Tipps für Praktika

Guten Tag!

Vor einigen Wochen habe ich über Tipps für den Schuleinstieg (Wechsel Kita - Grundschule) geschrieben. Der heutige Beitrag richtet sich auch an Schüler - allerdings an Schüler die schon einige Jahre länger zur Schule gehen und bei denen jetzt das erste Praktikum ansteht! Vollkommen andere Routine, fremde Menschen, völlig neue Aufgaben, ungewohntes Umfeld - STRESS. Ein Praktikum bedeutet für so ziemlich jeden Menschen eine Menge Aufregung und auch Unsicherheit. Das ist vollkommen normal. :-) (Nicht nur) für Autisten kann ein Praktikum zu einer echten Herausforderung werden. Da ich schon mehrere Praktika durchlebt habe, möchte ich euch heute ein paar Tipps für das (erste) Praktikum an die Hand geben und meine Erfahrungen mit euch teilen, damit ihr wisst, worauf ihr euch eventuell einstellen müsst und dann nicht allzu überrascht sein müsst. 

Geht offen mit eurer Diagnose um.

Ich hatte zum Zeitpunkt meines ersten Praktikums noch keine Diagnose, sodass ich diesen Tipp selbst noch nicht beherzigen konnte. Alle Praktika die ich während der Ausbildung absolviert habe. habe ich aber dann mit Autismus-Diagnose absolviert und bin auch absolut offen damit umgegangen. Und das war immens von Vorteil. Ich möchte euch keine Illusionen rauben, aber in der Regel wird man vom Praktikumsbetrieb nicht übernommen später, schon gar nicht, wenn es sich um ein Schülerpraktikum handelt. Wenn ihr mit der Schule fertig seid, können die sich, wenn es drauf ankommt noch nicht mal mehr erinnern. Ihr müsst also wirklich keine Angst haben, dass eure Diagnose eine nachträgliche Einstellung eventuell verhindert. Aber für das Praktikum an sich, ist der offene Umgang mit der Diagnose wirklich hilfreich. Es geht gar nicht darum, dass man deswegen in Watte gepackt und extra geschont wird. Dieser Fall wird in der Regel nicht eintreten, aber das ist ja auch nicht das Ziel. Fakt ist aber, dass wir nun mal anders ticken als neurotypische Menschen und dadurch vielleicht z. B. nicht unbedingt im Pausenraum mit den Kollegen sitzen wollen, vielleicht etwas länger brauchen um bestimmte Aufgaben zu erfüllen oder die Aufgabenstellung vielleicht missverstehen, weil der Praktikumsbetreuer unklar formuliert hat. Oder es ist vielleicht zu laut in dem Bereich wo wir arbeiten sollen, etc.

Wenn wir offen und ehrlich mit unseren Special Effects umgehen, gibt das auch dem Praktikumsbetreuer die Möglichkeit, sich auf uns einzustellen. Ich musste mal in einem Archiv arbeiten, wo ein extrem nerviger Lüfter war, der ein vernünftiges Konzentrieren kaum möglich gemacht hat. Ich durfte Kopfhörer aufsetzen und Musik hören. Oder in einem anderen Praktikum: ich hatte Probleme mit der Aufgabe, die ich eigentlich erfüllen sollte, weil sie viel mit Interpretation und der Kommunikation mit Bürgern zu tun hatte. Mein Praktikumsbetreuer hat aber verstanden, wie Autisten funktionieren und hat mir ein eigenes Aufgabengebiet übertragen. Bei dieser Aufgabe sollte ich dann selbstständig durchs Stadtgebiet fahren und Bahnbrachen (Flächen/Gebäude auf Bahngelände, die nicht mehr genutzt sind bzw. vollkommen heruntergekommen sind) fotografieren und sie dokumentieren. Ohne dabei festzulegen: geht von diesem Gebäude eine Gefahr für die Allgemeinheit aus, etc. Nur festhalten und dokumentieren, was zu beobachten ist. Das hat mir viel besser gelegen. Wenn ich nicht offen mit meiner Diagnose umgegangen wäre, wäre der Praktikumsbetreuer vielleicht verärgert gewesen, weil ich die Aufgabe nicht zu seiner Zufriedenheit erfüllt habe, aber so wusste er, dass ich nichts dafür kann und hat eine geeignete Aufgabe für mich gesucht und gefunden.

Versucht euch nicht von Anfang an abzuschotten.

Ich weiß - gerade wenn das Team größer ist, ist es eine absolute Horrorvorstellung, sich mit den vollkommen fremden Mitarbeitern der Firma/Behörde zur Mittagspause an einen Tisch zu setzen. Man weiß nicht was man sagen soll, man kennt die Leute alle nicht, es ist vielleicht problematisch vor fremden Leuten zu essen, vielleicht ist es aber auch erst mal ziemlich laut. Trotzdem empfehle ich euch, nicht von Anfang an die gemeinsame Mittagspause mit den Kollegen zu verweigern. Probiert es zunächst einmal aus, auch wenn es für euch absolut gruselig klingt. Ihr habt so die gute Gelegenheit, die Mitarbeiter mal außerhalb des Arbeitsgebiets kennenzulernen und zum Beispiel auch mal Fragen zu stellen, die euch interessieren, aber nicht hundertprozentig zur Aufgabenstellung gehören. Gerade alteingesessene Kollegen haben teilweise superwitzige Storys vom Job auf Lager, die sie gern zum Besten geben, wenn ein neuer Praktikant da ist. So etwas ist extrem interessant und verkürzt die Mittagspause auf die angenehme Art und Weise. 

Außerdem macht es einen guten Eindruck, wenn man den Kontakt zu den Kollegen sucht. Vielleicht findet ihr ja einen guten Kompromiss: an drei Tagen in der Woche gehe ich raus, an zwei Tagen setze ich mich mit zu den Kollegen. Ihr könnt ja vorher mit eurem Praktikumsbetreuer reden und ihn darauf hinweisen, dass es euch schwer fällt, Kontakt zu fremden Menschen aufzubauen, er hilft euch ganz bestimmt gern oder sagt den Kollegen von vorn herein, dass ihr nicht so gut im Smalltalk seid. Wenn es denn überhaupt nicht erträglich ist, mit wildfremden Kollegen die Mittagspause zu verbringen, dann denkt immer dann: ehrlich währt am längsten. Gebt es einfach offen zu. Gerade wegen eurer Autismusdiagnose wird da eigentlich jeder für Verständnis haben.

 Bringt gleich zu Beginn in Erfahrung, wo die Toiletten sind

Ich hatte beim Praktikum immer das Problem, dass ich schlecht mit den Kollegen sprechen konnte. Wenn ich nicht gleich am Anfang eine Führung durch die Behörde bekommen hatte, wusste ich teilweise nicht, wo die Toiletten sind. Nun konnte ich aber nicht danach fragen, weil die Menschen alle so fremd waren. Es kam einfach kein Wort raus. Und nichts ist schlimmer, als super dringend auf die Toilette zu müssen und nicht danach fragen zu können. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen habe ich mich beim ersten Schülerpraktikum auch irgendwie nicht getraut, auf die Toilette zu gehen. Ich wusste nie, wann ein passender Zeitpunkt dafür ist und musste teilweise so heftig auf die Toilette, dass ich kaum noch klar denken konnte. Wenn ihr ein ähnliches Problem habt, sprecht es offen an. Sagt, dass ihr euch möglicherweise im Ernstfall nicht traut zu fragen. Es sollte sowieso eine Normalität sein, dem Praktikanten die Toilette zu zeigen. Am Ende des Praktikums, also nachdem ich das erste Mal war, weil wirklich nichts mehr ging, habe ich mich dann auch getraut. :D

Verbündet euch mit eurem Praktikumsbetreuer (von der Schule).

Wie gerade erwähnt, war sprechen im Praktikum für mich teilweise schwierig. So konnte ich zwar dienstliche Fragen stellen, aber nicht Dinge ansprechen, die vielleicht für mich ungünstig laufen. Und so habe ich den Besuch meines Ausbilders in der Praktikumsbehörde genutzt. Ich habe ihm einen Zettel geschrieben mit den Dingen, die sich ändern sollten. Ausbilder: "Und Anne? Wie gefällt es dir hier so?" Ich: "Super gefällt es mir, vor allem ..." *schiebt unauffällig zusammengefalteten Zettel mit ehrlicher Antwort zu Ausbilder. Ausbilder der wusste, dass ich hauptsächlich über Zettel kommuniziere, wenn es schwierig für mich ist, verzieht keine Miene, nimmt Zettel entgegen, liest ihn unauffällig, bittet anwesenden Kollegen kurz mit mir allein sprechen zu können und spricht mit mir ab, wie er verfahren soll. Wir haben uns dann gemeinschaftlich dafür entschieden, dass er mit meiner Praktikumsbetreuerin vor Ort spricht. Es war damals stinklangweilig, weil sie mir nichts zugetraut hatten (Schülerpraktikantin halt). Außer Ordner sortieren, etc. war nicht so viel. Nachdem mein Ausbilder aber mit meiner Praktikumsbetreuerin gesprochen hat, wurde ich wesentlich besser mit eingebunden und habe auch wesentlich anspruchsvollere Aufgaben erhalten - das Praktikum war gerettet. 

Ohne die Hilfe meines Ausbilders, hätte ich mich niemals getraut, das anzusprechen und wäre vermutlich super frustriert gewesen die ganze Zeit. Ich bin meinem Ausbilder so so dankbar, dass er sofort geschalten und kapiert hat, dass ich ihm so etwas mitteilen möchte, dass mündlich nicht möglich ist. Und vor allem erst einmal nichts gesagt hat, sondern ganz unauffällig den Zettel gelesen hat und mich dann gefragt hat, was mein Wunsch ist. Er hat nicht einfach über meinen Kopf hinweg entschieden, was jetzt die nächste Maßnahme ist, sondern hat mich explizit gefragt, ob er das Thema ansprechen darf. Er hat mich gefragt, ob ich dabei sein möchte, was ich abgelehnt habe. Also ist er allein ins Nebenzimmer und hat mir danach genau erklärt, wie das Gespräch abgelaufen ist. Meine gesamten Ausbilder und Berufsschullehrer und die Wohnheimpädagogen während der Ausbildung waren allesamt so unfassbar top, irre bemüht und wahnsinnig lieb. Ohne die vielseitige Unterstützung von ihnen hätte ich die Ausbildung niemals so erfolgreich abgeschlossen. Danke an dieser Stelle an Frau S, Herrn U, Frau E, SJ, RN, ST, JP, CJ, CU, JG, JS, HZ. 💚 Falls diejenigen diesen Beitrag mal lesen, wissen sie auf jeden Fall wer gemeint ist, aber aus Datenschutzgründen werde ich die Namen jetzt hier nicht ausschreiben. Ich weiß ja nicht, ob ihnen das Recht ist. 

Ich hoffe, dass ihr den einen oder anderen Tipp für euch mitnehmen konntet. Freut euch auf das Praktikum. Es ist zwar super neu alles, aber man hat die Möglichkeit sich auszuprobieren und zu überprüfen, ob der Beruf, den man später mal ausüben möchte, wirklich etwas für einen ist. Bzw. ist das die Gelegenheit seine Fähigkeiten zu erweitern - in jedem Praktikum lernt man etwas, auch wenn man vielleicht auf den ersten Blick viele simple Aufgaben erledigen soll - irgendetwas neues ist immer dabei. Genießt es. Und seit euch bewusst: euren Klassenkameraden und jedem anderen Praktikanten geht es genauso, die Aufregung ist vollkommen normal und eigentlich doch auch wunderschön. :-)

Ganz viel Spaß!
Anne

Kommentare