Warum werden weibl. AutistInnen seltener diagnostiziert?

Guten Tag!

Wenn man nach den Statistiken geht, sind Jungen deutlich häufiger von Autismus betroffen als Mädchen. Auf ein Mädchen kommen vier männliche Autisten, beim Asperger-Syndrom ist es sogar so, dass die Jungs elf mal häufiger betroffen sind. Das kann an bestimmten genetischen Voraussetzungen liegen, welche gerade erforscht werden, darauf möchte ich heute aber nicht eingehen. Das ist genug Stoff für einen eigenen Beitrag. Ich glaube jedoch, dass es in Wirklichkeit wesentlich mehr Autistinnen gibt, als offiziell bekannt ist - weil sie nicht diagnostiziert werden. Jungen und Mädchen weisen zum Teil unterschiedliche Symptome auf. Da Jungen aber häufiger von Autismus betroffen sind, sind die Diagnostikkriterien eher auf sie ausgerichtet, wodurch Mädchen durchs Raster fallen. 

Mädchen sind unauffälliger.

Aufgrund der mit dem Autismus einhergehenden sozialen Schwierigkeiten, sind autistische Jungen teilweise derart überfordert, dass sie mit aggressivem bzw. herausfordernden Verhalten auf Probleme reagieren. Herausforderndes Verhalten bedeutet übrigens keineswegs, dass der Autist/die Autistin ihr Umfeld damit provozieren und zu einer Reaktion bringen will, sondern es ist herausfordernd für das Umfeld, auf dieses Verhalten zu reagieren. Mit Provokation an sich hat das nichts zu tun, in der Regel ist dieses Verhalten mitnichten absichtlich durch das Kind hervorgerufen. Jungen mit Autismus legen zum Teil selbstverletzendes Verhalten an den Tag, stören den Unterricht, prügeln sich, etc. Sie wissen einfach nicht, wie sie mit ihren Problemen umgehen sollen. Bei Mädchen sind Verhaltensauffälligkeiten eher seltener. Sie haben die gleichen sozialen Schwierigkeiten, ziehen sich dann aber eher zurück. Sie wirken eher schüchtern und zurückhaltend. In der Gesellschaft ist es aber als recht normal anerkannt, wenn ein Mädchen ruhig und eher schüchtern ist. Außerdem ist dieses Verhalten eben auch nicht störend und erfordert daher keine Abklärung. Aus diesem Grund fallen sie meist gar nicht unbedingt auf. Schwierigkeiten haben sie ja aber trotzdem...

Mädchen passen sich eher an.

Mädchen mit Autismus haben dieselben Schwierigkeiten wie autistische Jungen. Sie sind aber viel besser darin, diese Probleme zu tarnen. Sie haben allerdings eine Stärke, die Jungs eher nicht so aufweisen: sie können Verhaltensweisen sehr gut kopieren. Sie beobachten ihre gleichaltrigen, neurotypischen Spielgefährten und versuchen ihr Verhalten zu analysieren und machen es dann genauso nach, weil sie festgestellt haben, dass sie so relativ gut und unauffällig durch den Alltag kommen. Sie erfüllen die Vorstellungen der Gesellschaft, kriegen also keinen Ärger bzw. müssen nicht ständig irgendwelche Gespräche über komisches Verhalten führen. Möglicherweise schaffen sie es sogar, sich soziale Regeln auf diesem Weg abzuschauen und zu imitieren und sich damit daran zu halten. Verstanden, warum gewisse Dinge von der Gesellschaft verlangt oder einfach so gemacht werden müssen, haben sie das darum noch lange nicht, aber sie fallen eben nicht auf. 

Problem: das ständige kopieren und imitieren von Verhaltensweisen die eigentlich gar nicht dem eigenen Naturell entsprechen, sind unglaublich anstrengend und kosten Unmengen an Energie. So kann es ohne Diagnose und die damit verbundenen Unterstützungsmöglichkeiten im Erwachsenenalter irgendwann zu Erschöpfungsdepressionen kommen, weil die Betroffenen einfach keine Energie mehr haben. 

Jungen haben häufig sprachliche Auffälligkeiten.

Ein Diagnosekriterium des Autismus ist unter anderem, wann das Kind sprechen gelernt, bzw. ob es sprachliche Auffälligkeiten gibt. Kinder mit Autismus lernen häufig später sprechen, als ihre neurotypischen gleichaltrigen Spielgefährten. Außerdem haben sie, wenn sie dann sprechen, mitunter zum Beispiel Probleme mit der Grammatik, verwenden beim sprechen kaum Gestik und Mimik und haben einen recht kleinen, eingeschränkten Wortschatz. Nicht all diese Beispiele müssen vorliegen, aber es sind eben Schwierigkeiten die auftreten können im sprachlichen Bereich. Auch hier sind die Jungen stärker betroffen, als die Mädchen. Mädchen mit Autismus lernen häufig normal sprechen und haben keine Auffälligkeiten, fallen also auch hier wieder durchs Raster.

Es werden oft nur männliche Spezialinteressen abgefragt.

Ein wichtiges Mittel bei der Diagnostik sind Screening-Fragebögen, die Eltern und Betroffene ausfüllen sollen. Mit den darin enthaltenen Fragen, sollen erste Anzeichen für Autismus herausgefiltert werden. Unter anderem wird dort auch nach Spezialinteressen gefragt und entsprechende Beispiele genannt: Zahlen, technische Sachverhalte, Computer, Kalenderdaten, Fahrpläne, etc. Das sind allerdings häufig Themen, mit denen sich Jungen beschäftigen. Mädchen haben eher Spezialinteressen wie Pferde, Hexen (ich zum Beispiel habe Bibi Blocksberg / Bibi und Tina / Benjamin Blümchen / Elea Eluanda bis zum mitsprechen können gehört und habe dutzende Listen dazu angefertigt - heutzutage würde ich sagen, dass das als Kind definitiv mein Spezialinteresse gewesen ist - zumal ich die Hörspiele heute noch mega gern höre), etc. Das ist allerdings in der Regel eher wieder typisch für Mädchen und daher nicht auffällig. Sie interessieren sich oft für die Dinge, die auch für ihre gleichaltrigen Freundinnen interessant sind, nur die Intensität ist intensiver - wesentlich intensiver, was aber auch nicht unbedingt auffallen muss.

   Fazit

Weil Autismus häufiger bei Jungen auftritt als bei Mädchen, sind viele Diagnosekriterien häufig auf Jungs ausgelegt. Die meisten Kinderärzte bzw. Psychiater/Psychologen haben auch gar nicht unbedingt auf dem Schirm, dass auch Mädchen Autismus haben können und dass sie häufig andere Symptome aufweisen bzw. besser darin sind, die Probleme zu verstecken. Ich würde mir wünschen, dass zum Beispiel beim Thema Spezialinteresse in Fragebögen auch Spezialinteressen von Mädchen eingepflegt werden als Beispiele und eher darauf hingewiesen wird, dass die Intensität der Beschäftigung interessant für die Diagnostik ist und nicht unbedingt das Thema an sich. Bzw. wären Fragebögen, die speziell die Besonderheiten von autistischen Frauen/Mädchen abfragen, vielleicht noch besser. Die Symptome sind zum Teil nun mal so unterschiedlich, dass die üblichen Fragebögen evtl. einfach nicht passen. Außerdem sollten Ärzte/Psychologen mehr darauf geschult werden, wie Autismus sich bei Mädchen äußert. 

Habt einen schönen Tag.
Anne

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