Studie: Autismusanzeichen mittels Ultraschall bei Ungeborenen entdecken

Guten Tag,

ich habe neulich von einer Studie gelesen, die sich damit beschäftigt, Autismus möglicherweise bereits im Mutterleib erkennen zu können. 

Wie wird Autismus aktuell diagnostiziert?

Damit ich auf die Studie eingehen kann, muss ich glaub ich erst kurz erklären, wie Autismus aktuell diagnostiziert wird. Autismus ist im Prinzip ein anderes Betriebssystem. Das Gehirn von autistischen Menschen verarbeitet Dinge anders und hat allgemein eine andere Arbeitsweise, als das neurotypische Gehirn. Das ist die seehr abgespeckte Version der Erklärung. 

Grund dafür ist, dass das einfach unfassbar schwer zu erklären ist - nicht mal Wissenschaftler bzw. Forscher wissen zu hundert Prozent, wie das Gehirn von Autisten funktioniert und was es von dem eines nichtautistischen Menschen unterscheidet. Das liegt daran, dass das Gehirn rein vom Aussehen keinerlei Veränderungen aufweist. Es ist genauso aufgebaut, wie das Gehirn der anderen Menschen. Man weiß inzwischen, dass es anders vernetzt ist, aber auch das ist nicht auf den allerersten Blick zu erkennen. Außerdem hat man auch noch kein Gen gefunden, das grundsätzlich dann verändert ist, wenn der Klient von Autismus betroffen ist, weswegen dieses Störungsbild auch nicht durch einen Gentest diagnostizierbar ist, wie das zum Beispiel bei Menschen mit Trisomie 21 möglich ist. 

Da Autismus also keine körperlichen Veränderungen hervorruft, besteht die Diagnostik aktuell "nur" aus:

  • Befragungen der Betroffenen bzw. deren Angehörigen
  • Verhaltensbeobachtungen (bei den Tests, die bei der Diagnostik stattfinden, soll autistisches Verhalten "herausgekitzelt" werden - keine Angst, das ist nicht wörtlich gemeint)
  • genaues Betrachten der stattgefundenen Entwicklung des Klienten (Befragungen, alte Zeugnisse) 
  • evtl. Probleme, die der Klient im Alltag hat, die auf Autismus hindeuten
  • Intelligenztest
Wenn der Autist sehr gut darin ist, sich anzupassen und nicht aufzufallen, wird eine Diagnostik daher bisweilen schwierig. 


Wie lief die Studie ab?

Mediziner von zwei verschiedenen Krankenhäusern, die an die Ben-Gurion-Universität angegliedert sind, haben mit hunderten Schwangeren Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. Eine konkrete Zahl der teilnehmenden Schwangeren konnte ich leider nicht finden. Bei 30 % aller teilnehmenden Frauen, wurden Anomalien (Besonderheiten) an Herz, Nieren oder Kopf der Ungeborenen festgestellt. Einige davon haben später Autismus entwickelt. Folgende Ergebnisse haben die Mediziner durch die Studie entdeckt: 
  • Die Anomalien der Babys, bei denen später Autismus diagnostiziert wurde, waren 3x mal so stark wie bei den Kindern, die keinen Autismus bekommen haben.
  • Je stärker die Anomalien sind, desto stärker ist der Mensch später vom Autismus betroffen.
  • Es waren mehr weibliche als männliche Babys, bei denen diese Anomalien festgestellt wurden.
  • Wer bereits mit einer angeborenen Krankheit zur Welt kommt, hat angeblich ein höheres Risiko Autismus zu bekommen.

Was könnte dieses Wissen in Zukunft bringen?

Mit dem Wissen über die teilweise Verbindung zwischen Anomalien an den genannten Organen und dem vorliegen von Autismus, können die Ärzte die Wahrscheinlichkeit berechnen, ob das Baby Autismus bekommen wird oder nicht. Dadurch soll frühere Förderung und Therapie des Kindes möglich sein. Bis jetzt ist es nämlich so, dass Autismus frühestens ab 1,5 Jahren diagnostiziert werden kann. Vorher entwickeln sich Kinder derart unterschiedlich im Tempo, dass noch keine Auffälligkeiten festgestellt werden können. Die Idee ist: je früher das Baby intensiv gefördert wird, desto höher ist die Chance, dass es später trotz Autismus ein "übliches soziales Leben" (kein Witz, so haben sie es in dem Artikel tatsächlich geschrieben!) leben kann. Angeblich würde sich die Chance auf ein solches unproblematisches Leben sogar um ein dreifaches erhöhen. Das Baby soll also im Prinzip schon von Geburt an intensiv gefördert werden, schon bevor überhaupt eine Diagnose feststeht.

Zur Erinnerung: Nicht bei allen Kindern mit diesen Anomalien wurde später auch wirklich der Verdacht mit dem Autismus bestätigt. Es kann lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit berechnet werden und dort werden ja noch nicht mal die Babys erfasst, die keine Anomalien haben (nämlich sage und schreibe 70 %). Meines Erachtens ist das die Wahrscheinlichkeit mit dieser Ultraschalluntersuchung wirklich Autisten rauszufiltern, extrem gering.


Was ist meine Meinung zu dieser Idee? (Fazit)

Ich fange mal mit dem Positiven an. Die Untersuchung findet im Rahmen der Vorsorge ohnehin regelmäßig statt. Sie kostet die Mutter also kein zusätzliches Geld, wie das bei manchen anderen Vorsorgeangeboten der Fall ist. Außerdem ist sie völlig schmerzfrei und schadet weder der Mutter, noch dem Ungeborenen in irgendeiner Weise. Und Anomalien an Herz, Niere oder Kopf im Vorfeld zu wissen, kann durchaus hilfreich sein, um zu wissen, was nach der Geburt bei der Betreuung des Babys zu beachten ist. Der Unterschied zum Autismus liegt darin, dass die Anomalien wirklich sichtbar sind, sie sind nachweisbar, daran gibt es nichts zu deuteln - der Autismus dagegen, der möglicherweise bei Vorliegen der Anomalien entstehen kann, ist keine gesicherte Diagnose. 

Meines Erachtens überwiegt bzgl. des Autismus eher das Risiko, die werdenden Eltern mit der Information möglicherweise vollkommen verrückt zu machen. Autismus führt zu keinerlei gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Baby und die Symptome die auftreten, sind in so einem breiten Spektrum, das man nicht mal mit Sicherheit sagen kann, wie schwer das Kind später VIELLEICHT mal darunter zu leiden hätte, WENN es denn den Autismus überhaupt bekommt. Gleichzeitig gibt es aber in der Bevölkerung 187.000 Mythen über Autismus. Wenn also ein unsensibler Arzt den Eltern einfach so hinknallt: "Ihr Kind könnte Autismus bekommen!", könnte das viele Eltern nachhaltig verunsichern. Und das wäre einfach unfair. Das Baby muss keinen Autismus bekommen und niemand weiß, wenn das Kind Autismus hat, wie stark er ausgeprägt wird, es sind also alles ungelegte Probleme und das muss man meines Erachtens den Eltern wirklich nicht zumuten. 

Zu guter Letzt kommt noch das Wohl des Kindes zum Tragen. Therapien und Förderungen sind für Kinder immer eines: anstrengend, und da kann die Förderung noch so spielerisch gestaltet sein. Man schickt doch ein gesundes Baby auch nicht einfach pauschal zur Physiotherapie, weil es vielleicht in anderthalb Jahren Schwierigkeiten damit bekommen könnte, laufen zu lernen. Genauso wenig drückt man einem Teenager schon mal Krücken in die Hand, damit er jetzt schon mal üben kann, wenn er als Rentner vielleicht später mal schlechter laufen kann und die Krücken braucht. Ihr merkt, worauf ich hinaus will, oder? Ein Baby hat genug damit zu tun, sich grundsätzlich zu entwickeln - das ist für so einen kleinen Menschen Schwerstarbeit. Da muss man ihm nicht auch noch zusätzliche Therapien überhelfen, die es vielleicht gar nicht braucht. Außerdem ist mir absolut schleierhaft, wie man ein Baby fördern soll, damit es lernen kann die Funktionsweise seines eigenen Gehirns zu verändern. Autismus ist schon in den Genen verankert, darin ist auch gespeichert, wie stark er mal werden wird - durch vorherige Förderung ist das meines Erachtens absolut nicht beeinflussbar. 

Mein Fazit: es ist schon ganz spannend, dass Anomalien an Organen zu Autismus führen können, aber ich rate dringend davon ab, diese Information an die Eltern weiterzugeben. Die werden nämlich mit der Info, dass z. B. das Herz nicht in Ordnung ist, schon genug zu kämpfen haben. Und dem Baby tut man mit besonders früher Förderung auch keinen Gefallen. Das ist nämlich genau wieder das, was Autisten unglücklich macht: Anpassung und Zurechtbiegung um jeden Preis. Das allerbeste was Autisten passieren kann: sie zu nehmen, wie sie sind und nicht, sie zurechtzubiegen um sie an die Gesellschaft anzupassen. Letzteres funktioniert sowieso nicht und führt nur zu einem extremen Leidensdruck bei ihnen. Mein Fazit klingt jetzt ziemlich hart. Ich finde es ja auch gut, dass die Forschung weiter kommt, was Autismus betrifft, aber das Wissen, was diese Studie zu Tage gebracht hat, ist meines Erachtens einfach zu vage, um wirklich hilfreich zu sein. 

Habt einen schönen Tag.
Anne




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