Neurotyp - Autist: Freundschaftsinterview von Toni und Anne - Teil 1

Hallo!

Heute kommt mal eine komplett neue Kategorie: Interview mit Nichtautisten. Ich möchte euch heute einer meiner besten neurotypischen Freundinnen vorstellen: Toni! Ich habe mit ihr ein dreiteiliges Interview geführt:

- Allgemeiner Teil (damit ihr sie erst einmal kennenlernen könnt)
- Fragen eines Autisten an einen Neurotypen
- Fragen eines Neurotypen an einen Autisten

Heute kommt der Allgemeine Teil. Ihr Name ist leicht verändert, genau wie die anderen Namen, die wir in diesem Interview verwendet haben. Grund dafür ist, dass wir nicht alle Bekannten fragen können, ob das für sie in Ordnung geht, wenn wir ihren Klarnamen verwenden. Also - los geht´s!
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Ich (Kurz: A, für Anne): Wer bist du und woher kennen wir uns?

Toni (Kurz: T): Ich bin Toni, wir sind befreundet, seit wir uns im Berufsbildungswerk Dresden kennengelernt haben. Wir waren zusammen in einer Ausbildungsgruppe und haben uns gemeinsam durch die Höhen und Tiefen der Verwaltungsfachangestellten-Ausbildung begleitet, uns mehr oder minder gegen die Jungs durchgesetzt und sind dabei richtig fest zusammengewachsen.

A: Was war bis jetzt der lustigste Moment unserer Freundschaft?

T: Also ganz eindeutig, wo wir gemeinsam mit Julian (*unser gemeinsamer Kumpel aus Dresden) unterwegs waren. Es gab eine kleine Diskussion, weil wir über eine Ampel wo definitiv kein Auto kam, rüber gehen wollten und Julian meinte: "Nein, rot ist rot. Wir warten so lange bis es grün wird. Ich gehe so gut wie nie bei rot!" Gut, haben wir uns natürlich daran gehalten. Später, als es so Richtung Verabschiedung ging, standen wir an einer roten Ampel und unsere Bahn kam aber bereits an die Haltestelle gefahren. Wir hatten beide nicht so richtig viel Bock, uns jetzt von Julian zu verabschieden und haben uns diebisch über die rote Ampel gefreut - wir haben schon damit gerechnet, dass die Bahn ohne uns weiterfahren würde. 

Julian wollte uns zur Eile antreiben und wäre sogar bereit gewesen, die Ampel ausnahmsweise zu ignorieren, damit wir die Bahn erwischen. Wir, fast im Chor: "Julian! Es ist rot!! 😂😂😂" (Wir würden doch NIEMALS gegen Regeln verstoßen!) Man hat förmlich gesehen, wie es aus seinen Ohren gedampft hat. Er wollte uns unbedingt in der Bahn haben. Wir haben es schlussendlich gerade so geschafft und es war gut so - es war die letzte Bahn, um den Anschlussbus zum Berufsbildungswerk zu erwischen. Puh... Aber sein Blick als wir uns standhaft geweigert haben, trotz der Bahn über rot zu gehen!! 😈😁 Und deiner?

A: Wir hatten einen recht übermütigen Mitazubi im Wohnheim, nennen wir ihn hier einfach mal Moritz. Er hat dich hochgehoben und als du ihn dann ziemlich eindrucksvoll davon überzeugt hast, dich verdammt noch mal wieder runter zu lassen, kam das so abrupt, dass du das Gleichgewicht verloren hast, die Ablage zum Geschirr abtrocknen mit runter gerissen hast und mitten auf den Mülleimern zum sitzen gekommen bist. Das hat vielleicht gekracht. 😂 Du bist kaum gelandet, da ging unsere Tür vom Clubraum auf und der Betreuer (von ZWEI ETAGEN UNTER UNS!!!) kam rein: "Macht ihr hier Polterabend?? 🙉) Was war deiner Meinung nach der schlimmste Moment in unserer Freundschaft?

T: Der riesige Zoff im dritten Lehrjahr... Wir waren beide von einem riesigen Ausflug am Vortag total erledigt und irgendwie mit den Nerven runter, was auch daran gelegen haben wird, dass wir mitten in den Prüfungsvorbereitungen gesteckt haben meines Erachtens. Wir waren beide derart alle, dass wir eigentlich überhaupt nicht gesellschaftskompatibel waren, wir haben aber nicht auf unser Bauchgefühl gehört und sind trotzdem zum Gottesdienst gefahren. Dann haben wir uns angefangen anzuzicken. Und statt uns einfach aus dem Weg zu gehen, wollten wir den Streit unbedingt beilegen und haben es durch ständige Missverständnisse eher schlimmer gemacht... Einfach auch weil wir nicht mal selbst wussten, was wir gerade brauchen, aber von der jeweils anderen vorausgesetzt haben, dass sie das weiß und sich richtig verhält. Unser Kumpel Julian hat dann das einzig richtige getan: er hat angeordnet, dass sämtliche Kontaktanbahnungen untereinander mit sofortiger Wirkung bis mind. 20 Uhr strikt unterlassen werden. 

A: Ganz deiner Meinung. Das war der schlimmste Moment. Gott sei Dank hat Julians Anordnung geholfen. Nachdem wir uns einen kompletten Tag aus dem Weg gegangen sind, haben wir dann im Clubraum um 22 Uhr mit ca. vier Kilo Nudeln und dem Lied "Montagsallergie" unser Kriegsbeil begraben und am nächsten Tag war wieder alles gut. 

T: Was war dein Lieblingsort während der Ausbildung und warum?

A: Eindeutig das Barneby, eine Brettspielbar in Dresden-Neustadt. Ich liebe alles daran, vor allem aber, dass die Betreiber so cool sind. Wir haben einmal auf einen unserer Freunde gewartet und haben auf den dort rumliegenden Postkarten Galgenraten gespielt. Auf einmal kommt der Kellner vorbei und drückt uns einen Block in die Hand. Wenn wir uns mit irgendjemand getroffen haben, dann immer dort. Mein absoluter Wohlfühlort. Wenn die Coronazahlen wieder ein Stück entspannter sind, will ich unbedingt mal wieder dort rein.

T: Warum eigentlich nicht Saschas (*unser Betreuer auf der Etage) Dienstzimmer? 😅 Stimmt, wo du recht hast, hast du Recht. Wir waren ja eigentlich zusammen mit Greta Dauergäste! Apropos: Welche Leute hast du durch mich kennengelernt?

T: Riccarda und Konstantin. Du kanntest sie ja schon aus dem Berufsvorbereitenden Jahr. Und wie ist das bei dir?

A: Daria und Julian, sowie die komplette Gemeinde. Ohne dich, wäre ich nie auf die Idee gekommen, zu einem Gottesdienst zu gehen. Und jetzt ist die Gemeinde genau wie das Barneby ein Wohlfühlort für mich, zumindest die in Dohna... Eine vergleichbare habe ich in Leipzig leider noch nicht gefunden. Wie ich Julian kennengelernt habe, war ja auch so eine Aktion. Wir haben zwar vorher schon telefoniert, aber unser erstes Treffen war ein sogenanntes Blind-Date. Wir haben uns am Bahnhof getroffen und weil du erst später dazu gestoßen bist, haben wir als Erkennungszeichen vereinbart, dass er sein Halstuch von den Pfadfindern ummacht. Man war das aufregend, aber es war der Beginn einer mega coolen Dreierfreundschaft. Was waren eigentlich deine Top 3 der verrücktesten Aktionen?

T: Als du mein persönliches Heimwegtelefon gespielt hast, ist auf jeden Fall Platz 1. Ich hatte den Bus verpasst nach einem Ausflug, habe beschlossen zu laufen und habe mich: verlaufen. Bzw. wusste ich im groben wo ich bin, aber du warst vollkommen irritiert am Telefon, weil du keinen Plan hattest, wo ich bin. Du hast mich telefonisch begleitet und mich dann überredet ein Taxi zu nehmen, das waren dann vielleicht noch 800 m, aber sicher ist sicher. Dann das Auto mit Friktionsantrieb und der spontane Ausflug mit Julian und seinen Kumpels zum Paintball. Und deine?

A: Wie wir auf dem Beachvolleyballplatz die 40-jährige Wüstenwanderung nachgestellt haben, die in der Bibel beschrieben wird. Selbstverständlich haben wir es ein wenig abgewandelt - wir sind 40 Runden durch den Sand, immer am äußersten Rand entlang, unsere Manna waren Gummibärchen. Dann auch definitiv unseren Ausflug zum Paintball und unseren Spontanausflug nach Berlin, als du mich besucht hast. Wir saßen früh bei unserem Waffelfrühstück und ich hab zu dir gesagt: "Weißt du was? Wir fahren jetzt nach Berlin!" Das war vielleicht cool! Vor allem neben Elyas M Barek zu sitzen - zwar nur als Wachsfigur, aber immerhin! Was war deine größte Ermutigung durch unsere Freundschaft?

T: Als du und Daria mich bei der mündlichen Prüfung begleitet habt. Wir haben uns gegenseitig Mut zugesprochen, das war echt wichtig, ich war sooo aufgeregt. Und bei dir? 

A: Auch die mündliche Prüfung. Es hat mich irgendwie beruhigt, dass ich wusste, dass ihr und unsere Ausbilderin aus dem 1. Lehrjahr vor der Tür saßt. Dadurch habe ich mich nicht so alleine gefühlt. Aber auch der Einsatz in der Gemeinde war richtig stark. Du warst mit den Rangern beschäftigt und ich wollte bei dem Arbeitseinsatz mitwirken, was natürlich schwierig war, weil du als Hauptansprechpartner ja ausnahmsweise mal nicht dabei warst. Aber du hast mir Mut gemacht und am Ende habe ich mich getraut. Stark war das!! Was ist die größte Kuriosität in unserer Freundschaft?

T: Eindeutig, dass du immer vor mir wegrennst! (lacht) Oh ja, ich glaube, das müssen wir kurz erklären: es fällt mir unsagbar schwer, mit meinen Mitmenschen Schritt zu halten - egal wer das Gegenüber ist. Gerade wenn ich mich mit demjenigen unterhalte, kann ich mich nicht darauf konzentrieren, nicht zu schnell zu laufen. Das war immer so witzig, wenn wir mit Julian und Daria unterwegs waren. Erst kamen du und Julian, dann kam ne ganze ganze Weile nichts, und dann kamen irgendwann dann Daria und ich. Gott sei Dank konnte sie wenigstens Schritt halten. Und bei dir?

A: Ich sag nur: "Wer begleitet hier eigentlich wen?" Bei Aktivitäten wie Madame Tussauds, Konzerten, Schwimmbad, Museumsbesuchen kommen wir wegen deinem B im Behindertenausweis (Begleitperson kommt kostenfrei rein, weil Toni eine Gehbehinderung hat) ja eigentlich immer wesentlich günstiger weg. Wir teilen uns dann in die Kosten rein. Offiziell begleite ich sie, weil sie ja schlecht laufen kann. Inoffiziell könnte ich dutzende Aktivitäten ohne IHRE Begleitung überhaupt nicht machen, wegen meinem Autismus. Ich habe aber kein B, weil die Behörden irgendwie noch nicht kapiert haben, dass Autisten auch nach ihrem 18. Lebensjahr immer noch Begleitung brauchen teilweise. Offiziell begleite also ich sie, aber eigentlich begleitet sie mich. 

T: Frage zum Schluss: Was waren die lustigsten Sätze, die bei uns gefallen sind?

A: "Lass uns Joghurt!" Und deiner? "Ich trinke nicht die Bowle, ich esse nur die Früchte raus!" Erzähler aus dem Off: Ob das so eine gute Idee war?

Sooo, jetzt habt ihr Toni ein bisschen kennengelernt. Der nächste Teil geht dann um Autismus. Habt einen schönen Tag.

Anne

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