Tipps für erfolgreiches "Trocken"-Training (1)

Guten Tag,

bestimmt hocken gerade einige Elternteile neben der laufenden Waschmaschine, die man in den letzten Tagen/Wochen dutzende Male angeschaltet hat, weil man gerade versucht seinem Kind beizubringen, das Gefühl auf die Toilette zu müssen wahrzunehmen, es aber einfach nicht funktioniert. Gehört ihr auch zu diesen Eltern und rennt seit Wochen in regelmäßigen Abständen immer wieder mit eurem Sprössling auf die Toilette, bzw. fragt es 30 x in der Stunde ob es muss, es verneint und die Hose ist wieder nass? Gehört ihr auch zu den Eltern, die sich irgendwann verzweifelt fragen: "Warum klappt das nur nicht? Irgendwann muss es doch funktionieren?" Seid beruhigt - ihr seid nicht alleine. Und es liegt auch nicht nur an dem Autismus eures Kindes - auch bei neurotypischen Kindern kann es eine Weile dauern, bis sie zuverlässig wahrnehmen, dass sie auf die Toilette müssen. Die Kleinen müssen einfach erst lernen ihren Körper richtig wahrzunehmen. Ich möchte heute und im nächsten Beitrag allen Eltern, die ihre Kids gerade bei diesem spannenden Entwicklungsschritt unterstützen ein paar Tipps geben, wie das Projekt gelingen kann, ohne dass es für beide Seiten irgendwie enttäuschend verläuft.

Seid geduldig!

Gleich zu Beginn: rechnet damit, dass es bei eurem autistischen Kind ein bisschen länger dauern kann, bis es wirklich zuverlässig klappt. Es wird höchstwahrscheinlich sogar ein bisschen länger brauchen als das neurotypische Geschwisterkind oder der gleichaltrige Spielgefährte. Es liegt mitnichten daran, dass ihr beim Training irgendetwas falsch macht oder es euer Kind niemals lernen wird, sondern daran, dass autistische Menschen häufig Schwierigkeiten damit haben, ihren Körper richtig wahrzunehmen, und seine Bedürfnisse (rechtzeitig) zu erkennen. Das betrifft dann natürlich auch das Gefühl auf die Toilette zu müssen. Die gute Nachricht: je älter das Kind wird, bzw. je häufiger es trainiert, desto besser wird das Körpergefühl. Und dann wird es auch klappen. 

Wichtig ist, dass ihr weder euch noch euer Kind unter Druck setzt, sondern euch die Zeit zugesteht, die es eben dauert. Lasst euch auch nicht von irgendjemand bequatschen, der denkt, er ist der absolute Profi und Wisser in diesem Bereich. Auch nicht von irgendeiner Therapeutin. Es ist absolut wirkungslos - denn unter Druck setzen bewirkt nie, dass es lernt seinen Körper besser wahrzunehmen. Dabei hilft nur Zeit und Übung. 

Körperwahrnehmung trainieren

Nur wenn das Kind lernt seinen Körper wahrzunehmen, kann es überhaupt erspüren, dass es auf die Toilette gehen muss. Man kann hierbei ganz einfach anfangen: 

- Eine schwere Decke ist ein entspannender aber sehr starker Reiz, der es einem ermöglicht, den Körper zu spüren. Wenn man es nicht nur zur Entspannung, sondern auch zum Trainieren der Körperwahrnehmung nutzen will, kann man das Kind zum Beispiel auffordern, Arme und Beine anzuheben - das funktioniert zum Beispiel ungleich schwerer als mit einer normalen Decke. Oder es macht die Augen zu und man legt Sandsäckchen auf ein Körperteil und es muss raten, wo das Sandsäckchen ist. Schwere Dinge helfen enorm um den Körper zumindest punktuell besser wahrnehmen zu können.

- Wer kennt es auch? Man läuft barfuß durch nasses kühles Gras/Wasser oder feuchten Sand und automatisch hat man das Gefühl, dass man auf die Toilette muss, weil sich die Blase bemerkbar macht. Das könnte man sich beim Trockentraining zu Nutze machen. Macht es mit eurem Kind und fragt ihn, was er spürt - im ganzen Körper. Wenn es noch nicht so gut darin ist, seinen Körper zu spüren, helft ihm mit Hinweisen weiter, wie zum Beispiel: "Ist dir kalt? Kribbelt es auf der Haut? Was spürst du an den Füßen?" Wenn es bemerkt, dass sich in seiner Blase etwas tut, dann macht das Kind darauf aufmerksam, dass das dasselbe Gefühl ist, wenn man Pipi muss.

- Mit Knete, Ton, Kleister, etc. arbeiten/basteln. Sie sorgen für ein ganz besonderes Gefühl auf der Haut.

- Mit nackten Füßen durch zum Beispiel ein Erbsen-/Bohnenbad (gibt es bei Therapiebedarfen im Internet zu kaufen) laufen und vielleicht Gegenstände herausholen. Wenn man es mit den Händen macht. kann man sogar den Tastsinn schärfen, indem man sagt: "Hole mir die Spielzeugbanane oder die Murmel heraus!" 

Es muss gar nicht zwingend darum gehen, wie es sich anfühlt, wenn man auf die Toilette muss. Wenn das Kind durch das Training seinen Körper im Allgemeinen besser wahrnimmt, lernt es mit der Zeit auch, dass es Harndrang oder das Bedürfnis hat, Kot abzusetzen. 

Vereinbart gemeinsame Zeichen dafür, dass es auf Toilette muss.

Das ist gerade bei nicht-sprechenden Autisten natürlich super wichtig. Wenn sie nicht sprechen können, können sie auch nicht "sagen" dass sie auf Toilette müssen. Es kann aber auch sein, dass das Gefühl, auf die Toilette zu müssen so plötzlich kommt, dass das sprechende Kind gar nicht so viel Zeit hat, es auszusprechen. Vielleicht eignet sich eine bestimmte Gebärde (Gestik, die kein sprechen erfordert). Ihr könntet eurem Kind beibringen: immer, wenn du diese Geste verwendest, gehen wir sofort auf die Toilette. Am Anfang müsst ihr natürlich anfangen indem ihr immer, wenn ihr auf die Toilette geht, diese Geste verwendet. Wenn es die Geste irgendwann imitiert, müsst ihr natürlich alles stehen und liegen lassen und mit ihm zur Toilette gehen. Selbst wenn es die die Bewegung am Anfang noch nicht mit dem Toilettengang verbindet, so wird es spätestens nach dem zehnten Mal verstehen, was ihr meint. Wenn es verinnerlicht hat, dass es nur diese Geste verwenden muss, um spontanen Harndrang auszudrücken, ist die Chance, dass ihr rechtzeitig reagieren könnt, wesentlich höher, weil es sein Bedürfnis viel schneller kommunizieren kann.

Lasst die Windel überall weg. 

Nachts ist es natürlich in jedem Fall sinnvoll, die Windel anzulegen, weil das Kind gerade wenn es tief schläft, Schwierigkeiten damit haben wird, rechtzeitig aufzuwachen und auf die Toilette zu gehen, wenn es plötzlich muss. Aber am Tag kann es sehr sinnvoll sein, dieses Hilfsmittel auch im Kindergarten nicht mehr zu benutzen. Natürlich kann es passieren, dass es das eine oder andere Unglück gibt. Aber das ist normal, es ist aber meines Erachtens ein unfassbar wichtiger Schritt. Das Kind hat bisher sein komplettes Leben lang gelernt: wenn ich muss, lasse ich es einfach laufen. Sie mussten nicht bemerkbar machen, dass sie auf die Toilette müssen. Jetzt müssen sie verstehen, was wirklich passiert, wenn die Windel normalerweise voll wird und warum es notwendig ist, auf die Toilette zu gehen. Wenn es nur zu Hause ohne Windel herumläuft, versteht es möglicherweise nicht, was ihr von ihm wollt. Autistische Menschen brauchen in der Regel eine Weile, um neue Konzepte zu verstehen und zu verinnerlichen. Wenn an verschiedenen Orten ein unterschiedliches Konzept umgesetzt wird (Kita und Ausflüge = Windel, zu Hause: Toilette) versteht es nicht, dass es jetzt grundsätzlich lernen soll, auf die Toilette zu gehen. Nur wenn es versteht, dass dieser Auftrag jetzt generell gilt, kann das Trockentraining zum Erfolg werden. 

Damit der Beitrag nicht zu lang wird, kommt am Mittwoch der zweite Teil dieser Reihe. Bewahrt die Geduld. Ihr seid ein Team und kriegt das hin!

Habt einen schönen Tag.
Anne

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