Autismus und Gestik

Hallo,

"Guck doch mal dort! Siehst du den rosa Elefanten?" "?? Wo dort?" "Na da wo der Finger hinzeigt!" Zugegeben, rosa Elefanten gibt es nicht, es sei denn man hat sie angemalt. Was ich grundsätzlich etwas merkwürdig finden würde (Tierschutz und so). Diese Unterhaltung werden aber in ähnlicher Variante viele Angehörige mit ihren autistischen Familienangehörigen führen, bzw. neurotypische Freunde von AutistInnen. Für neurotypische Menschen vermutlich verwunderlich, aber die meisten Autisten wissen tatsächlich überhaupt nicht wo sie hinschauen sollen, wenn ihr Gegenüber ihnen irgendetwas zeigen will. Mir geht es selber ganz oft so. Ich achte überhaupt nicht darauf, dass mein Gegenüber mit dem Finger irgendwo hinzeigt, sondern konzentriere mich nur auf die Worte. Und darin ist nun mal in der Regel nicht die Information enthalten, in welche Richtung ich schauen soll. Dafür ist ja der Fingerzeig gedacht. (Spannend: mir ist gerade aufgefallen, dass der Zeigefinger tatsächlich grundsätzlich immer zum Zeigen genutzt wird und nicht etwa der Daumen, der Mittelfinger oder der kleine Finger. Warum ist das so?) Viele autistische Menschen gehen sehr sparsam mit Gestik und Mimik um. Dieser Punkt ist übrigens auch bei der Autismus-Diagnostik für den Versuchsleiter interessant. Wie viel Gestik setzt der Klient während der Kommunikation ein? Ich erinnere mich noch an meine eigene Diagnostik. Dabei wurde ich aufgefordert, vorzumachen, wie ich Zähne putze. Mir kam das super merkwürdig vor und wusste gar nicht, was sie von mir will. In den Unterlagen später stand dann sinngemäß, dass ich nur sehr wenig mit Gestik gearbeitet habe, sondern nur wortreich erklärt habe, was ich dabei tue. Es entspricht einfach nicht meinem Naturell meine Erzählungen mit Gesten zu begleiten. 

Die meisten Neurotypen holen sich aus Gestik und Mimik des Gegenübers sehr viele Informationen - wie geht es der Person? Möchte sie irgendetwas bildlich darstellen? Möchte sie mir irgendetwas zeigen? Autisten liegt nonverbale Kommunikation allerdings überhaupt nicht. Wir verwenden sie selbst nicht - wenn wir etwas berichten wollen, genügt sprechen ja wohl vollkommen. Da wir selten nonverbal kommunizieren, achten wir natürlich auch bei neurotypischen Mitmenschen nicht darauf, was sie zusätzlich zu ihren Worten noch tun. Wir können es doch in den meisten Fällen eh nicht so gut deuten, wozu damit ablenken? Macht doch gar keinen Sinn... Lenkt nur von den Gesprächsinhalten ab. Ihr zeigt uns also mit dem Finger eine Sache, von der ihr denkt, dass sie auch für uns spannend ist, oder sie mit uns teilen wollt und die Info geht im Zweifelsfall verloren, weil wir überhaupt nicht dort hingucken, wo ihr hinzeigt. Wir meinen das gar nicht böse - ich zum Beispiel vergesse immer wieder, dass ich gucken muss, ob ich irgendwo einen ausgestreckten Zeigefinger sehe, wenn jemand sagt "Guck mal dort!". Wir wollen durchaus an euren Wahrnehmungen teilhaben - die Variante es mit uns zu teilen, entspricht nur leider nicht unserer Kommunikationsmethode. Viel besser wäre, wenn ihr sagen würdet: "Dort ganz rechts auf drei Uhr bei dem Baum - da steht ein rosa Elefant!! Guck mal!" Dann wären wir sofort mit im Boot. :-) Falls das zu umständlich sein sollte, kann man natürlich auch noch mal freundlich darauf hinweisen, dass ihr die Richtung mit dem Finger vorgebt. 

Habt einen schönen Tag und probiert den Erkenntnisgewinn doch gleich mal aus!
Anne 

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