Wohnformen für Autisten - bei den Eltern wohnen bleiben

Guten Tag!

Auch wenn die lieben Kleinen gerade noch in der Kita waren - irgendwann werden aus autistischen Kindern ebenfalls autistische junge Erwachsene. So wie neurotypische junge Erwachsene wollen auch die meisten autistischen jungen Erwachsenen irgendwann selbstständig werden und irgendwann aus dem Elternhaus ausziehen. Und dann besteht die große Preisfrage: welche Wohnform eignet sich am Besten für autistische Menschen? Ich möchte in den nächsten Tagen Pro und Kontra der einzelnen Wohnformen aus der Sicht einer autistischen Person erläutern, um die Entscheidungsfindung vielleicht ein kleines bisschen zu erleichtern. 

Bei den Eltern wohnen bleiben

Das werden vermutlich die allermeisten Menschen (egal ob neurotypisch oder autistisch) machen, wenn sie gerade volljährig geworden sind und das ist ja auch vollkommen legitim. Schließlich hat man nicht automatisch mit dem 18. Lebensjahr alle notwendigen Fähigkeiten erworben, die erforderlich sind, um von zu Hause auszuziehen. Das ist vollkommen normal und man hat ja auch möglicherweise noch gar nicht die finanziellen Mittel, die man benötigt um auszuziehen - egal für welche Wohnform man sich entscheidet, man benötigt ja in jedem Fall Geld für Miete, Nahrung, Möbel (zur Wohnungseinrichtung), laufende Kosten (Versicherung, Nebenkosten, evtl. Verträge) - das hat man gerade wenn man frisch mit der Ausbildung begonnen hat noch nicht. Manche Autisten (und auch manche Neurotypen) fühlen sich jedoch auch wenn sie älter geworden sind nicht in der Lage dazu, von zu Hause auszuziehen und wollen bei ihren Eltern weiterhin wohnen. Zusätzlich muss man natürlich auch sagen, dass Autismus sich in unterschiedlichen Schweregraden auswirkt - gerade frühkindlichen Autisten ist es teilweise überhaupt nicht möglich alleine zu leben, weil es der Autismus und evtl. Begleiterscheinungen das überhaupt nicht zulassen. Auch wenn es manchen frühkindlichen Autisten durchaus möglich ist, gehe ich in den nächsten Beitragen eher auf Autisten mit dem Asperger-Syndrom ein. 

Vorteile:
  • kaum oder gar keine Miete 
Die wenigsten Eltern verlangen von ihren Kindern eine richtige Miete. Nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen habe, habe ich mich zu einem kleinen Teil an der Miete beteiligt und Kostgeld zur Haushaltskasse beigetragen. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Eltern das auch machen, aber das ist in jedem Fall wesentlich weniger Geld, als wenn man eine eigene Wohnung bezieht. 
  • wenn das Geld nicht reicht, können die Eltern eingreifen
Auch der Umgang mit Geld will gelernt sein. Wenn man zu Hause wohnt, ist es nicht allzu schlimm, wenn das Geld mal knapp wird, denn in der Regel haben die Eltern das im Griff und sorgen trotzdem für einen vollen Kühlschrank und alle notwendigen Dinge die man braucht. Die Eltern sind quasi der Airbag, wenn man das Ganze noch nicht so richtig unter Kontrolle hat.
  • Die Eltern sind Experten für ihr autistisches Kind.
Das ist natürlich ein extremer Vorteil. Die Eltern kennen ihr Kind ja schon seit es ein Baby ist und sind den Autismus und die individuellen Auswirkungen bereits gewöhnt. Wenn man als Autist also Schwierigkeiten hat, wissen die Eltern im besten Fall sofort wie sie reagieren müssen. Man hat also in jedem Fall einen kompetenten Ansprechpartner direkt vor Ort. 
  • Es ist das gewohnte Umfeld.
Auch das könnte einen Autisten dazu bewegen, weiterhin zu Hause zu wohnen. Ein Umzug bedeutet natürlich, dass man sich an eine vollkommen fremde Umgebung gewöhnen muss. Wenn man sich gleichzeitig noch an einen neuen Arbeitsplatz/Ausbildung gewöhnen muss und neue Fähigkeiten erwerben muss, die erforderlich sind um allein leben zu können, kann das ganz schön viel auf einmal sein.

Nachteile:
  • Selbstständigkeit leidet sehr stark darunter
Wenn die Eltern natürlich sehr viel Wert darauf legen und sich extrem darum, dass der junge Erwachsene möglichst viel selbst macht und seine Angelegenheiten selber regelt, bleibt die Selbstständigkeitsentwicklung bei dieser Wohnform stark auf der Strecke. Grund dafür ist, dass die Eltern natürlich alles mitbekommen, was ihr Kind (egal welchen Alters) so anstellt und was es vielleicht noch falsch macht und greifen unbewusst recht oft ein und unterstützen es selbst bei den Dingen, die es eigentlich selbst erlernen könnte, wenn man es lassen würde. Eltern können es nun mal nicht besonders gut aushalten, wenn ihr Kind Probleme bei irgendetwas hat. Wenn man alleine wohnt, muss man z. B. lernen selbstständig Spinnen zu entfernen, Glühlampen auszuwechseln, regelmäßig den Abwasch zu machen, etc. Außerdem muss man nicht lernen, Dinge die man nicht gern macht, selber zu übernehmen. Eltern greifen viel zu oft ein, wenn sie alles mitbekommen. Wenn ich noch zu Hause wohnen würde, würde ich vielleicht immer noch nicht selbstständig Termine organisieren. Ich hasse es abgrundtief irgendwo anzurufen und ich brauche auch meist sehr lange bis ich mir Termine organisiere, aber: ich mache es selbstständig. Ab und zu benötige ich noch Unterstützung von meiner Mutti, aber oft bekomme ich es jetzt schon selbst hin.
  • Kontakte mit Gleichaltrigen sind eher gehemmt
Es kommt natürlich auf das Alter der Beteiligten an, aber spätestens im richtigen Erwachsenenalter (ab 30 Jahren spätestens) finden es die meisten (insbesondere Neurotypen) höchst seltsam, wenn man noch bei seinen Eltern wohnt. Auch wenn es bei manchen autistischen Menschen sinnvoll ist, so wollen sie sich höchstwahrscheinlich nicht bei ihrem Freund treffen, wenn Mama und Papa die ganze Zeit dabei sind. Außerdem halten sie denjenigen vermutlich für unselbstständig. Ich gehe davon aus, dass Treffen eher zustande kommen, wenn man eine eigene Wohnung hat.

Fazit:

Selbstverständlich ist es in Ordnung bei seinen Eltern zu wohnen, wenn das für alle Beteiligten okay ist. Man sollte sich aber bewusst sein, dass es in dieser Konstellation schwierig ist selbstständig zu werden, was aber gerade für Autisten extrem wichtig ist. Denn die Eltern werden nicht auf ewig in der Lage sein, ihre Kinder zu betreuen und bei allem zu unterstützen. Wenn der autistische Mensch dann "ins kalte Wasser geworfen" wird und sich nie die Fähigkeiten aneignen konnte, die er zum selbstständigen Leben benötigt, wird es extrem hart. Wenn alle Beteiligten (also inkl. der Autist selbst) sicher sind, dass es noch nicht möglich ist allein zu wohnen, gibt es noch andere Wohnformen und Möglichkeiten, als für immer bei den Eltern zu wohnen. Die beschreibe ich in den nächsten Beiträgen.

Habt einen schönen Tag.
Anne

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