Wie sinnvoll ist Sozialtraining für AutistInnen?

Hallo!

In vielen Selbsthilfegruppen für Autisten, in Berufsbildungseinrichtungen/Schulen die autistische Menschen betreuen, sowie in vielen Therapieangeboten für Autisten wird unter anderem Sozialtraining angeboten.  Im Berufsvorbereitenden Jahr war es sogar Pflicht (Da allerdings für alle Azubis, egal ob Autist oder nicht. Alle mussten mitmachen.). Und auch bei der Autismusgruppe im Berufsbildungswerk war Sozialtraining immer auch ein wichtiger Bestandteil. Aber bringt das überhaupt etwas? 

Was ist die Idee dahinter?

Autistische Menschen haben bekanntermaßen Probleme, sich in neurotypische bzw. mitunter auch in andere AutistInnen hineinzuversetzen. Wie fühlt sich eine Person? Warum reagiert sie so, wie sie reagiert? Wie verhalte ich mich am besten in einer Gemeinschaft? Was erwartet man von mir? Was sollte ich lieber nicht sagen, weil sich eine Person eventuell davon verletzt fühlen könnte? All diese Fragen sind Erkenntnisse die neurotypische Menschen im Laufe ihres Lebens (meist bereits schon im Kindesalter) automatisch bzw. durch Feedback von anderen Menschen in ihrem Umwelt erlernen. Autisten fehlt diese "Antenne". Die Idee des Sozialtrainings: wenn sie es nicht intuitiv erlernen, müssen wir es ihnen eben beibringen/erklären/erläutern, damit sie es umsetzen können. Es soll also prinzipiell eine Hilfestellung für den Autisten sein, in seiner Umwelt besser klar zu kommen und vor allem möglichst wenig negativ aufzufallen. Klar - je besser man versteht, wie man sich in der Umwelt verhalten sollte, desto besser kann man sich danach richten und fällt nicht auf. 

Was sind Gründe, die für ein Sozialtraining sprechen?

Es herrscht der weitverbreitete Glaube, dass Autisten sich überhaupt nicht für ihre neurotypische Umwelt bzw. überhaupt für Menschen interessieren. Sie wollen es gar nicht unbedingt wissen, wie andere ticken und haben auch kein Interesse daran, sich anzupassen. Ja, es gibt Autisten auf die das zutrifft. Bei vielen Autisten handelt es sich allerdings auch um ein Vorurteil. Besonders Menschen die vom Asperger-Syndrom betroffen sind, sind dagegen sehr interessiert zu verstehen, wie ihre Mitmenschen ticken und wollen auch Freundschaften schließen, wissen allerdings nicht, wie sie es anstellen sollen. Jeder der behauptet, dass Autisten nichts über neurotypische Menschen wissen will, sollte mal in unserer Autismusgruppe vorbeischauen - er würde staunen, wie oft die Frage an unsere Psychologinnen gerichtet wird, warum Neurotypen dies oder das tun. Ein freiwilliges Sozialtraining das vermittelt, wie andere Menschen ticken, kann also durchaus sinnvoll und sogar gewünscht sein.

Grundsätzlich sollte außerdem jeder die Möglichkeit haben zu erfahren, wie er sich in seiner Umwelt verhalten sollte, um positive Kontakte mit Menschen erleben zu können. Wenn man jetzt sagen würde, dass Autisten das eh nicht verstehen und man ihnen darum grundsätzlich nichts zu anderen Menschen erzählen würde, wäre es doch auch wieder unfair, oder? Denn bis zu einem gewissen Punkt können auch Autisten solche Dinge erlernen / auswendig lernen. Wenn sie es nun aber gar nicht erst erklärt bekommen würden, könnten sie es ja gar nicht richtig machen... 

Probleme an Sozialtrainings

Leider sind die meisten Sozialtrainings überhaupt nicht gut auf Autisten zugeschnitten, bzw. einfach massiv anstrengend und nicht sinnvoll. Grund dafür ist, dass viele dieser Trainer keine Ahnung von Autismus haben und viel zu hohe Ansprüche stellen. Ihre (meist unausgesprochene Forderung) ist: "Ich erkläre dir, wie sich Neurotypen verhalten / woran du Gesichtsausdrücke identifizieren kannst / wie du Smalltalk führst / wie du dich in einer Gesellschaft verhältst, und dann kannst du es anwenden." Genau das funktioniert bei AutistInnen aber nicht. Das kann man bei ihnen einfach nicht voraussetzen. Zu dem Störungsbild des Autismus gehört schlicht und einfach, dass sie Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen haben, sich schwer in andere Menschen hineinversetzen können, sowie grundsätzlich Schwierigkeiten im Sozialverhalten haben. Und Autismus ist nicht heilbar. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass auch ein Sozialtraining diese Probleme nicht beseitigen kann. Das kann selbst der motivierteste Trainer nicht realisieren. Genau aus diesem Grund ist Autismus auch mitnichten die Auswirkung von schlechter Erziehung. Eltern können noch so oft auf ihre Kinder einreden - wenn diese die sozialen Regeln nicht verstehen, können sie sie nicht umsetzen. 

Es kann durchaus möglich sein, dass einzelne Dinge aus dem Sozialtraining verstanden und korrekt umgesetzt werden können - viele Autisten schaffen das, weil sie eine relativ hohe Intelligenz aufweisen und recht gut Verhaltensweisen kopieren können. Sie beobachten ihre Umwelt sehr genau und merken schnell, welche Verhaltensweisen gut in der Umgebung ankommen und versuchen sie nachzuahmen. Es ist und bleibt aber nur ein kopieren - dass sie es verstanden haben, heißt das noch lange nicht. Und wenn man etwas nur kopiert - aber nicht versteht, ist das Risiko verdammt hoch, dass man immer wieder Fehler in der Anwendung macht. 

Zusätzlich wird häufig mit Rollenspielen gearbeitet, womit Autisten überhaupt nichts anfangen können. Bei Neurotypen macht diese Übungsmethode durchaus Sinn, weil sie die Fähigkeit besitzen, sich in die Person, die sie spielen, hineinzuversetzen. Außerdem gelingt es ihnen, das erworbene Wissen in ihren Alltag zu integrieren. Bei Autisten dagegen ist das Problem, dass sie nicht generalisieren. Jede Situation wird neu bewertet, häufig kann nur sehr bedingt auf vergangene Erfahrungen zurückgegriffen werden, da die Situationen ja nicht eins zu eins gleich sind. Rollenspiele sind dadurch nahezu vollkommen sinnfrei, weil die im Rollenspiel erlebte Erfahrung nicht übertragen wird.

Was macht ein perfektes Sozialtraining für Autisten aus / wann ist es für sie sinnvoll?

1. Es muss freiwillig sein. 

Wann lernt man am besten? Wenn etwas Spaß macht und man mit Freude und Motivation dabei ist. Wenn man dagegen gezwungen wird, sitzt man in der Regel nur seine Zeit ab, macht mit Mühe und Not die Übungen mit, aber beschäftigt sich eigentlich nicht mit dem vermittelten Thema. Wie soll dabei etwas hängen bleiben?

2. Die Autisten sollten niemals unter Druck gesetzt oder bloß gestellt werden.

Dem Trainer / der Trainerin sollte immer die Grundproblematik des Autismus bekannt sein. Außerdem muss ihm klar sein, dass Fehler nicht an ihrer Inkompetenz liegen, sondern daran, dass hier einfach die störungsbedingte Grenze erreicht wurde. Er sollte auch wissen, dass nicht jeder Autist gleich ist und das jeder seine eigenen Stärken und Schwächen hat. Was der eine Autist super versteht, kann für den nächsten schon wieder unbegreiflich sein. Ich zum Beispiel kann schon relativ gut spüren, wenn die Stimmung meiner Umgebung irgendwie merkwürdig ist, während andere Autisten trotz intensivster Erklärungen sich quasi verhalten wie ein Elefant im Porzellanladen. (Redewendung) Darum sollte ihnen auch niemals vorgeworfen werden: "Die anderen können das doch auch, warum stellst du dich so an?!"

3. Das Training sollte auf das Angebot der Wissensvermittlung fokussiert sein.

"Alles kann, nichts muss." Das sollte das Zaubersätzchen in einem solchen Sozialtraining sein. Ein einfaches: ich erkläre es dir, du schaust, ob du etwas daraus mitnehmen kannst und darfst Fragen stellen. Außerdem können wir das vermittelte Wissen mit Unterstützung von Hilfsmitteln wie Checklisten, die bei den Übungen verwendet werden dürfen, gemeinsam üben. Wenn das nicht gewünscht ist, ist das auch in Ordnung. Ich glaube dann fühlen Autisten sich auch bei einem solchen Training wohl und sind viel motivierter bei der Sache.

Wichtig ist auch, dass die AutistInnen über die Inhalte bestimmen können. Schließlich wissen sie ja am besten, was sie besser verstehen wollen und was sie interessiert. Natürlich können immer auch Angebote gemacht werden, die der Pädagoge/Psychologe für sinnvoll erachtet, aber letztendlich sollte immer ein Mitspracherecht bestehen. Wir haben zum Beispiel für unsere Autismusgruppe Sozialtraining abgelehnt. Wenn wir etwas konkretes wissen wollen, machen wir das zum Thema und bekommen alles darüber erklärt, aber wir machen nicht grundsätzlich solche Wissensvermittlungen/Übungen. Angeboten wurde es uns aber.

Auf gar keinen Fall sollte das Ziel sein, die Autisten möglichst umzuformen und unauffällig zu machen. Wenn es nur darum geht, dem Autisten das "richtige" Verhalten in einem Umfeld beizubringen, sind diese Trainings absolut nicht sinnvoll, sondern einfach nur eine Quälerei. 

Fazit

Ein Sozialtraining kann, wenn es auf Autisten zugeschnitten ist, definitiv sinnvoll sein und sollte als freiwilliges Angebot wahrgenommen werden können.

Habt einen schönen Tag!
Anne







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