Autismus und Selbsthilfegruppen

Guten Tag,

heute soll es mal wieder um Unterstützungsmöglichkeiten für autistische Menschen gehen, konkret um Selbsthilfegruppen. Ich selbst nutze dieses Angebot seit ungefähr anderthalb Jahren an dem Standort, an welchem ich diagnostiziert worden bin. Wir sind insgesamt 3 AutistInnen und 2 Psychologinnen. Früher waren wir zu fünft, später dann zu viert und jetzt eben nur noch zu dritt. Das ist aber meines Erachtens eine gute Größe. Viele Autismus-Selbsthilfegruppen sind größer. Im BBW war ich zum Beispiel in einer Selbsthilfegruppe, da waren wir ungefähr zu zwölft(?) plus 1 Psychologe und 1 Sozialpädagoge. 

Was macht man in einer Selbsthilfegruppe?

Das ist ganz abhängig davon, was die Autisten wollen. Man kann:
  • über akute autismus-spezifische Probleme sprechen und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten
  • man kann gemeinsam verschiedene Unternehmungen machen (also Zeit mit anderen Autisten verbringen)
  • man kann sich von den begleitenden Psychologen erklären lassen, wie neurotypische Menschen ticken und wie man lernen kann sie besser zu verstehen
  • man kann gemeinsam Dinge üben, die einem durch den Autismus schwer fallen (natürlich mit Anleitung der Psychologen
  • ...
Was ist Sinn und Zweck einer Selbsthilfegruppe?

Hauptsächlich ist die Selbsthilfegruppe natürlich dazu da, mit Menschen zusammenzukommen, die die gleichen oder zumindest annähernd ähnlichen Baustellen im Leben haben. Sie soll den Betroffenen das Gefühl vermitteln, dass sie nicht allein sind, sondern es noch ganz viele andere Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Man bekommt dabei mit, dass man sich nicht einfach zu blöd anstellt, sondern dass es einfach zum Störungsbild dazugehört. Außerdem können sich schöne Freundschaften entwickeln, wenn die Autisten auch außerhalb der Selbsthilfegruppe Kontakt zueinander pflegen. Das ist aber selbstverständlich kein Muss. Sinnvoll ist außerdem, dass die Gruppe meist von psychologischen Fachkräften betreut wird, die eventuelle Schwierigkeiten abfangen und professionell begleiten können. Außerdem ist eine solche Gruppe sinnvoll, weil die anderen ja ähnliche Probleme haben - vielleicht haben sie ja schon eine Lösung für dieses Problem gefunden und man selbst kann davon profitieren, oder anders herum. Es geht um das gemeinsame profitieren voneinander.

Worauf sollte man bei der Suche einer Selbsthilfegruppe achten?
  • Die AutistInnen sollten entscheiden was gemacht wird.
Es gibt leider auch Autismusgruppen wo die Autisten Dinge besprechen/üben müssen, die sie eigentlich gar nicht interessiert, bzw. die sie vielleicht auch nicht brauchen. Hier entscheidet in der Regel die Psychologin, was bearbeitet wird. Die Autisten sollten aber die oberste Entscheidungsgewalt haben. Die Psychologen begleiten nur - die Autisten sind die Hauptpersonen und entscheiden, was für sie wichtig ist. Wir z. B. haben uns als Gruppe geschlossen dagegen entschieden irgendwelche Übungen zum erkennen von Mimik oder zum entschlüsseln der Verhaltensweisen von Neurotypen oder zum trainieren von bestimmten Tätigkeiten entschieden. Grund dafür ist, dass wir andere Möglichkeiten gefunden haben um mit diesen Baustellen im Leben umzugehen und genau wissen, dass wir es nie intuitiv verstehen würden. Das wurde von unseren Psychologen akzeptiert. Wenn wir zwischendurch doch mal so etwas wissen wollen, gehen sie spontan darauf ein.
  • Es sollte zu keinem Zeitpunkt Kritik an die Teilnehmer herangetragen werden, weil sie irgendetwas nicht können.
Jeder sollte so genommen werden wie er ist, ganz besonders natürlich in solchen Selbsthilfegruppen - die ja ein absoluter Schutzraum sind. Hier öffnen sich die Menschen weil sie endlich unter Gleichgesinnten sind. Wenn in den Gruppen Übungen stattfinden (z. B. Training wie man Mimik von Mitmenschen entschlüsselt, Ironie versteht, herausfinden soll wie sich Personen fühlen), sollte das lediglich dem möglichen Informationsgewinn von den Autisten dienen. Unter keinen Umständen darf die psychologische Fachkraft Kritik äußern, wenn der Autist die Fähigkeit trotz der Übung immer noch nicht erlangt hat. Es gehört zum Störungsbild dazu, dass manche Dinge einfach nicht erlernt werden können! Wenn die Fachkraft das nicht auf dem Plan hat, dann ist sie es die auf dem Posten falsch ist - nicht ihr!!
  • Jede Form von Stimming sollte akzeptiert werden.
Bei uns in der Autismusgruppe gilt die klare Regel: was uns gut tut ist erlaubt. Wenn wir unruhig sind und gern durch den Raum laufen würden, dann stehen wir unkommentiert auf und tun genau das. Wenn die Gießkanne schief auf dem Fensterbrett steht, dürfen wir aufstehen und sie so gerade rücken, wie wir es brauchen, damit sie uns nicht ablenkt. Wenn ich eine Perlenkette aus der Jackentasche heraushole und die Perlen entlang schiebe, dann ist das vollkommen in Ordnung. Es gilt der Grundsatz: wir müssen uns im Alltag in der Regel schon so massiv anpassen, dass wir wenigstens im geschützten Rahmen der Autismusgruppe ganz wir selbst sein SOLLEN! Und das ist meines Erachtens grundsätzlich immens wichtig für eine Selbsthilfegruppe. 
  • Jede Kommunikationsart sollte akzeptiert und niemand zur Mitarbeit gezwungen werden.
Wenn ein Teilnehmer nicht sprechen kann, ist es natürlich selbstverständlich, dass auch schriftliche Kommunikation oder z. B. ein Talker als Kommunikationsform akzeptiert werden müssen. Aber selbst wenn theoretisch alle AutistInnen sprechen können, muss es jedem freigestellt sein, auch anders zu kommunizieren, z. B. schriftlich. Wenn irgendjemand fremdes in der Gruppe ist oder ich stark durch den Wind bin, schreibe ich das was ich sagen möchte auf Karteikarten und reiche sie einer der Gruppenleiterinnen. Es sollte aber auch möglich sein, sich überhaupt nicht zu beteiligen, sondern lediglich zuzuhören. Es kommt nun mal ganz auf die Tagesform an, inwiefern man sich beteiligen kann und in welcher Form. Jeder der sich mit Autismus auskennt, sollte das wissen.

Fazit

Autismusgruppen können sehr hilfreich sein um mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und mit ihnen gemeinsam Lösungen für bestehende Schwierigkeiten zu klären. Außerdem kann man gemeinsam Dinge unternehmen, die man sich ohne Begleitung vielleicht nie getraut hätte und man bekommt die Möglichkeit einfach mal so zu sein, wie man wirklich ist. Sinnvoll ist eine solche Selbsthilfegruppe aber nur, wenn man sich mit den anderen Gruppenteilnehmern versteht und sich sicher fühlt. Wenn ihr also irgendwie das Gefühl habt, dass ihr euch nicht wirklich wohlfühlt, dann traut euch und sucht nach einer anderen Gruppe. Die Möglichkeit sollte immer bestehen und die meisten Städte haben mehrere Selbsthilfegruppen.

Vielleicht wollt ihr es ja selbst mal ausprobieren! Habt einen schönen Tag.
Anne

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