Leben AutistInnen in ihrer eigenen Welt?

Hallo!

Wenn Menschen sich über Autismus unterhalten, ist eine der häufigsten Auffassungen der Neurotypen, dass autistische Menschen in ihrer eigenen Welt leben. Aber ist das überhaupt so? Was ist damit gemeint und wie kommen die Leute darauf? Darum soll es heute gehen.

Wir leben auf dem Planeten Erde. - Genau wie Nichtautisten!

Wenn man es, wie für Autisten üblich, wortwörtlich nehmen würde, könnte diese Aussage bei AutistInnen zu schwerer Verwirrung führen. Denn wir leben genau wie Nichtautisten auch, auf dem Planeten Erde. Wenn wir einen extra Planet, nur für uns allein hätten, wäre das zwar ganz hübsch mitunter, jedoch könnte man uns dann überhaupt nicht sehen bzw. würde man nichts von unserer Existenz wissen. Es weiß aber jeder Nichtautist, dass es Autisten gibt bzw. kennen einige auch autistische Mitmenschen oder haben sogar welche in ihrer Familie. Wir sind doch keine Aliens, die zum Beispiel auf dem Mars leben. 

Bei der Beschäftigung unserer Spezialinteressen sind wir teilweise völlig versunken.

Ganz ehrlich? Ich weiß selbstverständlich wie dieser Spruch gemeint ist, auch wenn ich ihn früher irritierend fand. Ein Grund, wie man zu dieser Idee kommt ist vermutlich die Beobachtung von uns, wenn wir uns mit unseren Spezialinteressen beschäftigen. Viele Autisten gehen so stark in dieser Beschäftigung mit ihrem Themengebiet auf, dass sie teilweise vollkommen vergessen, wie spät es ist, wie viel Zeit gerade vergeht, dass sie essen/trinken müssen, etc. Es kann sogar soweit gehen, dass sie zum Teil nicht einmal mitbekommen, wenn jemand versucht mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wenn wir dann nicht auf Ansprache reagieren, könnte man mitunter annehmen, dass wir in eine eigene Welt abgetaucht sind, in der uns niemand erreichen kann durch Ansprache, etc. Dazu kommt, dass die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, häufig nicht den "klassischen" Interessen von Neurotypen entsprechen. Es gibt Autisten, die beschäftigen sich mit absoluter Hingabe mit Ventilatoren, Lichtschaltern, Programmierung, Fahrstühlen, etc. Diese Interessen entsprechen nicht denen der üblichen Umwelt. 

Wir legen anderes Verhalten an den Tag, kommunizieren anders.

Das geht schon mit der Sprache los. Diese wird überwiegend wortwörtlich verstanden. Auch AutistInnen kennen Ironie, Sarkasmus und Sprichwörter, aber die Anwendung ist schwierig. Mir gelingt es relativ gut, dass ich merke: "Das kann doch jetzt unmöglich ernst gemeint sein" bzw. weiß ich ziemlich genau, in welchen Situation was höchstwahrscheinlich ironisch bzw. sarkastisch gemeint ist oder wann es sich um ein Sprichwort handelt. Das hab ich einfach in meiner Umwelt und im Alltag gelernt, andere sind darin aber bei weitem nicht so gut. Aber nur weil man zum Beispiel ein Sprichwort als solches enttarnt, muss das noch lange nicht heißen, dass man versteht was damit gemeint ist. Zum Beispiel: "Die hat Haare auf den Zähnen!" Welche Haare? Ich seh da keine! Inzwischen habe ich verstanden, was der Spruch bedeutet (Er/Sie kann sich gut behaupten und lässt sich nicht unterkriegen!) aber Sinn macht das deswegen für mich noch lange nicht. Das Unverständnis für diese sprachlichen Besonderheiten führt zu häufigen Missverständnis in der Kommunikation zwischen Neurotypen und Autisten. Diese können mitunter schon den Eindruck vermitteln, dass Autisten irgendwie nicht so ganz von dieser Welt sind.

Ein weiterer Punkt ist Körpersprache. Die meisten AutistInnen setzen diese eher weniger ein, wir setzen auf sprechen. Es fällt Autisten relativ schwer, anhand von Körpersprache und Mimik herauszufinden, wie sich unser Gegenüber gerade fühlt. Das liegt vermutlich wirklich daran, dass wir sie selbst nur sehr spartanisch verwenden. Es ist aber auch ein Problem, denn wenn man unausgesprochene Emotionen nicht wahrnimmt, kann es durchaus passieren, dass man super fröhlich und laut in einen Raum reingepoltert kommt, und nicht mitkriegt, dass darin gerade gezofft wurde und die Leute gerade eher nicht in der Stimmung für witzige Storys sind. 

Verhalten von frühkindlichen Autisten

Menschen mit frühkindlichem Autismus haben häufig kein Interesse an der Interaktion mit ihrer Umwelt, oft nicht mal mit ihrer Familie. Bei Menschen mit Asperger-Syndrom bzw. atypischen Autismus trifft dieses Merkmal zum Glück nicht unbedingt zu, aber bei Autisten mit oben genanntem Störungsbild ist das ziemlich häufig. Viele Kanner-Autisten sprechen nicht oder nur sehr wenig, interagieren nicht mit ihrer Umwelt, sondern beschäftigen sich lieber allein mit ihrem Spielzeug oder anderen Gegenständen. Bei besonders schweren Fällen, ist es sehr schwer, an sie "heranzukommen", sie wirken so, als würden sie von ihrer Umwelt überhaupt nichts mitbekommen, hier kann ich nachvollziehen, weswegen der Eindruck der "eigenen Welt" zu Stande kommt. Aber auch sie leben nicht in ihrer eigenen Welt, ich würde es eher als in-sich-gekehrt bezeichnen, das ist meines Erachtens auch irgendwie respektvoller. Ich möchte aber betonen, dass nicht alle frühkindliche Autisten so schwer von ihrem Autismus betroffen sind, es gibt auch durchaus Betroffene, die besser mit ihrer Umwelt interagieren können.

Ich hoffe, ich konnte mit dem Vorurteil ein bisschen aufräumen. Habt einen schönen Tag! :)
Anne

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