Oxytocinspray - ein Medikament gegen Autismus?

Guten Tag!

Den einen oder anderen dürfte die Überschrift irritieren. Denn theoretisch wird einem schon beim Gespräch in dem einem die Diagnose gestellt wird gesagt, dass es sich bei Autismus um eine Störung handelt, die nicht heilbar ist. Dabei ist es geblieben und es wird voraussichtlich auch immer so bleiben, daran ändert auch das Oxytocin-Nasenspray nichts. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten um die Beschwerden bzw. Begleiterscheinungen von Autismus zu lindern, bzw. die Fähigkeiten autistischer Menschen zu verbessern. Bisher hatte man angenommen, dass Oxytocin-Nasenspray Autisten dabei helfen könnte, sich besser in andere Menschen hineinzuversetzen bzw. Bindungen aufzubauen. 

Wie sollte Oxytocin Autisten helfen und wobei?

Oxytocin ist ein körpereigenes Hormon, welches umgangssprachlich auch als Kuschelhormon bezeichnet wird. Es steigert unter anderem das Selbstbewusstsein und sorgt dafür, dass man sich gut in andere Menschen hineinversetzen kann und sich in zwischenmenschlichen Beziehungen wohlfühlt und anderen Menschen vertraut. Also genau das, was Autisten schwer fällt. Was liegt da näher, als ihnen genau dieses Hormon zusätzlich zu verabreichen um die Wirkung des körpereigenen Hormons quasi zu verstärken? 

Was sind die Nebenwirkungen von Oxytocin?

Nebenwirkungen? Es ist doch ein körpereigenes Hormon? Das schon, aber dennoch kann das künstliche Zuführen dieses Hormons Nebenwirkungen haben. Unter anderem kann es bei schwangeren Frauen geburtseinleitend wirken. Aber ich werde jetzt mal nur auf die Nebenwirkungen eingehen, die am häufigsten auftreten:
  • Blutdruckanstieg
  • zu schneller oder zu langsamer Herzschlag
  • Herzrythmusstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Übelkeit/Erbrechen
Warum Oxytocin Nebenwirkungen auslösen kann, habe ich nicht herausfinden können, aber diese Nebenwirkungen treten tatsächlich häufiger auf. Und diese finde ich ziemlich heftig - ist nun die Frage, ob man diese wirklich auf sich nehmen möchte. Höchstwahrscheinlich sind diese, in Verbindung mit der Tatsache, dass ihre Wirkung nicht hundertprozentig gesichert ist, seit 2008 nicht mehr verfügbar auf dem deutschen Markt. 

Was ist die neueste Studie zu dem Thema?

Die neueste Studie (übrigens die größte, die jemals zu diesem Thema durchgeführt wurde) wurde von der Kinder-und Jugendpsychiaterin Dr. Linmarie Sikich in North Carolina (USA) durchgeführt. Dabei wurden 277 autistische Kinder und Jugendliche per Zufall in Placebo- und Oxytocin-Gruppen eingeteilt. Die Placebo-Gruppe erhielt genauso wie die Kinder mit Oxytocin Nasenspray, nur dass das eben ohne Wirkstoffe war. Dabei wurde darauf geachtet, dass sie gleichaltrig sind und die gleichen sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten aufgewiesen haben. Die Studie dauerte 24 Wochen. Pro Tag wurden den Oxytocin-Kindern 24 Dosen des körpereigenen Hormons zugeführt. 

Wie weist man nun aber nach, ob das Medikament wirkt oder nicht wirkt? Das wurde über eine spezielle Checkliste gemacht, welche kognitive und soziale Fähigkeiten abfragt. Der Unterschied von der Placebo- und der Wirkstoffgruppe lag lediglich bei 0,2 % - ein derart niedriger Wert, dass man ihn nicht auf die Wirkung des Nasensprays schieben kann. Damit ist leider nachgewiesen, dass Oxytocin keine wesentliche positive Wirkung auf die sozialen Fähigkeiten autistischer Kinder hat. 

 Warum sagt die neue Studie das Gegenteil von den positiven Studien aus?

Mit dieser Frage haben sich auch belgische Forscher auseinandergesetzt. Ihrer Meinung nach könnte das daran liegen, dass offenbar nur Studien veröffentlicht werden, die einen positiven Effekt des Hormons nachweisen. Auf die Idee sind sie gekommen, weil sie ihre eigenen Arbeiten zu der Wirkung von Oxytocin damit verglichen, wie oft sie veröffentlicht worden sind. Über 90 % ihrer Experimente zu der Förderung von sozialen Fähigkeiten durch Oxytocin sind negativ ausgefallen (keine Wirkung nachweisbar). Von all ihren Studien wurden nur sehr wenige überhaupt veröffentlicht - davon nur eine die eindeutig aussagt, dass Oxytocin nicht die erhoffte Wirkung zeigt. Das lässt nahelegen, dass die Fachzeitschriften möglicherweise nur positive Ergebnisse zu diesem Thema veröffentlichen - warum auch immer! Aber nur weil nicht öffentlich über die Studien geschrieben wurde, muss das ja nicht heißen, dass sie nicht stattgefunden haben... 

Ein anderer Grund könnte sein, dass in den bisherigen Studien viel zu wenig Teilnehmer mitgewirkt haben. Um eine glaubwürdige Statistik erheben zu können, benötigt es eine gewisse Anzahl an Versuchspersonen, um zum Beispiel Zufälle ausschließen zu können. Die jetzige Studie ist eine der größten Studien zu Oxytocin... Und das waren nur 277 Kinder/Jugendliche - wie wenig Versuchspersonen müssen in den anderen Studien mitgewirkt haben? 

Fazit

Die jetzige Studie ist brandneu. Bisher habe ich ebenfalls immer nur die positiven Ergebnisse gelesen, dass Oxytocin eine positive Wirkung auf die sozialen Fähigkeiten von autistischen Menschen hat und war zugegebenermaßen ziemlich frustriert, als ich auf eine Recherche hin rausgefunden habe, dass Oxytocin seit 2008 nicht mehr auf dem Markt ist. Ich fand es unfair, dass mir dadurch quasi die Möglichkeit verbaut wurde, das Medikament zu testen und vielleicht auch positive Wirkungen zu erfahren. (Das war gerade eine Phase, in der ich häufiger Probleme hatte, mich in andere Menschen hineinzuversetzen und mich darüber geärgert habe.) 

Man muss sich aber immer vor Augen führen: es ist kein Allheilmittel gegen Autismus. Autismus ist nicht heilbar, war nie heilbar und wird auch nie heilbar sein. Selbst wenn die Studie jetzt nicht herausgefunden hätte, dass das Nasenspray keine positive Auswirkung auf Autismus hat, wäre man maximal von einem Teilbereich des Autismus erlöst. Es würden nachwievor die Reizüberflutungen sowie z. B. Schwierigkeiten mit Veränderungen, Kommunikationseinschränkungen, Entwicklungsverzögerungen, etc. bleiben. Es wäre ja lediglich die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sowie die Erleichterung vom Aufbau von Bindungen verbessert worden. Dazu kommen natürlich auch noch die Nebenwirkungen, die wie gesagt absolut nicht ohne sind.

Und zu guter Letzt: das Medikament ist nicht mal mehr auf dem Markt. Die Studie hat jetzt also keinerlei Auswirkungen auf eine Therapiemöglichkeit von autistischen Menschen. Es ist einfach nur herausgekommen, dass ein solches Medikament in 99 % aller Fälle ohnehin nicht helfen würde. Sie verwehrt niemandem die Chance darauf, es zu probieren, weil es sie ohnehin seit Jahren außerhalb von Studien nicht mehr gibt. Aus diesem Grund ist die Studie zumindest für mich eine Erleichterung. - Mir ist definitiv keine Verbesserungsmöglichkeit entgangen, trotz dass das Medikament nicht mehr auf dem Markt ist.

Habt einen schönen Tag!
Anne

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