Time Out - Bestrafung oder Hilfestellung?

Guten Tag!

Einige Einrichtungen für Menschen mit Behinderung (z. B. Schulen, Wohnheime, Psychiatrie, etc.) wenden das Konzept des Time-Outs an. Grundsätzlich bedeutet es erst einmal nur, dass eine Person mittels eines extra Raumes aus einer bestimmten Situation geholt wird. Wenn man alleine davon ausgeht, kann man also noch nicht von einer Bestrafung sprechen. Das Problem ist aber, dass das Time Out-Konzept je nach Einrichtung vollkommen unterschiedlich ausgelegt wird. Und damit ist auch eigentlich schon die Frage dieses Beitrags beantwortet. Dieses Konzept kann beides sein, es kommt ganz darauf an, wie sie ausgelegt wird. 

Time Out als Reaktion auf unerwünschtes Verhalten

Diese Methode findet sowohl in Psychiatrien, aber auch in Schulen Anwendung. Da sich diese Maßnahmen der Einrichtungen aber stark unterschieden, werde ich hier noch einmal eine Untergliederung vornehmen.
  • Psychiatrische Einrichtungen
Hier handelt es sich bei dem Time Out-Room in der Regel um einen Raum ohne jegliche Einrichtung (max. Matratze) sowie teilweise abgepolsterten Wänden, um jegliche Form der Selbstverletzung ausschließen zu können. Wenn eine eskalierende Situation (wenn der Patient sich oder andere massiv gefährdet - also z. B. Selbstverletzung oder Werfen mit Gegenständen, schlagen, treten, beißen - also Maßnahmen um andere Mitmenschen zu verletzen) durch nichts anderes entspannt werden kann, wird der Patient in diesen Raum gebracht und muss für die Dauer der Maßnahme meist alleine dort ausharren. Während der Mensch in dem Raum ist, spricht in der Regel nur ein einziger Mitarbeiter mit ihm, der hält aber den regelmäßigen Kontakt. Dem Patienten wird mitgeteilt, was er tun muss, damit die Maßnahme wieder beendet wird. 

Hilfreich ist, dass zunächst erst einmal weder für den Patienten, noch für andere Patienten/Mitarbeiter keine Gefahr mehr besteht, die zuständigen Mitarbeiter eine Lösung zurechtlegen können und der Patient sich beruhigt. Außerdem soll der Betroffene damit von den auslösenden Reizen "befreit" werden, damit er sich z. B. nicht weiter provoziert fühlt. 

Kritik: Ein großes Problem sehe ich in der extremen Isolation und der Abschirmung von jeglichen Reizen. Auch wenn ein Mitarbeiter den Kontakt hält, ist das Kind dennoch allein in diesem Raum und muss vollkommen alleine mit seinen überfordernden Gefühlen und der Situation klarkommen. Außerdem wird ihm der Eindruck vermittelt: du bist so schrecklich, dass wir dich von allen anderen isolieren müssen - du bist der Sündenbock. Auch wenn es zur Krisenintervention gedacht ist, ist der Time-Out-Room hier meines Erachtens zumindest aus Sicht des Kindes auf jeden Fall eine Bestrafung. Wichtig: eine solche Maßnahme darf nicht lange durchgeführt werden, was in einigen Psychiatrien leider ignoriert wird...
  • Schulen
Schulen setzen den Time-Out-Room in der Regel ein, wenn ein Schüler wiederholt den Unterricht stört, bzw. mehrfach gegen die geltenden Regeln verstößt und durch Ermahnungen der Lehrkraft bzw. Hilfestellungen wie Kopfhörer/beruhigende Maßnahmen davon abzubringen ist. Wenn das der Fall ist, wird er in den meisten Fällen in einen Time-Out-Room geschickt. Dort soll der Schüler entweder die Aufgaben erledigen, die der Rest der Klasse auch gerade erledigt - allerdings eben allein in abgeschirmter Umgebung, oder er bespricht mit einer pädagogischen Fachkraft, weswegen er den Unterricht gestört hat und was getan werden kann, damit es nicht wieder passiert. Manche Schulen lassen die Kinder einen Reflexionsbogen ausfüllen, wo es zunächst selbstständig über sein Fehlverhalten nachdenken kann und danach wird es mit einer Fachkraft durchgesprochen.  

Hilfreich: der Schüler wird während der Time-Out-Maßnahme in der Regel nicht alleingelassen, sondern es ist in den meisten Schulen immer eine Lehrkraft/pädagogische Fachkraft mit anwesend, die das Kind im Bedarfsfall "auffangen" und schwierige Emotionen mit ihnen durchsprechen können. Außerdem ist es ja tatsächlich teilweise sinnvoll, wenn man einfach Abstand von der Situation bekommt und in Ruhe und "allein" über die Situation nachdenken kann. Wie oft geht es auch erwachsenen Menschen so, dass sie einen Streit mit jemand anderem haben und dann geht jeder seinen eigenen Weg erst mal und nach einer Weile ist es wieder gut, weil man in Ruhe darüber nachdenken konnte? Ich könnte mir auch vorstellen, dass es für die Kinder teilweise sogar richtig anstrengend ist, wenn sie in so einer aufgedrehten Stimmung sind (weswegen sie ja meist den Unterricht stören) und dadurch, dass immer wieder jemand reagiert, ist es ihnen vielleicht kaum möglich zur Ruhe zu kommen, im Time-Out-Room ist eine sehr reizarme Umgebung sichergestellt. 

Kritik: Es ist in den meisten Schulen immer noch eine Art Strafe. Man könnte es umgangssprachlich als "rausschmeißen aus dem Unterricht" bezeichnen, wenn das Kind aus der Klasse in den Time-Out-Room geschickt wird. Außerdem haben zu häufige Aufenthalte im Time-Out-Room in vielen Schulen zur Folge, dass ein Elterngespräch durchgeführt wird, in welchem dann über das gehäufte herausfordernde Verhalten gesprochen wird. Das finde ich schade. Natürlich soll es keine Belohnung für das Kind sein, und es darf auch ruhig wissen, dass das Verhalten nicht in Ordnung war. Aber: würden nicht ein reflektierendes Gespräch oder meinetwegen ein Fragebogen genügen? Denn würde es keine Strafe, wie z. B. das angedrohte Elterngespräch geben, würden die Kinder es vielleicht auch als echte Chance begreifen und wirklich darüber nachdenken, warum sie sich so verhalten haben, wie sie es getan haben. Zusätzlich würden manche Kinder vielleicht auch freiwillig sagen, dass sie im Time-Out-Room weiterarbeiten möchten, sodass es gar nicht erst zu Konflikten zwischen Lehrkraft und Kind kommen würde, weil sich die Situation bereits vorher entspannt. 

 Time Out zur Beruhigung/Abschirmung von Reizen

Auch diese Auslegung des Time Outs kommt in manchen Psychiatrien/Schulen vor, wenngleich sie leider seltener sind. Manche Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung haben einen solchen Raum, aber auch manche Familien haben sich einen solchen Time-Out-Room eingerichtet. Er ist super sinnvoll für autistische Menschen, weswegen ich auch hier auf diesem Blog darüber schreibe. Der Beitrag ist schon recht lang geworden, darum werde ich einen kurzen Überblick geben, wie sich diese Auslegung des Time-Out-Konzepts von den anderen unterscheidet:

  • Freiwilligkeit - die Person wird nicht gezwungen, in den Time-Out-Room zu gehen, außerdem darf sie die Dauer ihres Aufenthaltes vollkommen selbst bestimmen.
  • beruhigende, gemütliche Atmosphäre mit kuschligen Sitzgelegenheiten statt kahlem Raum
  • meist sind beruhigende Materialien in einem solchen Raum (z. B. schwere Decke, Sandsäckchen)
  • keine Isolation - der Mensch darf jederzeit frei entscheiden, ob er Gesellschaft haben möchte
  • Time-Out-Room dient nicht der Bestrafung, sondern der Beruhigung und Abschottung von anstrengenden Reizen
Fazit:

Grundsätzlich ist das Time-Out kein schlechtes Konzept, weil es viele schwierige Situationen entschärfen kann. Es kommt hier ganz darauf an, wofür das Time-Out eingesetzt wird. Leider wird es oft als Bestrafung (Rauswurf/Isolation) eingesetzt, wodurch der positive Effekt meines Erachtens ein bisschen hinten ansteht. Es kann aber durchaus auch als das eingesetzt werden, was es eigentlich wortwörtlich bedeutet: eine Auszeit nehmen. Und dann ist dieses Konzept meines Erachtens mehr als sinnvoll. Ganz wichtig, bevor jetzt irgendjemand Angst bekommt, in eine psychiatrische Einrichtung zu gehen, weil ihm dort eine solche Maßnahme blühen könnte: Psychiatrien sind in aller Regel keine menschenverachtenden Einrichtungen. 99 % aller Psychologen und Therapeuten möchten den Betroffenen wirklich helfen und sie nicht quälen. Ja, es ist in Psychiatrien möglich, dass eine Isolation erforderlich wird, es werden immer erst alle anderen möglichen Maßnahmen zur Beruhigung einer Situation ausprobiert. Niemand wird grundlos (einfach weil es einfacher für die Mitarbeiter ist) in eine vollkommene Isolation gesperrt. Und ihr müsst auch nicht grundsätzlich Angst bekommen, wenn ihr hört, dass dort ein Time-Out-Room existiert: manche Psychiatrien verwenden ihn wirklich als Auszeitraum, wo der Patient zur Ruhe kommen kann: keine Isolation, gemütliche und beruhigende Atmosphäre. Wenn ihr intensiv-psychologische Betreuung benötigt, zögert bitte keine Sekunde sie anzunehmen! 

Im nächsten Beitrag möchte ich Anregungen geben, wie ein Time-Out-Room speziell für autistische Menschen sinnvoll eingerichtet werden könnte. Habt ein schönes Wochenende!

Anne



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