Autismus und Schlaf - Einschlafprobleme

Hallo!

Ich lese regelmäßig unterschiedliche Blogs von AutistInnen bzw. Eltern von autistischen Kindern. Immer wieder kommt dabei das Thema Schlaf auf. Viele Autisten, besonders Kinder haben Schwierigkeiten beim ein-/ und oder durchschlafen. Ich kann aus eigener Erfahrung zumindest für das einschlafen sprechen, denn das Problem habe ich auch. Durchschlafen ist in der Regel weniger das Problem, eher das zur Ruhe kommen. Heute möchte ich einen Überblick darüber geben, woran es zumindest beim einschlafen scheitern kann und was man tun könnte, um Abhilfe zu schaffen. 
  • Tipp 1: Vor dem schlafen gehen nicht mit dem Spezialinteresse beschäftigen.
Den Fehler habe ich schon häufig selber gemacht. Man könnte denken, dass das gerade eine gute Idee wäre, da das Spezialinteresse auf viele Autisten unheimlich beruhigend wirkt. Wenn man sich vor dem einschlafen noch mal mit etwas entspannendem beschäftigt, ist das doch top? Grundsätzlich ja. Tatsächlich ist das Spezialinteresse aber auch etwas, das unser Gehirn fesselt. Habt ihr mal versucht, einen Autisten, der gerade etwas über sein Spezialinteresse erzählt, davon abzulenken und über etwas anderes mit ihm zu reden? Wie erfolgreich wart ihr dabei? Bei vielen Autisten ist das Gehirn auch nach Beendigung der Beschäftigung mit dem SI noch eine ganze Weile damit beschäftigt, über dieses Thema nachzudenken. Außerdem ist das Gehirn dabei hellwach. Und beides ist natürlich kontraproduktiv, wenn das Kind/der Erwachsene zwar im Bett liegt, aber noch mit Volleifer über das Thema nachdenkt. Wie soll man dabei ruhig und müde werden? Es ist doch gerade super spannend! 

Dazu kommt, dass man in der Regel schwer ein Ende findet, wenn man einmal angefangen hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Erst neulich: geplante Zeit um ins Bett zu gehen ist ca. 22 Uhr. 21:30 Uhr habe ich noch kurz googeln wollen, wann die Crew der ISS voraussichtlich wassert. (Es war die Rückkehr zur Erde geplant.) Habe ich nicht attock herausgefunden, weil ich gar nicht so richtig wusste, wie sich die Crew aktuell nennt. Dabei bin ich auf Space X gestoßen und habe einen Artikel über den Aufbau einer Rakete gefunden, die für den Weltraumtourismus gedacht ist. Plötzlich habe ich angefangen, weitere Informationen über Space X zu recherchieren und bin schlussendlich bei Tieren im Weltraum - speziell Laika gelandet. Wann bin ich schlafen gegangen? 23 Uhr. 😴 Ich war müde - ohne Frage. Aber schlafen gehen? Nee, es war einfach zu interessant. Wenn ich bei dem einen einzigen Artikel geblieben wäre, wäre ich pünktlich im Bett gewesen - dauert ja nur ein paar Minuten. Aber ich habe mich damit selbst in mein Interessengebiet hineinkatapultiert. (Ihr Neurotypen kennt das auch - müde schon, aber das Kapitel schafft ihr doch noch aus dem neuen Roman?!) Ich persönlich empfehle, mindestens eine Stunde vor der Zu-Bett-Geh-Zeit mit der Beschäftigung mit solchen Themen aufzuhören. Noch besser sind anderthalb Stunden vorher, das ist von Autist zu Autist unterschiedlich. Gerade bei jüngeren Kindern kann es zusätzlich hilfreich sein, spannende Beschäftigungsmöglichkeiten mit aus dem Schlafzimmer des Kindes herauszunehmen - so ist die Verlockung nicht so groß und einfach nur rumliegen ist ja langweilig, also kann man auch schlafen. 

  • Tipp 2: Schwere Decke verwenden.
Besonders nach einem aufregenden Tag ist das Gehirn noch mit den Reizen beschäftigt, die es heute wahrgenommen hat. Kurz: das Gehirn ist noch komplett am arbeiten, was es natürlich schwer macht einzuschlafen. Hier kann eine Therapiedecke helfen. In dieser Decke sind Materialien wie z. B. winzige Glaskugeln verarbeitet, die die Decke angenehm schwer machen. In der Regel sollte die Decke ca. 10 % des eigenen Körpergewichts betragen, hier muss man aber individuell schauen, was einem angenehm ist. Wenn man unter dieser Decke liegt, nimmt man seinen Körper extrem gut wahr. Dadurch kann man sich vollkommen auf das konzentrieren, was man gerade wahrnimmt, nämlich wo die schwere Decke überall aufliegt, wie sich das anfühlt (z. B. angenehm warm), etc. Zusätzlich sorgt die Decke für einen angenehmen Tiefendruck. Tiefendruck bedeutet nichts anderes, als ein gleichmäßiger aber stärkerer Druck auf den Körper. Das wirkt unheimlich beruhigend und entspannend. Früher in der Schule hatte ich regelmäßig Physiotherapie. Ab und an hatten wir Gruppentherapie im Gymnastikraum. Dort war ein riesiger Gymnastikball und wenn wir uns etwas wünschen durften, haben wir uns am Schluss noch mal auf den Bauch gelegt und die Physiotherapeutin hat den riesigen Ball über uns drüber gerollt und leicht federn lassen. Auch das ist eine Art von Tiefendruck gewesen und jetzt wo ich weiß, dass ich Autismus habe, erklärt sich mir auch, warum ich das so geliebt habe. Aber auch die anderen fanden das immer mega cool, weil das irgendwie richtig cool war.

  • Tipp 3: Routinen einführen.
Das ist auch bei neurotypischen Kindern sinnvoll, aber gerade bei autistischen Kindern gibt es nichts sinnvolleres, da wir uns extrem an diesen Routinen orientieren. Es ist sinnvoll, wenn das was vor dem schlafen gehen passiert, möglichst immer gleich abläuft. Also zum Beispiel: 0. Waschen/Baden, 1. Schlafanzug anziehen, 2. Zähne putzen, 3. noch mal dem Kater, Mama/Papa/Geschwistern Gute Nacht sagen, 4. gemeinsam ein Buch lesen, 5. noch ein Hörspiel hören und dabei 6. einschlafen. Das Ganze sollte dann immer in exakt der Reihenfolge ablaufen. Je nachdem was das Kind braucht, kann man die Routine natürlich erweitern oder abändern, ich habe jetzt die simpelste aller Routinen aufgezählt. Wichtig ist, dass die Routine auch wirklich immer eingehalten werden kann. Ich hatte schon mehrfach für mich mit anderen Personen das Ritual, dass wir uns Gute Nacht geschrieben haben - und das musste eingehalten werden, das war jeden Abend Pflicht. Die Uhrzeit konnte ein bisschen variieren, aber es musste stattfinden, ansonsten war das einschlafen deutlich erschwert. Daher eine lieb gemeinte Warnung... 

Es kann hilfreich sein, die Routine zusätzlich optisch darzustellen (je nach Alter mit Piktogrammen oder Text). Auch neurotypischen Menschen hilft es, eine Einschlafroutine zu haben. Wenn sie ein paar Mal durchgeführt wird, kapiert das Gehirn irgendwann: okay, jetzt geht es schlafen, ich kann anfangen Melatonin (Schlafhormon) ausschütten, da es die Aktivitäten irgendwann mit schlafen gehen verknüpft. Ich selber habe leider keine wirkliche Schlafenszeit-Routine, weil es ganz davon abhängt, was ich vor dem schlafen gehen mache bzw. ob ich zum Beispiel noch etwas dringend in mein Tagebuch schreiben muss.

  • Mit Umgebungsbedingungen experimentieren.
Das klingt jetzt komplizierter als es ist, mir fällt nur keine wirkliche Überschrift ein. Autistische Menschen haben häufig eine andere Wahrnehmung als Neurotypen. Schon vermeintlich winzige Dinge, wie ein zu dunkles Schlafzimmer, ein zu lockerer Schlafanzug oder nach Waschmittel riechende Decke kann das einschlafen verhindern. Nehmt euch die Zeit und fragt euer Kind, was es am einschlafen hindert, bzw. ob es gern irgendetwas anders hätte. Vielleicht braucht euer Kind jeden Abend eine Wärmflasche im Bett, oder es kann besser schlafen, wenn es statt der Bettdecke einen Schlafsack nimmt. Unter Umständen benötigt es auch ein Nachtlicht um jederzeit seine Umgebung sehen zu können. Genau wie bei neurotypischen Kindern und Erwachsenen brauchen auch AutistInnen bestimmte Voraussetzungen um sich optimal entspannen und einschlafen zu können. Aufgrund der veränderten Wahrnehmung kann es bisweilen ziemlich skurril sein, was das Kind vorschlägt um besser einschlafen zu können, aber probiert es einfach mal aus! Ihr werdet überrascht sein, wie oft schon Kleinigkeiten dafür sorgen, dass das Kind viel besser einschlafen kann! 

Ich hoffe ihr konntet einige Tipps für euch mitnehmen. Viel Spaß beim ausprobieren!
Anne

Kommentare

  1. Mein Sohn mag seine Gewichtsdecke wirklich gerne. Er sagt, er fühlt sich dadurch beschützt.
    Ich mache aber auch ganz gerne ein Schäfchen darunter. Es ist wirklich sehr angenehm.

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