen teilgenommen. Dabei ist herausgekommen, dass einer von fünf erwachsenen AutistInnen zusätzlich synästhetische Wahrnehmungen hatte, bei der neurotypischen Kontrollgruppe waren das lediglich 7 % aller Teilnehmer - also auffällig weniger.    

Warum sind Autisten so viel häufiger betroffen?

Bei Autismus und Synästhesie handelt es sich um zwei völlig verschiedene Krankheiten. Gemeinsam haben sie aber, dass die Gehirnstruktur ähnlich aufgebaut ist. Bei Synästhesie sind bestimmte Hirnareale miteinander verknüpft, die eigentlich nicht miteinander verknüpft sein sollten. Dadurch entsteht die Vermischung der unterschiedlichen Reize. Bei Autisten ist es so, dass die Neuronen zu stark untereinander verknüpft sind. Betroffene konzentrieren sich extrem stark auf Details, haben aber meist Probleme, das "große Ganze" wahrzunehmen. Die Forscher gehen quasi davon aus, dass deswegen nur wenige neurotypische Menschen Synästhesie haben, weil ihr Gehirn weniger Verknüpfung zwischen den einzelnen Neuronen bzw. Arealen hat. Ihnen fehlt quasi die Verbindungsstraße, um bei einem neutralen Reiz etwas zusätzliches wahrzunehmen. 

Habe ich Synästhesie?

Ein ganz klares Ja. Ein paar Beispiele: Musik von Milow ist je nach Schnelligkeit lindgrün oder tiefhimmelblau. Das fahren mit meiner Lieblingsbahn (XL-Bahn der LVB) ist lindgrün und schmeckt nach Quarkkuchen. Das tiefe hellblau schmeckt nach Karamell, orange schmeckt wie Mentos, einer meiner Kugelschreiber schmeckt wie eisgekühlter Himbeerjoghurt von Mark Brandenburg, die lila Brille meiner Freundin schmeckt nach harten richtig leckeren No-Name-Gummibärchen in Schnullerform. Liebe schmeckt je nach Art nach heißer Himbeermarmelade oder heißer Schokoladencreme wie Nutella. (nein, ich werde hier nicht für Schleichwerbung bezahlt 😀 ) Etwas total spannendes war folgende Situation: In der Institution, bei der ich regelmäßig zu meiner Psychologin gehe, war mal eine Zeit lang unterbesetzt im Empfangsbereich. Damit die Psychologen, die die Vertretung für den Tresen übernommen haben, nicht den Überblick verlieren, hatten sie einen Zettel mit abgebildeten Kreisen und Einkaufschips. Neue Patienten bekamen einen Chip und wurden nach und nach aufgerufen, damit sie sich nicht alle gleichzeitig am Tresen gestapelt haben. Als ich zu einem Termin gekommen bin, war das Wartezimmer gerade leer und alle Chips lagen auf dem Zettel, allerdings ganz und gar nicht akkurat in den Kreisen. Ich habe angefangen, die Chips genau in die Mitte der aufgedruckten Kreise zu legen, was mich unglaublich entspannt hat. Diese Tätigkeit hat für ein super angenehmes pink und Himbeercreme-Geschmack geführt.

Außerdem nehme ich meine Gefühle teilweise in Farben und Formen wahr. Auf all das hat mich meine Psychologin beigebracht - vorher wusste ich nicht, dass ich das kann. Außerdem zeigen mir Farben an, wie ich zu manchen Personen zwischenmenschlich stehe, noch bevor ich die Person ernsthaft kennengelernt habe, teilt mir mein Unterbewusstsein mittels Farbe mit, wie ich die Person finde. Ich sollte damals in bestimmten Situationen immer wieder die Augen schließen und in mich hineinspüren, ob ich irgendwas wahrnehme - sei es eine Farbe oder ggf. eine Form. Wenn ich etwas wahrgenommen habe, sollte ich die Situation aufschreiben und die Wahrnehmung dazu notieren. Ich habe normalerweise Probleme damit, meine Gefühle zu identifizieren und zu verarbeiten, die Farben helfen mir dabei. Denn diese Farben haben eine konkrete Bedeutung, und wenn ich die Farbe sehe, weiß ich was Phase ist und vor allem, wie ich gegensteuern kann. Ich kann das Gefühl teilweise nicht benennen, aber ich weiß was es für eins ist. Das ist ganz schwierig zu beschreiben. Mir bringen meine synästhetischen Wahrnehmungen extrem viel.

Habt ihr schon mal solche Erfahrungen gemacht? Habt ihr vielleicht sogar eine diagnostizierte Synästhesie? Ich wünsche euch einen tollen Tag.

Anne

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