Nachteilsausgleiche in Tests/Prüfungen

Guten Tag!

Ich hatte vor einiger Zeit bereits einen allgemeinen Beitrag über Nachteilsausgleiche von SchülerInnen mit Einschränkungen (besonders autistische Schüler) geschrieben, aber heute soll es speziell um Tests und Prüfungen gehen. Da allein gibt es schon so viele Möglichkeiten, dass sich ein extra Beitrag definitiv lohnt. Die Sommerferien und die davor anstehenden Abschlussprüfungen für die Abschlussklassen stehen zwar noch lange nicht an, aber einerseits kann es hilfreich sein, wenn man rechtzeitig die Möglichkeiten kennt und mit dem Klassenlehrer darüber sprechen kann, bzw. muss es ja auch beantragt werden, und zweitens gelten dieselben Möglichkeiten auch bei Klassenarbeiten/Tests, sind also auch für die restlichen Klassenstufen noch sinnvoll.

Zeitverlängerung

Dieser Nachteilsausgleich lässt sich gleich zweierlei begründen. Einerseits haben autistische Menschen meist Schwierigkeiten mit der Motorik - manche haben also auch Probleme damit schnell genug oder überhaupt zu schreiben. Wer also aus körperlichen Gründen einfach nicht hinkommen würde mit der Zeit, muss natürlich die Möglichkeit bekommen, diesen Zeitverlust ausgleichen zu können. Zum anderen haben viele autistische Menschen eine deutlich herabgesetzte Stresstoleranz, die dazu führen kann, dass sie unter Zeitdruck eventuell gar nicht mehr klar denken können, was natürlich mehr als kontraproduktiv wäre. Wenn mehr Zeit zur Verfügung steht, gehen sie direkt ein bisschen entspannter in die Situation hinein. Ich hatte sowohl in der Abschlussprüfung von der Realschule als auch beim Ausbildungsabschluss Zeitverlängerung, aus genau den beiden Gründen. Die Ärztin hat das auch genau so reingeschrieben in die Begründung. Während den Klassenarbeiten in der Schule habe ich sie nicht gebraucht, weil sie so konzipiert waren, dass sie Schüler mit Einschränkungen zeitlich schaffen können (ich war in einer Schule für Körperbehinderte). In den Prüfungen war sie goldwert, ohne hätte ich die Aufgaben zeitlich nicht absolvieren können.

Schreiben der Prüfung/Arbeit in einem Extraraum

Achtung: hier tun sich die meisten Schulen schwer, weil sie ja theoretisch eine extra Aufsicht stellen müssten, um Beschiss auszuschließen. Es ist aber ein offizieller Nachteilsausgleich, der gewährt werden kann! Wenn ich Arbeiten nachgeschrieben habe, durfte ich sie in der Regel in einem Extraraum schreiben, damit der Unterricht für die restliche Klasse ganz normal weiterlaufen konnte und ich aber nicht dadurch abgelenkt wurde. Ich habe ausnahmslos immer die Erfahrung gemacht, dass ich in diesen Arbeiten wesentlich besser abgeschnitten habe. Ich weiß auch nicht woran es liegt - denn schließlich ist es in einem Raum während einer Arbeit/Prüfung ruhig - aber offensichtlich konnte ich mich dort wesentlich besser konzentrieren und fokussieren. Zumal der Raum in der Regel frei von jeglichen Reizen war, die für mich in irgendeiner Form interessant gewesen wären. Die allerbeste Klassenarbeit jemals habe ich in einem Raum nachgeschrieben, der für irgendwelche Förderstunden genutzt wurde, also bisauf Tisch, Stuhl und Fenster völlig leer war. Ich hatte keine andere Möglichkeit, als mich auf meine Aufgaben zu fokussieren - es gab ja nichts anderes zu sehen. Es war eine glatte 1 in Mathe - es ging unter anderem um den Satz des Pythagoras. Darauf bin ich heute noch stolz, denn Mathe war eigentlich immer neben Physik eines der Fächer, dass ich am wenigsten mochte, auch wenn ich eine super liebe Lehrerin hatte. 🧡

Änderung der Prüfungsform

Das ist besonders für AutistInnen interessant, die schlecht vor anderen Menschen sprechen können oder denen es überhaupt nicht gelingt, z. B. wenn zum Autismus noch Mutismus dazukommt. Ich weiß zum Beispiel von einem anderen Auszubildenden in einer anderen Fachrichtung aus einem ganz anderen Jahrgang, dass er zwar organisch in der Lage war zu sprechen, aber es aufgrund von Mutismus (ich weiß nicht, ob bei ihm auch Autismus im Spiel war) nicht sprechen konnte. Demjenigen dann in der mündlichen Prüfung Punkte abzuziehen, weil er nichts sagt, wäre natürlich massiv unfair gewesen. Er durfte seinen Vortrag mit Laptop und Beamer halten. So konnte er alles kommunizieren, was er auch gesagt hätte, wenn ihm das sprechen möglich gewesen wäre. Es ist also quasi möglich, z. B. Prüfungssituationen in denen man sprechen müsste, schriftlich abzuhandeln. Weiterhin ist es manchmal möglich, dass der Prüfling eine Vertrauensperson mit zu einer mündlichen Prüfung nimmt, die selbstverständlich nicht fachlich, sondern nur emotional unterstützt. 

Nutzung von Strukturierungshilfen

Hier fällt mir zum Beispiel der Time Timer ein (Kurzzeitwecker von meist 60 min, der eine Farbscheibe beinhaltet, die immer schmaler wird, je weniger Zeit übrig bleibt). Er kann den Autisten daran erinnern, dass er sich nicht an einzelnen Aufgabenstellungen "festspielen" darf, weil er sieht: oh, die Zeit wird knapp. Ein Autist aus einem anderen Lehrjahr hat zum Beispiel für die Prüfung den Time Timer aus der Heilpädagogik benutzen dürfen, damit er die Möglichkeit hat, sich die Aufgaben besser zu strukturieren, weil er wie viele AutistInnen kein gutes Zeitgefühl hat. Falls das eigene strukturieren (noch) nicht möglich sein sollte, kann es auch hilfreich sein, wenn der Pädagoge die Aufgaben einzeln vorlegt und die bearbeiteten nach einer gewissen Zeit wieder mitnimmt. So kann verhindert werden, dass der Schüler vielleicht bei einer Aufgabe nicht weiterkommt, aber nicht daran denkt, dass er die restlichen Aufgaben noch erledigen muss und sich an der einen Aufgabe verbeißt. Grundsätzlich sollte es aber natürlich das Ziel sein, dass der Schüler lernt, sich die Aufgaben selbstständig zu strukturieren.

Eine weitere Möglichkeit in Ergänzung zum Time Timer und zur Förderung der Selbstständigkeit wäre, wenn der Lehrer neben die Aufgaben eine Maximalbearbeitungszeit pro Aufgabe dazu schreibt. So kann der Schüler je nach Aufgabe den Time Timer stellen und sieht bei Ablauf: okay, jetzt muss ich woanders weitermachen. 

Was ist wichtig zu wissen? 

Es gibt einen gesetzlichen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich wenn zu befürchten ist, dass eine Behinderung oder eine Einschränkung dazu führt, dass es dem Schüler/Prüfling nicht möglich ist, die Aufgaben so zu erfüllen, wie es nichtbehinderten Mitschülern gelingen könnte. Wie der Nachteilsausgleich aussieht, ist aber von Person zu Person unterschiedlich - es wird immer ganz individuell geschaut, was die Person benötigt und was überhaupt umsetzbar ist. Also nur, weil man sich einen ganz bestimmten Lösungsansatz vorstellt, muss es nicht sein, dass es tatsächlich auch genauso funktioniert. Das sollte man immer berücksichtigen. Außerdem ist gerade bei Prüfungen eine ärztliche Bescheinigung erforderlich, um ihn erhalten zu können. Was für mich auch logisch ist. Es muss ja nachgewiesen werden, dass tatsächlich das Problem besteht - sonst könnte ja jeder behaupten, dass er das oder jenes Problem hat und sich ungerechtfertigte Vergünstigungen dadurch erschleichen. Grundsätzlich handelt es sich beim Nachteilsausgleich aber nicht um eine Extrawurst oder Vergünstigung, sondern um den Ausgleich eines durch Behinderung bestehenden Nachteils gegenüber den gesunden Mitschülern. Es lohnt sich in jedem Fall mit dem zuständigen Lehrer/Ausbilder darüber zu sprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Denn ich betone gern noch mal: teilweise kann man dadurch wesentlich bessere Leistungen abrufen, als ohne die Maßnahmen.

Habt einen tollen Tag.
Anne

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