Wenn Baustellen einen Meltdown auslösen

Hallo!

Heute ist eigentlich Freitag, der 03.09.2021. Gerade bin ich unglaublich müde und frustriert. Direkt nach der Arbeit hatte ich leider einen heftigen Meltdown, der bestimmt 20 min angehalten hat. Grund dafür ist etwas, dass den meisten neurotypischen Menschen vermutlich auf den Keks geht, aber nicht weiter weltbewegend ist: die Verkehrsbetriebe meiner Stadt haben via Laufschrift an der Anzeigetafel die Fahrgäste über Baumaßnahmen in Kenntnis gesetzt. Diese Baumaßnahmen gedenken sie exakt am Schulanfang zu starten und einen Monat lang umzusetzen. Auswirkungen auf mich:

- ich muss mit der Bahn fahren, die 10 min früher fährt - muss also meinen kompletten Tagesbeginn anders strukturieren

- ich kann nicht wie gewohnt mit meinem Kumpel zur Arbeit fahren, weil er mit der früheren Bahn wesentlich zu früh auf Arbeit ankommen würde

- die Bahn fährt auch am Nachmittag zu einer anderen Abfahrtszeit und die Verbindung ist so schlecht, dass ich wesentlich länger bis zur Arbeit brauche

- ich muss früh morgens den vollgestopften Schienenersatzverkehr nutzen (ist nur eine kurze Strecke, aber zu Fuß ist keine Option, weil ich das zeitlich nicht schaffe)

Zusammengefasst kann man sagen, dass ich durch die Baumaßnahmen schon super gestresst in den Tag starte. Mit am schlimmsten ist die Tatsache, dass ich nicht wie gewohnt mit meinem Kumpel fahren kann (das ist ein immens wichtiges Ritual für mich) und ich mit dem Schienenersatzverkehr fahren muss. Der Schienenersatzverkehr ist in der Regel extrem mit Menschen vollgestopft - ich hasse Menschenmengen - das ist unglaublich anstrengend. Wenn ich aber bereits gestresst auf Arbeit ankomme, darf dort dann eigentlich nichts mehr schief gehen, weil mein innerer Akku ja bereits gut leer geschöpft ist. 

Nicht dass ich nicht verstehen würde, dass Baustellen sein müssen und die Verkehrsbetriebe das Projekt gar nicht ohne Veränderungen über die Bühne bringen können. Ich bin ja nicht doof. Das Problem ist aber, dass durch mein rein sachliches Verständnis für diese Maßnahmen, meine Schwierigkeiten die dadurch entstehen, nicht verschwinden. Sie sind weiter vorhanden und ich habe kaum noch eine Möglichkeit, Lösungen dafür zu finden, weil die Ankündigung extrem kurzfristig kam. Über das Wochenende kann ich keine Unterstützung mehr von meinen Psychologinnen anfordern, die sich mit Autismus und den damit verbundenen Problemen auskennen, anfordern. Gewöhnlichen neurotypischen Menschen fällt es leider extrem schwer, die Verzweiflung von AutistInnen in solchen Momenten nachzuvollziehen, weil sie diese Probleme eben nicht haben. Sie sind allerhöchstens genervt, aber für sie ist es eben kein Weltuntergang. Darum ist es ihnen auch kaum möglich, uns bei der Lösung dieser Probleme zu helfen. Weil sie nicht verstehen, was wir brauchen, damit es nicht mehr ganz so schlimm ist. 

Ergo fühlen wir uns unverstanden und ärgern uns über uns selbst, weil wir durch den Autismus so derartig "überreagieren". Die Neurotypen kommen ja auch damit klar - nur wir drehen am Rad. Gleichzeitig wissen wir, dass dieser Zustand niemals verschwinden wird (Remember: Autismus ist nicht heilbar), wodurch wir direkt noch ein bisschen frustrierter sind. Und dann summieren sich die Angst vor dem Berg an bevorstehenden Veränderungen, mit dem Schreck über diese kurzfristige Information und dem Ärger über uns selber und enden dann in einem Meltdown, über den wir uns dann übrigens ebenfalls ärgern. So ein Meltdown ist unfassbar anstrengend und ermüdend und auch schmerzhaft, weil viele von uns sich selbst schlagen, wir gegen Gegenstände boxen, unsere Muskeln sich extrem dabei verspannen und wir in der Regel stark weinen. Darum hat mein Meltdown vorhin auch nach ungefähr 20 min aufgehört - es war einfach keine Energie mehr vorhanden. 

Aber nur, weil ich nicht mehr genügend Kraft habe um vollkommen auszurasten, heißt das leider noch lange nicht, dass ich mich beruhigt habe und mit der Situation im Reinen bin. Ganz im Gegenteil. Jetzt bin ich halt einfach nur müde, frustriert (weil ich mich darüber ärgere, dass ich mich während des Meltdowns kaum unter Kontrolle hatte) und unruhig, weil mich der Montag mit einem Berg an Veränderungen und ungünstigen Kombinationen erwartet. Und das alles nur, weil die Verkehrsbetriebe spontan eine Baustelle ins Leben gerufen haben. 😞

Nach diesem Beitrag könnt ihr vielleicht nachvollziehen, warum AutistInnen auch manchmal wegen vermeintlichen "Kleinigkeiten" vollkommen in die Luft gehen. 

Anne

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