Was ist das Asperger-Syndrom?

Hallo!

In den letzten beiden Beiträgen habe ich über Autismus im Allgemeinen und den frühkindlichen Autismus geschrieben. Heute soll es um das Asperger-Syndrom gehen. Ich selber habe das Asperger-Syndrom und habe das bei meiner Recherchen zu diesem Beitrag noch mal extrem wiedererkannt. Ich wusste teilweise gar nicht, dass einzelne Eigenheiten gar nicht meine persönlichen "Macken" sind, sondern zum Störungsbild gehören!

Entdeckung des Asperger-Syndrom

Anders als man es durch den Namen erahnen können, wurde das Asperger-Syndrom ursprünglich gar nicht von Hans Asperger entdeckt! Die erste Entdeckung dieser Autismus-Störung stammt von der russischen Kinderpsychiaterin Grunja Sucharewa im Jahr 1926. Es wurde allerdings noch nicht als Autismus bezeichnet, sondern als schizoide Psychopathie (Persönlichkeitsstörung). Was erst mal vollkommen abwegig klingt, ist dem Autismus tatsächlich gar nicht mal so unähnlich. Es handelt sich dabei um eine tiefgreifende Kontaktstörung zu anderen Menschen. Menschen mit einer schizoiden Psychopathie haben oft Probleme Gefühle (insbesondere Freude) zu zeigen und wirken daher oft starr, unmenschlich. Sie haben oft wenig Kontakte und leben sozial isoliert. Tatsächlich hat das nichts mit dem Asperger-Syndrom zutun, aber wenn man nicht so viel Ahnung von Autismus hat oder diesen noch nicht kennt, könnte man das damit gut verwechseln.

Im Jahr 1926 zieht der Kinder- und Jugendpsychiater Hans Asperger dann nach. Er bezeichnete die Störung als autistische Psychopathie und lag damit schon deutlich näher. Menschen mit einer autistischen Psychopathie haben folgende Symptome:

- Missachtung sozialer Normen, Regeln, Verpflichtungen
- fehlendes Schuldbewusstsein
- geringes Einfühlungsvermögen

Trifft doch schon deutlich besser zu, oder? Wir haben allerdings kein fehlendes Schuldbewusstsein. Seine Forschung wurde aber zunächst ignoriert. Erst als die britische Psychiaterin Larna Wing im Jahr 1981 die Arbeit von Asperger fortsetzt und feststellt, dass es sich nicht um eine autistische Psychopathie sondern die Störung als Teil des Autismus Spektrums handelt und die Krankheit nach Asperger benennt, wird diese Störung richtig bekannt.

Unterscheidung Frühkindlicher Autismus - Asperger Syndrom

Im Gegensatz zu frühkindlichen Autisten sind Menschen mit dem Asperger-Syndrom bis zum dritten Lebensjahr vollkommen unauffällig. Ihre Schwierigkeiten treten in der Regel erst im Kindergarten und Schulalter auf.  Die meisten Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben eine normale Intelligenz, es kann sogar vorkommen, dass sie eine Inselbegabung (Savant-Syndrom) haben, die Häufigkeit dieses Falls ist allerdings nicht ganz klar, weil das schwer zu untersuchen ist. Außerdem sind Asperger-Autisten in der Regel normal in der Sprache, während frühkindliche Autisten häufig enorme Probleme mit der Kommunikation und dem Sprechen haben. 

Symptome des Asperger-Syndrom

Motorische Besonderheiten

Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben oft Koordinationsstörungen, sie haben Probleme im feinmotorischen (basteln, schreiben, malen - ich halte den Füller zum Beispiel nie so, wie es die Griffmulden vorgeben, da könnte ich gar nicht schreiben, eher im Faustgriff) und grobmotorischen Bereich (z. B. Gleichgewichtsprobleme, Schwierigkeiten beim Federballspielen - wohin muss ich mit dem Schläger wenn ich den Ball kommen sehe, bzw. wie stark muss ich dagegen hauen, damit er auch bei meinem Partner ankommt?). 

Wenn sie aufgeregt oder ängstlich sind kann es bei autistischen Menschen vorkommen, dass sie teilweise komische Bewegungsabläufe haben, z. B. wedeln mit den Armen (wie ein Vogel), bzw. ein stelziger Gang.

Kommunikation

Menschen mit dem Asperger-Syndrom können in der Regel gut sprechen. Während frühkindliche Autisten teilweise gar nicht sprechen können, ist bei Menschen mit Asperger oft das Gegenteil der Fall. Sie können, zumindest über ihre Lieblingsthemen, fast nonstop sprechen. Sie neigen oft zu unablässigem und langatmigen reden und interessieren sich eigentlich nicht dafür, ob sich der Gesprächspartner gerade dafür interessiert. Bis ich das heute gelesen habe, hab ich eigentlich immer gedacht: "Oh Shit, jetzt hast du A schon wieder in Grund und Boden gequatscht, wieso kann ich sie nicht einfach mal zu Wort kommen lassen?!", aber in Wirklichkeit gehört es einfach zum Asperger-Syndrom dazu! Ich kriege es aber meist auch erst nach ca. 5 - 10 min mit, dass ich pausenlos über das was mich gerade interessiert labere und von der anderen Seite schon seit mehreren Minuten Stille herrscht.

Außerdem neigen wir oft zu detailorientiertem Erzählen und haben Probleme wichtige Informationen von unwichtigen zu unterscheiden. Es kommt auch häufig vor, dass wir völlig abrupt das Gesprächsthema wechseln, die für unseren Gesprächspartner aber meist überhaupt nicht nachvollziehbar sind. Das habe ich schon oft bemerkt. Für mich ist natürlich vollkommen klar, wie ich auf das Thema gekommen bin - der Themenwechsel wurde ja innerhalb von meinem Kopf eingeleitet. Meist erinnert mich ein winziger Teilbereich aus dem Thema an ein anderes. Aber meine Gesprächspartner wissen nicht, wie ich auf das andere Thema gekommen bin, weil sie ja meine Gedanken nicht lesen können. Das vergesse ich aber immer und bin dann sauer, weil sie mir nicht folgen können. Ich denk mir dann immer: "Stellt euch doch nicht so an, so schwer ist es doch jetzt auch nicht, nachzuvollziehen was ich meine."

Zwischenmenschliche Beziehungen

Autisten wirken in der Regel so, als hätten sie kein Interesse an anderen Menschen. Das ist zumindest bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom gar nicht der Fall - wir haben in der Regel sogar sehr starkes Interesse an der Interaktion mit anderen Menschen, wir wissen nur nicht so richtig, wie wir es anstellen sollen. Es fällt uns schwer in Kontakt zu kommen und ihn dann beizubehalten. Grund dafür ist, dass wir nicht verstehen, wie andere Personen ticken und unterliegen deswegen häufig Missverständnissen. Frühkindliche Autisten sind dagegen wirklich nicht an dem Kontakt zu anderen Menschen interessiert.

Sonstige Merkmale

Asperger-Autisten können ihre Aufmerksam und Konzentration nur schlecht willentlich steuern. Wenn sie sich für etwas nicht interessieren, ist es ihnen teilweise unmöglich sich darauf zu konzentrieren, was besonders in der Schule schwierig ist, denn da tritt es ja häufiger auf, dass die Themen jetzt nicht unbedingt die sind, die den Schüler gerade interessieren. Mir ist das erst vor zwei Wochen aufgefallen. Ich saß im Gottesdienst und der Pastor hat gerade eine Predigt gehalten. Gleichzeitig lief aber zur zeitlichen Orientierung für ihn im Bereich wo die Gottesdienstbesucher sitzen auf einem Tablet ein Time Timer, der meine Aufmerksamkeit gefesselt hat. Es war so spannend für mich in dem Moment zu beobachten, wie die Zeit sichtbar verrinnt, dass ich kaum eine Chance hatte, unserem Pastor zuzuhören. Eigentlich ist ein Time Timer nichts neues für mich - ich benutze ihn ja selbst regelmäßig, aber in dem Moment hat mein autistisches Ich den Timer eben spannend gefunden. Ab und zu konnte ich mich von dem Timer losreißen und ihm zuhören, ging aber meist nur für 2 - 3 min gut, dann war der Timer doch wieder spannender. Ich wollte ihm an sich schon zuhören, aber es war in dem Moment schlicht nicht möglich.

Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben häufig Spezialinteressen, oft liegen sie in den Bereichen Mathe, Physik, Biologie, Astronomie, sie können aber auch z. B. aus dem auswendig lernen bestimmter Fakten, exzessiven Sammeln oder der intensiven Beschäftigung mit einem anderen Thema bestehen. Die Intensität der Beschäftigung bzw. das gewählte Thema ist meistens außerhalb der Norm. Wir können stundenlang über diese Themengebiete reden, ohne dass es uns langweilig wird oder uns ewig damit beschäftigen. Ich kann zum Beispiel zugunsten meines Spezialinteresses Kleinmesse (Rummel/Kirmes/Schaustellerei) sogar meine Abneigung gegenüber Menschenmengen überwinden! Eigentlich hasse ich viele Menschen auf einem Haufen und auch extreme Lautstärke die ich nicht selbst kontrollieren kann, ist gar nicht meins. Wenn ich aber auf den Rummel gehe ist das urplötzlich egal. :D

Wie auch bei frühkindlichen Autisten ist ein möglichst immer gleicher Alltag immens wichtig. Veränderungen lösen Unruhe aus. Grund dafür ist, dass Veränderungen ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit erfordern. Da Autisten aber oft ein großes Problem damit haben, Reize zu filtern, stellen Veränderungen eine erhöhte Belastung dar. 

Warum werden Asperger-Autisten oft erst spät diagnostiziert?

Dadurch dass Menschen mit dem Asperger-Syndrom oft eine durchschnittliche Intelligenz haben, sind sie sehr gut darin, sich im Alltag anzupassen. Sie wirken in der Regel eher schüchtern als auffällig, weil sie für sich modifizierte Lösungen gefunden haben, um im Alltag gut zurechtzukommen. Die meisten Menschen mit dem Asperger-Syndrom werden erst nach dem 18. Lebensjahr diagnostiziert, weil sie in der Schulzeit einen relativ strukturierten Alltag haben, der sich nicht stark verändert. Wenn sie nicht Aggressionen oder Depressionen entwickeln und in der Schule wenig Probleme haben, weil sie eine gute Auffassungsgabe haben, fällt ihre Andersartigkeit in der Regel gar nicht auf. Sie gehen einfach als introvertiert durch. Bei mir ist es außerdem nicht aufgefallen, weil ich auf einer Schule für körperbehinderte Menschen gegangen bin, wo ohnehin geschaut wurde: was braucht der Schüler, wie müssen wir mit ihm umgehen? Da war die konkrete Diagnose egal, weil jeder Schüler gewisse Baustellen hatte. 

Dadurch, dass sie eine normale Intelligenz haben, finden sie sich im Alltag sehr gut zurecht und können mit Unterstützung von Familie/Bekannten oft sogar allein leben. Oft fällt das Asperger-Syndrom erst auf, wenn sich etwas rapide im Leben des Autisten verändert - z. B. durch plötzliche Arbeitslosigkeit, Schulwechsel, Scheidung, etc. Denn dann reicht die Energie für die Kompensation nicht mehr aus. Bei mir ist es aufgefallen, als ich nach der Schule ins Berufsbildungswerk gegangen bin und dort urplötzlich nicht mehr meine gewohnten Routinen hatte und plötzlich mit vollkommen fremden Menschen klar kommen musste. 

Was kann Asperger-Autisten helfen?

- Physio- und Ergotherapie (um die Koordinations- und Bewegungsstörungen zu verbessern)

- Ansätze wie TEACCH zur Strukturierung des Alltags

- Schulbegleiter zur Unterstützung in der Schule (zum Einen um den Kontakt zu den Klassenkameraden zu verbessern, zum anderen um dem Autisten zu helfen, seine Konzentration immer wieder auf den Unterricht zurückzuleiten)


Ich denke das waren die wichtigsten Informationen zum Thema Asperger-Syndrom. Zu guter Letzt werde ich über den Atypischen Autismus schreiben. Habt ein schönes Wochenende!
Anne



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