Autismusgerechter Supermarkt

Hallo!

Die Überschrift dürfte den einen oder anderen irritieren... Gibt es einen Supermarkt der speziell für Autisten bzw. Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen/Schwierigkeiten ausgelegt ist? Nein, mir persönlich ist keiner bekannt. Es gibt aber Supermärkte in Irland, England, Schweiz und Neuseeland die dem "perfekten Supermarkt für Autisten" schon verdammt nah kommen. Sie haben die sogenannten "Stillen Stunden" eingeführt. Dort werden an ca. 2 Tagen in der Woche für ungefähr 2 Stunden die Reize für Kunden mit Autismus bzw. andere Kunden die empfindlich auf zu viele Reize reagieren stark eingedämmt. 

Welche Maßnahmen werden bei der stillen Stunde umgesetzt?
  • gedimmtes Licht 
  • keine Musik im Hintergrund
  • keine Lautsprecherdurchsagen
  • Mitarbeiter verhalten sich beim Waren einräumen leiser und verzichten auf laute Aktivitäten
  • Begleithunde sind ausdrücklich erlaubt
Alleine diese Maßnahmen wären schon hilfreich, um das Einkaufen für Menschen im Autismus-Spektrum bzw. auch den anderer Kunden mit Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung wesentlich zu erleichtern. Gerade das Hintergrundgedudel ist in der Regel extrem anstrengend. Ja, ich höre selbst zu nahezu jedem möglichen Zeitpunkt Musik, aber die kann ich bestimmen und auch ihre Lautstärke. 

Was wäre außerdem noch angenehm?
  • weniger Menschen zur selben Zeit im Laden
Ich verstehe schon, warum die meisten Supermärkte voll sind. Viele Kunden = viel Umsatz. Darum wird außer jetzt in der Coronapandemie kein Supermarkt darauf achten, nur eine bestimmte Anzahl an Kunden in den Laden zu lassen. Es wäre aber wesentlich stressfreier (nicht nur für Autisten), wenn einem aufgrund von Platzmangel die Menschen nicht so auf die Pelle rücken würden.
  • weniger Zeitdruck an den Kassen 
Es sollte eine Kasse geben, wo es ausdrücklich erlaubt ist, sich so viel Zeit beim einpacken zu nehmen, wie man benötigt. In den meisten Supermärkten fühlt man sich schon durch das enorme Tempo, in dem die Kassiererin die Waren über das Band schiebt, extrem unter Druck gesetzt. Autisten haben eine niedrige Stressresistenz, ich finde das einpacken am Schluss eigentlich immer am schlimmsten vom ganzen Einkauf...
  • weniger grelle/aufregende Werbetafeln und bunt durchmischte Wühltische
Natürlich sollen die Kunden auf das neueste Angebot aufmerksam gemacht werden und das funktioniert am besten mit bunten Anzeigetafeln. Am besten neongelb oder orange - zack gucken alle hin. Außerdem macht es vielen Menschen Spaß auf den zusätzlichen Verkaufsflächen das eine oder andere Schnäppchen zu finden. Für Autisten bzw. Menschen die nicht so gut mit zu vielen Reizen umgehen können, ist sowas hingegen extrem anstrengend. Besonders schlimm finde ich offengestanden eine Marktkette mit dem Anfangsbuchstaben L. Hier weiß man teilweise überhaupt nicht wo man zuerst hinschauen soll.

Gibt es die Stille Stunde auch in Deutschland?

Leider gibt es in Deutschland soweit ich weiß keinen einzigen Supermarkt, der für Kunden mit Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung, ein solches Einkaufserlebnis anbietet. Im REWE kann man die Mitarbeiter bitten, die Musik auszustellen (sagt zumindest ein Artikel im Internet - ausprobiert habe ich das noch nie), das Licht kann offenbar nicht gedimmt werden. In Aldi und Lidl wird auf Hintergrundmusik von vorn herein verzichtet, was ich nicht schlecht finde. So wirkliches Interesse an einer Stillen Stunde gibt es in Deutschland leider überhaupt nicht, was ich massiv schade finde. Es würde meines Erachtens auch den Autisten helfen, die aufgrund ihrer Reizverarbeitungsstörung aktuell noch andere Menschen zum Einkaufen schicken müssen, weil sie es selber nicht bewerkstelligen könnten. Leider sind die Supermärkte bisher nicht daran interessiert, eine solche Maßnahme auch in Deutschland einzuführen. Und das, obwohl es nachweislich nicht zu Einbußen im Umsatz führt, wie die Pilotprojekte im Ausland gezeigt haben.

Wie wäre dann ein Supermarkt speziell für Autisten?

Zum einen: wenn schon die stille Stunde von deutschen Supermärkten als sinnlos erachtet wird, dann wird sich erst recht niemand finden, der einen Supermarkt speziell für Autisten entwirft und betreibt. Das ist meines Erachtens aber auch nicht notwendig. Wir können ja theoretisch in denselben Supermarkt wie Neurotypen gehen - wir benötigen ja keine besonderen baulichen Spezialitäten. Außerdem wäre es diskriminierend den Nichtautisten gegenüber, wenn man sie konsequent ausschließen würde aus so einem Supermarkt. Viel sinnvoller wäre es, wenn die stillen Stunden in normalen Supermärkten an ein paar Tagen in der Woche (mal früh und mal abends) eingeführt werden würde. Denn es würde ja niemand den Neurotypen verbieten, in diesen Zeitspannen einkaufen zu gehen. Sie müssen lediglich damit leben, dass ein bisschen dunkler ist und keine Hintergrundmusik läuft, aber das ist glaube ich für die wenigsten ein echtes Problem, sondern im Gegenteil: eher angenehm! Man muss das ja gar nicht jeden Tag machen, es würden ja schon ein paar Tage in der Woche ausreichen für eine begrenzte, aber vorhersehbare Zeitspanne. Schon wäre es auch für uns viel angenehmer. Ich hoffe, dass man irgendwann auch die großen Supermarktketten in Deutschland von dem Projekt überzeugen kann. Ich werde demnächst mal eine Mail an ein großes Kaufhaus in meiner unmittelbaren Umgebung schicken und ihnen mal den Vorschlag unterbreiten. Mal sehen wie sie reagieren. :-)

Bis dahin: fröhliches Einkaufen und einen schönen Tag!
Anne


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