Warum habe ich mich diagnostizieren lassen?

Hallo!

Seit dem 18. Lebensjahr habe ich die Diagnose Autismus-Spektrums-Störung. Heute möchte ich euch berichten, weswegen ich die Diagnose angestrebt habe.

Warum ist der Autismus nicht früher diagnostiziert worden?

Wie ihr vermutlich wisst, ist Autismus angeboren. Die Störung taucht quasi nicht urplötzlich auf oder entwickelt sich im Laufe des Lebens, sie begleitet einen eigentlich das komplette Leben lang. Wieso habe ich die Diagnose dann nicht viel früher erhalten? Nun, es ist so, dass die mit Autismus verbundenen Schwierigkeiten je nach den Lebensumständen stärker oder schwächer zu Tage treten. Ich habe von der ersten bis zur zehnten Klasse in einer Schule für körperbehinderte Kinder und Jugendliche gelernt. Dort waren sehr kleine Klassen (nicht über 10 Kinder pro Klasse) und die Lehrer/Erzieher haben bei jedem Kind individuell geschaut, welche Besonderheiten sie haben und was sie brauchen um gut klar zu kommen. Es war keine Diagnose notwendig, weil alle Kinder und Jugendlichen an der Schule ihre speziellen Besonderheiten hatten und deswegen ist es nicht weiter aufgefallen, dass ich anders ticke, als neurotypische Menschen. Das war eben meine Besonderheit. Weiterhin war mein Tagesablauf quasi 11 Schuljahre (wir hatten ein Dehnungsjahr in der 2. Klasse) recht identisch. Klar, die Unterrichtsfächer waren anders angeordnet, aber im Prinzip ging jeder Unterrichtstag gleich zu und auch der Nachmittag lief im Groben immer gleich ab. 

Autisten profitieren immens von immer gleichbleibenden Strukturen und Routinen. Wenn uns nichts aus dem Konzept bringt und wir eine sichere Struktur/Routine haben, können wir tatsächlich so unauffällig sein, dass man nicht erahnen würde, dass wir die Autismus-Spektrums-Störung haben. Naja und die Probleme die ab und zu aufgetreten sind, lagen eben an meiner Besonderheit - ich war ja nicht grundlos an der Schule. Unter anderem hatte ich Koordinationsstörungen, andererseits hatte ich aber auch die Diagnose: sozio-emotionale Anpassungsstörungen (Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, Probleme mit dem Umgang der eigenen Emotionen bzw. der Emotionen anderer Menschen). Quasi die Umschreibung von Autismus. Jedenfalls waren die Bedingungen für mich seit dem Kindergarten derart perfekt, dass ich kaum nennenswerte Schwierigkeiten im Alltag hatte, die so stark gewesen wären, dass man an Autismus gedacht hätte.

Warum habe ich mich diagnostizieren lassen?

Nachdem ich meinen Realschulabschluss gemacht habe, ist unklar gewesen, welchen Beruf ich erlernen möchte, bzw. welche Ausbildungsstätte für mich geeignet wäre. Die Agentur für Arbeit war der Meinung, dass es auf dem freien Arbeitsmarkt schwierig für mich wäre, eine Ausbildung zu absolvieren. Also wurde uns das Berufsbildungswerk in Dresden empfohlen. Bzw. würde ich eher sagen, dass wir von der Arbeitsagentur erpresst worden sind... Sie haben uns vor die Wahl gestellt: BBW Dresden oder Werkstatt für behinderte Menschen. Ich wollte unbedingt eine Ausbildung machen, musste mich also für das BBW entscheiden. Da Dresden ja nun leider nicht gerade nah an Leipzig dran ist (bzw. zu weit zum täglichen pendeln) wurde ich im Wohnheim untergebracht. Die ganze Kombination:

- völlig fremde Mitauszubildende
- plötzlich nicht mehr jeden Tag zu Hause sein
- komplett andere Tagesstruktur
- fremde Ausbilder/Erzieher im Wohnheim

haben mich überfordert und meinen Autismus herausgekitzelt. Ich habe am Anfang der Berufsvorbereitenden Maßnahme quasi nur noch via Zettel kommuniziert. Mündlich gesprochen habe ich nur mit einer Mitazubine und den Wohnheimpädagogen bzw. meiner Ausbilderin, aber auch mit denen habe ich eher schriftlich kommuniziert. Außerdem habe ich nur noch sehr ausgewählte Lebensmittel gegessen - es hat sich im Groben auf Weißbrot mit Butter beschränkt, bzw. früh Brötchen mit Butter, das Mittagessen habe ich etwas abwechslungsreicher gestaltet, habe aber auch dort etliche Lebensmittel weggelassen. Im Wohnheim habe ich in der Regel nicht an Gruppenaktivitäten teilgenommen, das hätte mich überfordert.

Just zu dem Zeitpunkt, als sich meine Gewohnheiten plötzlich geändert hatten, bin ich unabsichtlich quasi so auffällig geworden, dass man es unmöglich mit normalen sozialen Schwierigkeiten, Schüchternheit oder ähnlichem erklären konnte. Meine Mutter ist Heilpädagogin/Erzieherin und hat zu dem Zeitpunkt gerade eine Fortbildung zum Thema Autismus bei jungen Frauen/Mädchen gemacht und hat mich in den Symptomen irgendwie wiedererkannt. Darum hat sie mir dann vorgeschlagen, eine Diagnostik zu diesem Störungsbild anzustreben. Sie hat dann Kontakt zu der Institution aufgenommen, die mich diagnostiziert hat (sogar zu derselben Psychologin bei der ich jetzt noch bin). Sie hatten einen Termin frei und so hat das Diagnostikverfahren angefangen. Wie die Diagnostik abgelaufen ist, werde ich aber in einem anderen Beitrag schreiben, das würde jetzt den Rahmen sprengen. 

Habt einen schönen Tag!
Anne

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