Neurotyp - Autist: Wie sehen Neurotypen Autisten

Hallo!

Heute kommt der zweite Teil des Freundschaftsinterviews von Toni und mir. In diesem Teil habe ich ihr Fragen gestellt, wie sie einen autistischen Menschen (mich) sieht, bzw. wie autistische Menschen so auf Neurotypen wirken. 

Anne (kurz: A - ich): Was dachtest du bevor du mich kennengelernt hast, wie ein klassischer Autist ist, und habe ich diese Erwartungen erfüllt?

Toni (kurz: T): Offengestanden habe ich die klassischen Klischees im Kopf gehabt... Autisten haben Inselbegabungen, können nicht sprechen bzw. haben allgemein Schwierigkeiten in der Kommunikation. Letzteres hast du definitiv erfüllt. Vor allem am Anfang der Ausbildung hattest du ja wirklich richtig dolle Schwierigkeiten, wo du nur mit Zettel und Stift bzw. Email kommuniziert hast, bzw. nur mit den Ausbildern, Berufsschullehrern und ausgewählten Freunden gesprochen hast. Und in Situationen, die neu für dich sind, ist es ja noch immer so.

A: Was gab es schon für Situationen, wo du gedacht hast: "Jap, die ist ein typischer Autist!" ?

T: Zum Beispiel im Speisesaal bzw. beim essen allgemein. Du hast immer nur dasselbe gegessen - ja keine Überraschungen. Stimmt. Früher beim Frühstück habe ich immer nur Baguettebrötchen mit Butter gegessen. Irgendwann mit viel Vorbereitung habe ich dann auch Honig und Sauerkirschmarmelade aufs Brötchen gemacht. Ja, und auch beim kochen im Wohnheim - wir haben ja effektiv wenn wir gekocht haben, immer dasselbe gekocht: Nudeln mit Wiener und Tomatensoße. Außerdem als du das erste Mal in der Gemeinde warst. Du hast ja wirklich gar nicht gesprochen, bzw. mit mir und Julian (*unser gemeinsamer Kumpel, der in Wirklichkeit etwas anders heißt) und zum Schluss ein kleines bisschen mit unserem Pastor Carlo (*auch er heißt eigentlich anders), aber seehr holprig, kurze und knappe Sätze, die du alle eins zu eins von einem Zettel abgelesen hast. Eben typische Kommunikationsschwierigkeiten. 

A: Welche Vorteile hat es, mit einem Autisten befreundet zu sein?

T: Man erlebt keine großen Überraschungen! (lacht) Eigentlich sind sämtliche Aktivitäten durchgeplant und man muss eigentlich nicht die Befürchtung haben, dass du urplötzlich sagst: Wir werfen den Plan jetzt mal komplett um und würdest jetzt zum Beispiel nicht ganz plötzlich eine ganz verrückte Aktion machen (wenn man mal vom Paintball oder dem mega spontanen Ausflug nach Berlin absieht). Außerdem kann man sich extrem auf dich verlassen. Die Gefahr, dass du urplötzlich absagst, weil du doch keine Lust mehr hast, besteht bei dir eigentlich nie, weil du ja das Treffen fest in deinen Tages- bzw. sogar Wochenplan eingearbeitet hast und es eine viel zu große Umstellung für dich wäre. Das ist wirklich angenehm.

A: Was gab es schon für schwierige Situationen durch den Autismus?

T: Eindeutig als du nach der Alpha (Buchhandlung in Dresden) eine richtig heftige Reizüberflutung hattest und wir mitten in Dresden standen und ich dich dann quasi ins Wohnheim leiten musste. Außerdem der Fast-Shutdown beim Eishockey.

A: Woran kann man so eine Reizüberflutung erkennen und was kann man tun?

T: Der autistische Mensch reagiert nicht mehr so richtig auf Ansprache und versucht selbstständig die auf ihn einwirkende Reize abzuschirmen. Bei der Alpha zum Beispiel hast du dir die Stempelkarte vor die Augen gehalten und dir mit den Armen noch ein bisschen die Ohren zuzuhalten. Außerdem war es irgendwie so, als wärst du im Automodus. Ich hatte dich mehrfach angesprochen und du hast erst beim 4. Mal reagiert... In solchen Situationen hilft es eigentlich nur, den Autisten von der stark reizüberflutenden Situation und in eine ruhige "Ecke" wegbringst und ihn währenddessen so wenig wie möglich mit Fragen bombardierst oder berührst. 

A: In der Gemeinde hatte ich ja schon mal einen Shutdown. Wie wirkt man in diesem Moment?

T: Naja, es ist quasi ein bisschen das Next Level nach der Reizüberflutung. Du hast zusammengekauert wie ein Häufchen Elend und irgendwie in dir gefangen. Es war keinerlei Kommunikation möglich, es war irgendwie als würdest du nur noch als Hülle auf dem Sessel liegen und gar nicht mehr an der Außenwelt teilnehmen würdest...

A: Was hältst du von der Aussage: "Autisten leben in ihrer eigenen Welt"?

T: Autisten leben eher in zwei Welten. In unserer Welt und der, in die sie sich (unwissentlich) "flüchten", wenn ihnen hier alles zu viel ist. Nur "eigene" Welt, stimmt so nicht.

A: Über welche Klischees ärgerst du dich besonders, seit du einen Autisten kennst? Bzw. über welches kannst du nur noch den Kopf schütteln? Warum?

T: Jeder Autist hat eine Inselbegabung. Warum? Weil ich miterlebt habe, wie du als Autistin im wahren Leben eher zu kämpfen hast ("dich anzupassen", wenig aufzufallen, etc.). Und nicht, dass du jetzt für eine Inselbegabung mega gefeiert werden würdest. 

A: Was ist deine Theorie, warum auch volljährige Autisten häufig unaufgefordert von Fremden geduzt werden?

T: Meine eigene Erfahrung ist: wirkst du hilflos, wirkst du jünger. Und Menschen mit Autismus sind im Alltag häufiger mal von auch alltäglichen Aktivitäten irgendwie überfordert sind und ein bisschen mehr Unterstützung benötigen. Anders kann ich es mir nicht erklären.

A: Was ist deiner Meinung nach typisch autistisches Verhalten?

T: Meiner Meinung nach ist das Spektrum beim Autismus so groß, dass es kein "typischen Autismus" gibt. Müsste ich mir jetzt etwas aus den Fingern saugen, würde ich sagen: "Schaukeln als Weg, sich zu beruhigen."

 A: Spaßfrage zum Schluss: Was kann man tun, wenn der Autist einem mehr und mehr von seinem Spezialinteresse erzählt und einem schon die "Ohren bluten"?

T: Das ist eine ziemlich tricky Situation. Versuchen das Thema zu wechseln? (lacht) Ich würde aber keine Erfolgsgarantie geben, dass es wirklich funktioniert. Am besten ist es vielleicht, ihn gar nicht erst auf sein Spezialinteresse anzusprechen...

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So, das war der zweite Streich! Der dritte folgt demnächst! :) Hier stellt mir Toni Fragen zum Autismus, die ich beantworte. Habt einen schönen Tag!

Anne 

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