Hilfsmittel für AutistInnen - Druckweste

Guten Tag!

Viele AutistInnen sind immer wieder auf der Suche nach Möglichkeiten, wie sie sich im Alltag besser entspannen können und dadurch Reizüberflutungen und Stress vermeiden können. Eine davon teste ich gerade selbst - eine Druckweste. Heute möchte ich über meine Erfahrungen darüber berichten.

Was ist das und was soll es bringen?

Eine Druckweste ist ein spezielles Hilfsmittel, dass Autisten, Menschen mit AD(H)S, Menschen mit anderen sensorischen Schwierigkeiten helfen kann. Es handelt sich dabei um eine sehr leichte Weste, die mit kleinen Kämmerchen und einer Pumpe versehen ist. Wenn der Träger dieser Weste diese Pumpe betätigt, füllen sich diese Kämmerchen mit Luft, die dafür sorgen, dass die Weste fest an den Körper gedrückt wird. Das fühlt sich dann ungefähr so an wie eine feste Umarmung. Nun mögen aber viele AutistInnen keine körperlichen Berührungen. Bei der Druckweste ist keine andere Person erforderlich und der Träger der Weste kann selbst dosieren, wie fest der Druck sein soll und wie lange sie das Gefühl haben möchte. Bei diesem Gefühl handelt es sich um Tiefendruck. Dieser wirkt extrem beruhigend. Die aufgepumpte Druckweste soll also dafür sorgen, dass sich der Träger der Druckweste selbst beruhigen kann, ohne irgendwelche anderen Menschen oder Hilfsmittel dafür zu benötigen. Zusätzlich sorgt sie natürlich dafür, dass der Träger seinen Körper besser spürt und die Aufmerksamkeit auf das hier und jetzt gerichtet wird (die Empfindung ist so stark, dass die äußeren Reize besser ausgeblendet werden können), wodurch die Konzentration erhöht wird.

Welche Vorteile hat die Druckweste?

Die Druckweste hat im Prinzip dieselbe Wirkung wie eine schwere Decke. Allerdings kann man ja schlecht mit einer schweren Decke durch den Alltag spazieren, sie ist - wie der Name schon sagt, eben schwer und ist eigentlich nur für Zuhause gedacht. Die Druckweste dagegen ist extrem leicht. Sie wiegt wenn überhaupt nur ungefähr 200 g (konkret weiß ich es nicht, aber sie ist wirklich extrem leicht), man kann sie also überall mit hin nehmen. 

Man kann sie außerdem ziemlich gut verbergen. Es ist möglich, dass man sie unter der Kleidung trägt, wodurch sie für Menschen, die nichts davon wissen, eigentlich kaum zu sehen ist. Ab und zu lugt die Pumpe bei mir ein bisschen hervor, aber mich hat glücklicherweise noch nie jemand darauf angesprochen, also gehe ich davon aus, dass sie noch nie jemand aufgefallen ist. Mit einem längeren Pullover dürfte auch die Pumpe wirklich kaum auffallen.

Wenn man sie rechtzeitig anwendet (also bereits bei leichter Unruhe) lassen sich mit der Druckweste meines Erachtens schwer wiegende Zustände wie Meltdown/Shutdown oder Overload verhindern. Sie beruhigt einen bevor es eskaliert. Dafür ist allerdings ein wenig Übung erforderlich - denn wenn man nicht spürt, dass man unruhig ist, verpasst man möglicherweise, sie rechtzeitig aufzupumpen. Wenn ein gewisser Stresspegel überschritten ist, bringt die Weste leider nichts mehr, zumindest war das bei mir so. Wenn ich wirklich richtig schlimm gestresst bin, nehme ich die Weste eigentlich kaum noch wahr, selbst wenn sie aufgepumpt ist.

Welche Nachteile hat die Druckweste?

Sie verstärkt die Eigenwärme. Hier ein Beispiel aus meiner Ausbildungszeit. Ich war mit zwei Freunden unterwegs und es war draußen mega kalt. Was haben wir gemacht? Wir haben Gruppenkuscheln veranstaltet, uns also zu dritt umarmt und uns eine Weile so festgehalten, dadurch ist uns warm geworden, weil wir von der natürlichen Körperwärme der anderen gewärmt wurden. Wenn die Druckweste aufgepumpt ist, schmiegt sie sich ganz stark an den Körper. Wenn man eine reine Jacke an hat, kann die Wärme besser entweichen, weil zwischen Jacke und Körper ein gewisser Abstand herrscht. Die Druckweste liegt aber hauteng an - die körpereigene Wärme kann also nicht entweichen. Was zum Beispiel im eiskalten Winter recht praktisch ist, führt in einem warmen Supermarkt dagegen möglicherweise zu einer Reizüberflutung - also das Gegenteil von hilfreich. Daher gehe ich davon aus, dass sie auch im Sommer eher nicht geeignet ist, da sie eine zusätzliche Kleidungsschicht darstellt (so leicht sie auch ist!). Im Prinzip kann man sie eigentlich "dauerhaft" (also den ganzen Tag) nur im Herbst/Winter/max. Frühling tragen. Im Sommer vielleicht in Bedarfssituationen für eine kurze Zeit. 

Ich habe den Eindruck, dass sie zu Nackenverspannungen führt. Natürlich habe ich nur meine eigenen Erfahrungen, aber nachdem ich die Weste ungefähr anderthalb Wochen täglich getragen habe, hatte ich eine richtig fiese Nackenverspannung, mit Schwindelgefühl und allem drum und dran. Nachdem ich die Weste aktuell nicht trage, ist die Verspannung fast komplett weg. Natürlich kann das Zufall sein, aber im Nackenbereich sind ebenfalls Waben in der Weste. Und wenn die mehrmals täglich mit Luft gefüllt Druck auf den Nacken ausüben, könnte das möglicherweise ungünstig sein. Ob das bei anderen Autisten ähnlich ist, vermag ich nicht zu beurteilen. 

Auch unaufgepumpt ist die Weste ständig spürbar. Man kann die Weste nicht "nicht wahrnehmen", weil sie grundsätzlich recht dicht am Körper anliegt. (Anlehnung an die These: Man kann nicht nicht kommunizieren.) Wenn man an manchen Tagen ohnehin schon zu viele Reize hat, kann die Weste der Tropfen auf dem heißen Stein sein und dann absolut stören. Wenn man die Weste allerdings unter der Kleidung trägt, kann man sich selbst auch nicht so leicht Abhilfe schaffen ohne dass man sich irgendwo zumindest den Pullover ausziehen muss, also erst einmal einen Rückzugsort finden muss. Unterwegs also zum Beispiel eher ungünstig. Wenn man sensorisch recht empfindlich ist, rate ich dringend davon ab, die Weste unter der Kleidung und vor allem den ganzen Tag zu tragen. Dann wirklich eher situationsabhängig und über der Kleidung, damit man sie sofort ausziehen kann, wenn sie anfängt zu stören.

Die Weste ist wirklich teuer. Je nach Hersteller kostet sie mind. 200 Euro aufwärts. Ich habe auch welche für 300 Euro gesehen. Sie ist also definitiv nichts für den schmalen Taler. (Eine Redewendung nach der anderen heute hier...) 

Fazit

Bisher halten sich positive und negative Auswirkungen der Weste auf mich die Waage, sodass ich noch nicht abschließend sagen kann, ob ich die Weste wirklich kaufe oder nicht doch zurück schicke. Momentan trage ich sie gar nicht, weil ich Sorge habe, wieder so eine heftige Verspannung im Nackenbereich zu bekommen, wodurch ich sie natürlich nicht adäquat testen kann. Ich empfehle allerdings wirklich dringend, die Weste nicht sofort zu kaufen, sondern sie bei einer Firma vorher zu mieten. Da ich hier auf meinem Blog keine Werbung machen möchte, werde ich die Firma jetzt nicht nennen, aber es gibt eine ausländische Firma, bei der man die Westen mieten und ausprobieren kann. Jeder Mensch hat eine eigene Wahrnehmung, daher kann man nicht grundsätzlich sagen, ob die Weste gut für einen geeignet ist oder nicht. Das muss wirklich jeder individuell für sich ausprobieren. Und es wird den einen oder anderen Autisten geben, der mit der Weste überhaupt nicht klar kommt, sondern sie eher als unangenehm empfindet und dann sind über 200 € umsonst ausgegeben worden. Ausprobieren kann aber definitiv nicht schaden. 

Habt einen schönen Tag!
Anne

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