Warum gibt es keine extra Schulen für Autisten?

Hallo!

Ich hoffe ihr hattet alle ein angenehmes Silvester und ihr seid gut ins neue Jahr 2022 gekommen! Im letzten Jahr hatte ich schon einmal über die Frage geschrieben, ob AutistInnen an Regelschulen beschult werden können. Auf diese Frage kann es kein klares nein, aber auch kein klares ja geben, weil das natürlich wie fast alle Dinge von Autist zu Autist unterschiedlich ist. Ein Versuch ist es in einigen Fällen auf jeden Fall wert und kann auch sehr erfolgreich gelingen.  Mitunter ist allerdings bereits im Kindergartenalter klar, dass das Kind auf einer Regelschule auch mit spezieller Unterstützung maßlos überfordert wäre. Nur - was dann? 

Für Kinder, die aufgrund ihrer Einschränkungen an einer Regelschule nicht erfolgreich lernen können, gibt es sogenannte Förderschulen/Förderzentren. Diese unterrichten Kinder mit einem besonderen Förderschwerpunkt, sie sind darauf ausgelegt, die Kinder optimal in den Bereichen zu fördern, in denen sie den größten Unterstützungsbedarf haben. Es gibt folgende Förderschwerpunkte:

- Hören (Schulen für hörgeschädigte/gehörlose Kinder/Jugendliche)
- Sprache (Sprachheilschulen)
- geistige Entwicklung (Schulen für geistigbehinderte Kinder und Jugendliche)
- Lernen (Lernförderschulen)
- soziale-emotionale Entwicklung (u. a. Förderschule für Erziehungshilfe)
- körperliche und motorische Entwicklung (Körperbehindertenschulen)

Einen Förderschwerpunkt Autismus bzw. eine Förderschule die sich explizit auf autistische Schüler spezialisiert hat, gibt es in Deutschland nicht. 

Warum gibt es keinen "Förderschwerpunkt Autismus"?

Das liegt vermutlich vor allem daran, dass es nicht DEN Autisten gibt. Genau wie auch neurotypische Kinder haben auch autistische Kinder ganz unterschiedliche Stärken und Schwächen. Aus diesem Grund benötigen auch autistische Kinder in ganz unterschiedlichen Bereichen Förderung und Unterstützung. Aber selbst die bemühtesten LehrerInnen können nicht in allen Förderschwerpunkten gleich gut ausgebildet sein. Ein Beispiel: ein autistischer Junge hat gleichzeitig eine Sprachbehinderung, der Hauptförderschwerpunkt wäre bei ihm Sprache. Er bräuchte extrem viel Unterstützung, um geeignete Kommunikationsmethoden zu lernen. Die Klassenlehrerin ist nun aber leider gar nicht auf Sprachbehinderung spezialisiert, sondern weiß eher, wie sie die Wahrnehmung von Kindern fördern kann. Die Klassenlehrerin aus der Parallelklasse ist auf Hörbehinderungen spezialisiert. In seiner Klassenstufe wäre quasi niemand, der den Jungen optimal fördern könnte. Dieser Junge muss aber nicht auf der Strecke bleiben, denn dafür gibt es ja die Förderschulen, die sich ganz konkret auf bestimmte Förderschwerpunkte spezialisiert haben. Dort erhalten die Kinder die Förderung, die sie am aller-dringendsten benötigen von Pädagogen, die direkt darauf geschult sind.

Zusätzlich sollen autistische Kinder aber natürlich auch lernen, mit nichtautistischen gleichaltrigen Kindern klar zu kommen. Das ist für sie sogar besonders wichtig, weil sie ja nach der Schule auch nicht ausschließlich unter AutistInnen sind, sondern unter Neurotypen. Sie müssen also gleich von klein auf lernen, wie neurotypische Menschen ticken und wie sie am besten in dieser Welt mit ihren Einschränkungen klarkommen. Wenn sie an einer Schule lernen würden, die rein auf Autisten spezialisiert ist, könnten sie diese Erfahrungen nicht sammeln. Deswegen wäre eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Autismus auch irgendwie am Ziel vorbei. 

Warum kommen autistische Kinder trotzdem meist gut an gemischten Förderschulen klar?

Aber wie sollen autistische Kinder an Schulen klar kommen, die nicht auf ihr Störungsbild spezialisiert sind? Das klappt in der Regel trotzdem sehr gut, aus den folgenden Gründen: 
  • Es sind wesentlich kleinere Klassen als in der Regelschule (4 - max. 10 Kinder).
  • An Förderschulen werden meist zusätzliche Therapien und Förderungen angeboten, sodass dort zum Beispiel auch explizit auf Schwierigkeiten eingegangen werden kann, die durch den Autismus ausgelöst werden.  
  • Die LehrerInnen und ErzieherInnen sind sich bewusst, dass sie an einer Förderschule tätig sind, und alle Kinder ihre eigenen "Baustellen" haben und teilweise auch mit mehreren Dingen Probleme haben. Sie wissen, dass viele Kinder mehr Unterstützung benötigen, was sie tun können um die Kinder zu unterstützen, etc. 
  • PädagogInnen an Förderschulen müssen unterschiedlichste Fortbildungen absolvieren. Viele sind zusätzlich zu ihrem Förderschwerpunkt auch auf verschiedene andere Behinderungen spezialisiert, u. a. auf Autismus. Und selbst wenn es die Klassenlehrerin nicht sein sollte, wird sich definitiv ein Lehrer finden, der die Klassenlehrerin dann beraten und unterstützen kann.
  • Es ist in der Regel irrelevant, ob die Schule direkt auf Autismus spezialisiert ist. Denn an Einrichtungen mit Förderschwerpunkt, wird immer ganz individuell geprüft, wie das Kind am besten unterstützt werden kann. Nicht nur in dem Bereich, in dem es besonders gefördert werden muss, sondern auch allgemein wird geprüft: was muss getan werden, damit das Kind optimal lernen kann.
Welche Schulen sind für autistische Kinder geeignet?

In welchen Bereichen ein Kind besonders gefördert werden muss (Förderschwerpunkt - worauf soll bei der Unterstützung besonders wert gelegt werden / in welchem Bereich hat das Kind besonders viele Schwierigkeiten) wird bereits im Kindergartenalter, vor dem Schulbeginn intensiv von Fachleuten (z. B. Mobiler Sonderpädagogischer Dienst) geprüft. Die Eltern müssen quasi nicht entscheiden. Manchmal fragen sie sich aber doch, warum das Kind zum Beispiel auf die Förderschule für Körperbehinderte Kinder und Jugendliche gehen soll. Mein Kind hat doch Autismus und sitzt nicht im Rollstuhl? Hier möchte ich Anhaltspunkte geben.

Wenn zusätzlich zum Autismus eine spezielle Behinderung bekannt ist (z. B. Hörschädigung, eine Sprach- oder Sehbehinderung) ist es natürlich logisch, wenn sie in einer Förderschule beschult werden, die diesen Förderschwerpunkt hat. Aber auch in weniger offensichtlichen Fällen können die Förderschulen sehr gut passen.

Schulen für hörgeschädigte/gehörlose Kinder: Menschen im Autismus-Spektrum haben häufig Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung. Nicht alle, aber manche, haben das Problem, dass sie gesprochene Informationen nicht ausreichend schnell verarbeiten können. Oder sind so abgelenkt, von den äußeren Reizen (wie z. B. Stimmengewirr, der summenden Fliege im Hintergrund, dem Fleck an der Tafel, etc.) dass es ihnen kaum möglich ist, sich auf den Sprechenden zu konzentrieren. Sie können die Geräusche schlecht filtern und das Gesprochene für sich verwenden. An Schulen für hörgeschädigte Kinder sind die Lehrer und Erzieher darauf spezialisiert, zusätzliche Kommunikationshilfen zu benutzen. Sie begleiten zum Beispiel das gesprochene mit Gestik und Mimik, machen mehr vor, sprechen je nach Bedarf langsamer... Davon können auch autistische Kinder profitieren, weil sie dann zwar trotzdem vom akustischen Reiz her nicht alles mitbekommen, erhalten aber durch die zusätzliche optische Vermittlung trotzdem die notwendigen Informationen. An solchen Schulen können sie außerdem lernen, was sie tun können, wenn sie sprachliche Informationen nicht ausreichend verarbeiten können.

Schulen für körperbehinderte Kinder und Jugendliche: Autismus ist eine Wahrnehmungsstörung. Viele AutistInnen haben Schwierigkeiten, ihren Körper richtig wahrzunehmen und haben daher Probleme bei der Koordination und mit der Motorik. Sie können das lernen, aber dafür benötigen sie eben besonders viel Übung und Training. Darauf sind PädagogInnen an solchen Förderschulen besonders spezialisiert. In manchen Schulen wird besonders viel Bewegung in den Schulalltag reingebracht (je mehr Möglichkeiten der Schüler hat, seinen Körper auszuprobieren, desto besser lernt er ihn kennen und spüren), oder es gibt besondere Förderstunden für Schüler, die Schwierigkeiten damit haben, ihre Kraft beim schreiben ausreichend zu dosieren, etc. 

Ich hoffe, ich konnte euch einen guten Überblick darüber geben, warum reine Förderschulen für Autisten nicht unbedingt Sinn machen. Der nächste Beitrag kommt Mittwoch. Habt einen schönen Tag!

Anne

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