Vor- und Nachteile von Telearbeit bei Autismus

Guten Tag!

Seit der Coronapandemie ist das Wort "Homeoffice" in aller Munde, bzw. ganz korrekt ausgedrückt Telearbeit. Nächste Woche Freitag nutze ich diese Möglichkeit zum zweiten Mal in meinem Leben. Heute möchte ich auf die Vor- und Nachteile von Telearbeit für AutistInnen eingehen. 

Vorteile
  • Arbeitsweg fällt weg
Gerade bei Menschen mit Autismus die keinen Fahrdienst nutzen, sondern selbstständig mit Bus und Bahn bzw. zu Fuß zur Arbeit fahren, bedeutet ein gewöhnlicher Arbeitsweg bereits sehr viele Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt. Viele Menschen auf engem Raum, laute Geräusche wie z. B. Krankenwagensirenen, Straßenlärm, etc. Außerdem müssen spontane Veränderungen abgefedert werden, wie z. B. wenn plötzlich die Bahn ausfällt, oder Schienenersatzverkehr fährt, statt die normale Straßenbahn, veränderte Abfahrtszeiten, ... Kurz: der Arbeitsweg nimmt schon mal eine Menge der Energie weg, die man für den Tag zur Verfügung hat. Beim Homeoffice spart man sich logischerweise diese Energie, weil man ja nur den Computer anschalten und ist quasi schon auf Arbeit. Das führt dazu, dass man allgemein wesentlich entspannter ist.
  • Es ist konzentrierteres Arbeiten möglich.
Einige autistische Menschen sind extrem leicht ablenkbar, wenn zu viel um sie herum los ist. Im Homeoffice ist es logischerweise viel ruhiger und die Umgebung ist bekannt. Außerdem kommt natürlich niemand zwischendurch rein und stellt Fragen oder hat irgendwelche Anforderungen an einen. Je nachdem ob man ein Diensttelefon dabei hat bzw. sein privates Handy nutzt, oder ob nur die Email zur Verfügung steht, ist zusätzlich die Informationsmenge, die man an einem Arbeitstag erhält, begrenzter, was zusätzlich entspannter ist. 
  • Es ist keine bestimmte Kleidung erforderlich.
Natürlich ist es nicht in allen Firmen erforderlich, aber bestimmte Firmen verlangen einen sogenannten Dresscode, bestimmte Kleidung, die in der Firma eben so üblich ist. Kleidung, an denen die Mitarbeiter sofort ihrem Arbeitgeber zugeordnet werden können bzw. Businesskleidung (förmlich, wie z. B. Hemd bei Männern, Bluse und Rock bei Frauen), weil es in gewissen Branchen so gefordert ist. Die auf Arbeit geforderte Kleidung entspricht aber nicht immer unbedingt den Bedürfnissen der autistischen Menschen, sodass sie auch hier wieder Energie aufwenden müssen, um die Kleidung den ganzen Tag auszuhalten. Außer bei Videokonferenzen, fällt dieser Punkt natürlich beim Homeoffice weg. Hier ist es auch möglich, in Jogginghose am Computer zu sitzen, es kontrolliert ja keiner. Wieder Energie gespart.
  •  Weniger Menschen um einen herum.
Ich persönlich mag meine Arbeitskollegen sehr gern und habe Freude daran, auch zwischendurch mich immer mal mit ihnen zu unterhalten bzw. direkt vor Ort Überlegungen zu bestimmten Aufgaben mit ihnen austauschen zu können. Es gibt aber auch AutistInnen, denen der Umgang mit Kollegen unheimlich schwer fällt und die es sehr stark anstrengt, wenn sie den ganzen Tag unter Menschen sein müssen. Für sie ist die Telearbeit natürlich ein absoluter Gewinn. Sie können sich  ganz auf ihre Arbeit konzentrieren und werden nicht davon abgelenkt, sich "richtig" zu verhalten, bzw. sich zu bemühen, so wenig Kollegenkontakt wie möglich zu haben.

Nachteile der Telearbeit
  • Man muss selbst darauf achten, dass man die Pausen- und Ruhezeiten einhält.
Gerade wenn es sich um eine spannende Aufgabe handelt, ist das Risiko sehr groß, dass man einfach weiter arbeitet, die Pausen durch macht, oder auch nach seiner eigentlichen Dienstzeit, bzw. sogar im Urlaub oder am Wochenende weiter arbeitet. Wenn man nicht von zu Hause aus arbeiten kann, ist das Risiko, sich zu wenig Ruhe und Entspannung zu gönnen, gen null - dort wird man gewissermaßen "herausgekehrt" wenn Dienstschluss ist. Zu Hause ist die Kontrolle weniger gegeben. Hier ist ein großes Maß an Eigenverantwortung erforderlich. 
  • Die Tagesstruktur geht ein Stück weit verloren.
Bei uns auf Arbeit ist es folgendermaßen: Ich fange 07:30 Uhr an mit arbeiten, 09:00 Uhr ist eine Art Tee-/Frühstückspause, weiter arbeiten, 12:15 Uhr Mittagspause, 16:00 Uhr geht es nach Hause, 16:45 Uhr ungefähr bin ich dann zu Hause. Wenn ich Homeoffice mache, werde ich mich natürlich nicht hundertprozentig an die Pausenzeiten halten, es sind ja ganz andere Bedingungen. Hier ist der Speisesaal quasi ganztägig geöffnet und ich muss mich nicht danach richten, wie lange die Ausgabekräfte vor Ort sind - ich bekoche mich ja selbst. Außerdem hat man durch den wegfallenden Arbeitsweg wesentlich mehr Freizeit - wie fülle ich die denn jetzt? Manche Mitarbeiter benötigen die vorgegebene Struktur, die es auf Arbeit gibt um optimal arbeiten zu können - das trifft auch auf Nichtautisten zu. 
  • Es ist sehr viel Eigenregie notwendig.
Im Homeoffice ist man häufig sein eigener Chef und entscheidet, was wann erledigt werden muss. Man teilt sich seine Aufgaben selbst so rein, das alles fertig wird. Auf Arbeit kann der Vorgesetzte wesentlich besser vorgeben, was zuerst und was als nächstes erledigt werden muss. Zu Hause ist auch die Feinabsprache mit dem Chef schwieriger - hier muss man selbst entscheiden, wie man etwas handhaben möchte und muss ggf. nacharbeiten, wenn der Vorgesetzte andere Vorstellungen hatte. Das ist nicht jedermanns Ding.

Fazit

Wie bei allem gibt es sowohl Vor- als auch Nachteile. Hier muss jeder für sich selbst schauen, was überwiegt. Grundsätzlich finde ich Homeoffice für die autistische Bevölkerung aber eine sehr gute Möglichkeit um in der Arbeitswelt teilhaben zu können. Denn im Homeoffice ist der Umfang, wie man sich anpassen muss, wirklich deutlich herabgesetzt, sodass es weniger Energie erfordert und eine bessere Arbeit geleistet werden kann.

Vielleicht gibt es an eurem Arbeitsplatz die Möglichkeit, das Homeoffice mal auszuprobieren. Dann könnt ihr ja für euch testen, wie angenehm oder nicht angenehm es für euch ist. Habt einen schönen Tag.

Anne

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