Neurotyp - Autist: Fragen eines Neurotyps an einen Autisten

Hallo!

Nun sind schon 2 von 3 Teilen des Freundschaftsinterviews von Toni und mir online. Heute ist der dritte Teil dran, dort haben wir den Spieß quasi umgedreht und meine Freundin (neurotypisch) hat mir (autistisch) Fragen über Autisten gestellt. Viel Spaß!

Toni (kurz T): Ich habe während der Ausbildung erlebt, dass du mit anderen Autisten manchmal nicht klar gekommen bist (zwischenmenschlich). Was glaubst du, woran liegt das? Ich meine, theoretisch ticken Autisten ja zumindest teilweise ähnlich...

Anne (kurz: A - ich): Manchen Autisten fehlt der Filter um zu merken, wann ihre Kontaktfreudigkeit bzw. Freundlichkeit/Hilfsbereitschaft überhand nimmt. Dann überschreiten sie meine Grenzen bzw. meinen emotionalen Wohlfühlbereich und nerven dann halt. Außerdem kann es auch unter Autisten zu Missverständnissen kommen - z. B. wenn der eine etwas ironisch meint (jaa, das können wir auch!) und der andere versteht es aber nicht. Zu guter Letzt spielt natürlich auch die mangelhafte Fähigkeit mit rein, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Die einfachste Antwort wäre allerdings glaube ich: auch Autisten sind unterschiedlich und sich demzufolge auch nicht immer unbedingt "grün" (Redewendung). 

T: Merkst du manchmal, wenn sich eine Reizüberflutung anbahnt?

A: Ja, ich werde zunehmend wütend/aggressiv. Ich greife keine Menschen an, auch nicht im Zustand einer Reizüberflutung oder gar eines Meltdowns, aber anschreien oder anpampen kann schon vorkommen, weil eine Reizüberflutung so anstrengend ist, dass ich mitunter die Kontrolle verliere. Außerdem wird mir heiß und mein Puls steigt ziemlich an. Leider treten die Symptome meist erst auf, wenn es kurz vor "zu spät" ist.

T: Wie fühlt sich ein Meltdown und ein Shutdown körperlich an und was tut dir danach gut?

A: Also beim Meltdown habe ich das Bedürfnis mich selbst oder Gegenstände zu schlagen. Außerdem fühlt man sich absolut verzweifelt. Der Körper reagiert gewissermaßen von selber und interessiert sich überhaupt nicht mehr für meinen "freien Willen". Es ist ein ziemlicher Kontrollverlust. Während des Meltdowns habe ich keinerlei Schmerzempfinden, was es ziemlich schwierig macht. In Dresden hatten wir auf dem Fußboden einen unfassbar rauen und harten Teppich. Bei einem besonders heftigen Meltdown, habe ich mir dort schon mal meine Arme aufgerieben und habe erst danach gespürt, dass es extrem weh tat. 

Bei einem Shutdown werden die Beine sehr schwer und ich habe das dringende Bedürfnis, mich zusammenzukauern oder hinzulegen. Während des Meltdowns kriege ich nichts mit, was um mich herum passiert. Ich habe keinerlei Zeitgefühl (daher weiß ich auch nie, wie lange der Zustand angedauert hat, ich merke teilweise noch nicht mal wann er angefangen hat). Außerdem kann ich mich nicht bewegen. Irgendwann "wache" ich wieder auf, weiß nicht was ich gemacht habe währenddessen und bin extrem kaputt. Außerdem ist mir spätestens danach, manchmal aber auch währenddessen ziemlich kalt. 

Nach beiden Zuständen bleibe ich danach noch ein bisschen liegen/sitzen, ohne mich zu bewegen. Danach versuche ich mir immer, etwas zu trinken oder zu essen zu besorgen, um wieder etwas Energie zu tanken. Das kostet nämlich enorm viel Energie. Hinterher kann ich meist nur schlecht laufen, es fühlt sich so ähnlich an, als hätte man Sandsäcke an jedem Bein. Mein Kumpel fragte mich einmal, ob ich mir wehgetan hätte, weil ich so komisch laufe.

T: Man sagt ja: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier" (Redewendung). Autisten ja erst Recht. Isst du jeden Tag das Gleiche? Wie viel Abwechslung herrscht in deinem Speiseplan?

A: Oh ja, ich esse eigentlich fast immer dasselbe.

  • Frühstück auf Arbeit:  Joghurt mit Müsli (selbstgemacht aus Haferflocken, Rosinen, ungesüßte Cornflakes, Leinsamen) / Käsebrezel vom Bäcker / Brötchen mit Butter und Marmelade bzw. Aioli / ganz selten mal Porridge (selbstgemacht)
  • Frühstück zu Hause (also Samstag/Sonntag/Feiertag): Brot oder Brötchen mit Butter und Schinken, selten auch mal mit Kräuterquark, Leberwurst oder Zaziki oder Honig / Leicht getoasteter Toast in Leinöl gedippt. 
  • Mittagessen auf Arbeit: unterschiedlich, weil ich meist in unserem Speisesaal esse und von unserem Caterer mitbestelle. Aber auch da bestelle ich in der Regel das Gleiche. Wenn ich mal etwas Neues bestelle, kann man schon mal drei Kreuze im Kalender machen. Neulich habe ich Kartoffelpuffer bestellt und gegessen!! (Das ist nämlich niemals sicher, dass ich neu bestellte Dinge dann auch wirklich esse!). Wenn ich nicht mitbestellt habe, koche ich mir eigentlich immer Nudeln mit Tomatensoße und Wiener / Fischstäbchen mit Gemüse und Kartoffeln oder Reis / mal Gnocchies vor. 
  • Mittagessen zu Hause: Nudeln mit Tomatensoße und Wiener / Schnitte mit Butter und Schinken (wenn ich keine Lust habe zu kochen) / Fischstäbchen / ... Da ist nicht viel Abwechslung drin. Meist lasse ich das Mittag ausfallen und esse spät Frühstück. 
  • Abendbrot: Achtung, Überraschung: Brot mit Butter und Schinken. Kein Witz! Im Prinzip esse ich dasselbe, was ich auch zum Frühstück essen würde. 
Wenn ich irgendwo zum Frühstück/Mittag/Abendbrot eingeladen bin, bzw. ich Besuch bei mir habe, weiche ich selbstverständlich auch mal von meinem Speiseplan ab. Aber auch da esse ich nur eine geringe Anzahl an verschiedenen Gerichten. Meistens frage ich bei einer Einladung wo es ums essen geht, was es geben wird und justiere ggf. etwas nach. 😜Man würde mich umgangssprachlich vermutlich als ziemlich mäklig bezeichnen.

T: Also trifft dieser Spruch bei dir "voll ins Schwarze" (Redewendung). Außerdem sagt man ja, dass Autisten es überhaupt nicht leiden können, wenn Gegenstände nicht an ihrem Platz stehen. Wie ist das bei dir? Oder hast du eher Mühe Ordnung zu halten?

A: Ich bin der chaotischste Mensch, den du dir vorstellen kannst! (lacht) Momentan habe ich einen Putzplan und schaffe es einigermaßen, mich daran zu halten. So kann eigentlich jederzeit jemand zu Besuch kommen. Sobald irgendetwas aber nicht zweifelsfrei einer bestimmten Stelle zugeordnet werden kann, liegt es rum. Aber wehe die Wohnung wird umgeräumt oder ein Gegenstand, der schon immer identisch ist, soll ausgetauscht werden. Das löst absolutes Chaos in mir aus und ist eigentlich indiskutabel. Einzig halbwegs in Ordnung ist es, wenn man mich mit einbindet bzw. mir versichert, dass etwas jederzeit wieder in den Ursprungszustand versetzt werden kann, wenn es mir nicht zusagt und mich zu meinem Glück zwingen. So bin ich übrigens auch zu meinem neuen Fernseher gekommen. 

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Das war erst mal der letzte Teil unseres Freundschaftsinterviews. Ich habe aber schon ein paar Ideen, welche Menschen in meinem Umkreis ich noch interviewen könnte. Lasst euch überraschen! :) Habt einen tollen Tag!

Anne

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