Tipps für ArbeitgeberInnen von AutistInnen

Guten Tag,

vor einer Weile habe ich schon mal darüber geschrieben, welche Möglichkeiten es für junge AutistInnen gibt, die gerade die Schule beendet haben und nun ins Arbeitsleben starten möchten. Dabei habe ich auch erwähnt, dass es einigen AutistInnen durchaus möglich ist, eine Tätigkeit in einer Firma auf dem 1. Arbeitsmarkt auszuüben. Leider gibt es nachwievor viel zu viele AutistInnen, die aufgrund der vorhandenen Arbeitsbedingungen in den Firmen auf Werkstätten für behinderte Menschen zurückgreifen müssen. Diese Werkstätten sind ohne Frage absolut wichtige und sinnvolle Institutionen - für Menschen, die aufgrund ihrer Einschränkungen keine Möglichkeit haben, in einer Firma zu arbeiten. Es sollte jeder Mensch die Möglichkeit haben einer Arbeit nachzugehen - und das ermöglichen diese Werkstätten. Viele AutistInnen, die in diesen Werkstätten arbeiten, hätten aber durchaus die kognitiven Fähigkeiten und ein immenses Potential um in der öffentlichen Verwaltung oder privaten Wirtschaft arbeiten zu können. 

Leider finden sie dort aber viel zu oft Arbeitsbedingungen vor, die mit ihrem Störungsbild einfach nicht vereinbar sind, bzw. die es ihnen unmöglich machen, ihr Potential voll auszuschöpfen. Das ist unheimlich schade, da meist schon kleine Anpassungen genügen würden, um ein autismus-gerechtes Arbeitsumfeld für sie zu schaffen. Und das würde sich für die Arbeitgeber wirklich lohnen - denn Autismus bringt ja nicht nur negative Dinge mit sich, sondern auch positive wie z. B. einen unfassbaren Blick für Details, ein sehr gutes Sprach/Zahlenverständnis, die Fähigkeit sich in schwierigen Sachverhalten festzubeißen - wo andere Arbeitnehmer bereits aufgegeben hätten, etc. Heute möchte ich Arbeitgebern Tipps geben, was sie tun könnten, damit AutistInnen bei ihnen ein gutes Arbeitsumfeld vorfinden können. 
  • Emails/Zettel als Hauptkommunikationsmethode akzeptieren.
In 90 % aller Firmen ist die Hauptkommunikationsmethode telefonieren bzw. mündliche Gespräche. Es gibt aber viele AutistInnen, denen dieser Kommunikationsweg überhaupt nicht liegt. Sie können ihre Gedanken viel besser in Worte fassen, wenn sie diese aufschreiben. Grund: sie werden nicht von der Aufregung abgelenkt, die bei einem normalen Gespräch auftritt, außerdem müssen sie dabei keinen Blickkontakt aufbauen und werden auch nicht durch die Mimik des Gesprächspartner irritiert - diese können sie ohnehin meistens nicht deuten. Zusätzlich ist bei manchen AutistInnen die Informationsverarbeitung verlangsamt. Bei der mündlichen Kommunikation ist eine sofortige Verarbeitung unerlässlich - wenn man das aber nicht kann, kann es vorkommen, dass die Hälfte der mündlich gegebenen Information "auf dem Weg verloren geht". Papier/Emails sind geduldig - der Autist kann die Information in seinem eigenen Tempo verarbeiten und es entsteht kein Informationsverlust. Selbstverständlich müsste man dann sämtliche Mitarbeiter darauf hinweisen. 
  • Freistellen, ob bei geschlossener oder geöffneter Tür gearbeitet wird.
Menschen mit einer Autismus-Spektrums-Störung haben häufig Schwierigkeiten mit der Reizverarbeitung. Viele Arbeitgeber bestehen aufgrund der Verbesserung des Kontaktes untereinander darauf, dass die Türen beim arbeiten geöffnet bleiben. Autisten können die Geräusche die von außen reinkommen, aber extrem ablenken und damit beim arbeiten enorm stören. Da läuft jemand über den Gang - wer ist das? Da klingelt das Telefon im Nachbarzimmer - wo war ich gerade noch? Die Kollegin tippt vielleicht sehr laut auf der Tastatur - was hat gerade mein Gesprächspartner gesagt? Allein der Alltag in einem Büro besteht aus extrem vielen verschiedenen Reizen. Was neurotypische Arbeitnehmer manchmal nervt, aber meistens ausgeblendet wird, nehmen AutistInnen in einer deutlich höheren Intensität wahr und lenkt sie sehr stark ab. Dadurch passieren unnötige Fehler. 

Ich sehe keinen Sinn darin, auf offene Türen im Büro zu bestehen. Wenn man etwas von dem Kollegen wissen will, kann man doch auch einfach anklopfen! Oder meinetwegen eine Email schreiben! Man unterhält sich doch ohnehin nicht quer über den Gang während man arbeitet, also warum kann die Tür dann nicht auch zu sein? Es muss auch nicht zwangsläufig sein, dass der Autist regelmäßig die geschlossene Tür benötigt. Das kann tagesformabhängig sein. Vielleicht kann er die Reize an dem einen Tag besser ab, dann kann er ja die Tür aufmachen! 
  • Kopfhörer bei der Arbeit erlauben
Bei vielen Arbeitgebern ist es strikt verboten, während der Arbeit Musik zu hören oder gar Kopfhörer zu tragen. Das kann autistischen Menschen aber immens helfen, unnötige Reize auszublenden und sich voll und ganz auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Ich nutze die Möglichkeit Musik zu hören aber auch, um störende Gedanken auszublenden. Ich kann mich dann viel besser auf die Arbeit fokussieren, weil die Gedanken im Kopf "nicht so laut" sind. Ich verstehe die Sorge, dass Arbeitgeber denken, die Menschen wären dann nicht mehr ansprechbar. Aber dafür kann man ja gute Kompromisse finden. Zum Beispiel: Kopfhörer nur auf einem Ohr, nur eine gewisse Lautstärke, nur bei bestimmten Aufgaben, etc. 
  • Kommunizieren Sie klar.
Häufig kommt es am Arbeitsplatz zu Konflikten, weil AutistInnen die Arbeitsanweisungen ihrer Chefs nicht, oder nicht gut verstehen. Um höflich zu sein, neigen manche Arbeitgeber dazu Sätze zu verwenden wie: "Es wäre gut, wenn..." / "Könntest du..." etc. AutistInnen haben häufig ein wortwörtliches Sprachverständnis. Natürlich können sie die Aufgabe erledigen - sie sind ja rein fachlich dazu in der Lage. Sie nehmen diese Frage nur nicht als Aufforderung wahr. Besser sind Sätze wie: "Bitte stelle die Tabelle bis heute 12 Uhr zusammen." Dann weiß der Autist haargenau woran er ist und wird die Aufgabe fristgerecht erfüllen, wenn ihn nicht irgendwelche zufälligen Umstände daran hindern. 
  • Großraumbüros sollten vermieden werden.
Großraumbüros bzw. Büros mit mehreren Mitarbeitern beinhalten dasselbe Problem wie das Arbeiten mit offener Tür - es sind viel zu viele Reize, die erst einmal ausgeblendet werden müssen. Nicht nur, dass durch viel Ablenkung unnötige Fehler passieren - es ist für einen Autisten auch unglaublich anstrengend, wenn er den ganzen Tag verschiedenste Reize in Dauerschleife wahrnehmen muss. Es gibt selbstverständlich auch AutistInnen die haben weniger Probleme damit in einem Großraumbüro zu arbeiten, aber grundsätzlich ist es meistens günstiger, wenn er/sie die Möglichkeit hat, in einem Einzelbüro zu arbeiten. Wenn das aus logistischen Gründen nicht möglich ist, wäre es vielleicht sinnvoll, wenn man mit Trennwänden (z. B. wie bei der Wahl so einen Schutzschirm, den man um den Schreibtisch herum machen kann) arbeitet. Dadurch schränkt sich schon mal das Sichtfeld ein, es ist nicht mehr so viel zu sehen, das einen ablenken könnte. Oder wenn der Mitarbeiter im Autismus-Spektrum Kopfhörer nutzen kann um die Reize einzudämmen.
  • Andere Kollegen über Autismus aufklären. 
Es kann günstig sein, wenn die künftigen Kollegen über den Autismus aufgeklärt werden. Das sorgt auf jeden Fall für Verständnis - egal wie geübt er darin ist, neurotypisches Verhalten zu imitieren - er ist und bleibt ein Autist und wird sich ab und zu auch so verhalten. Das könnte zu Irritationen bei den Kollegen führen, weil es ja ein Verhalten ist, dass sie so in der Form eher nicht kennen oder gar als unhöflich werten würden. Wenn sie wissen, woran es liegt, können sie besser damit umgehen. Bzw. können sie dann auch besser auf die speziellen Bedürfnisse eines autistischen Kollegen eingehen (z. B. nur Mails schreiben, wenig Sprichwörter/Ironie verwenden wenn sie mit ihm sprechen, etc.). Wichtig ist aber, dass das nicht hinter dem Rücken des Autisten passiert - nicht jedem ist es recht, wenn die Kollegen von dem Störungsbild wissen, vor allem wenn er neu irgendwo anfängt. Man sollte immer mit ihm absprechen, ob die Kollegen darüber informiert werden dürfen. 

  • Pausengestaltung freistellen
Manche Arbeitgeber haben das Ritual, dass sich die Kollegen in der Mittagspause gemeinsam in die Kantine oder einen Gemeinschaftsraum begeben und dort gemeinsam Mittag essen und sich unterhalten, Gemeinschaft genießen. Das ist für viele Kollegen eine gelungene Abwechslung zu z. B. Gesetzestexten oder trockenen Tabellen. Für AutistInnen ist soziale Interaktion aber oft sehr anstrengend und kann sogar den Erholungseffekt komplett verhindern. Sie sehen in der Regel keinen Sinn Small-Talk zu führen und wissen ohnehin nicht, was sie sagen sollen. Oder sie haben vielleicht das Problem, dass sie vielleicht nicht vor weniger bekannten Personen ihr Essen zu sich nehmen können. Außerdem kommen ja grundsätzlich wieder Reize dazu. Von daher kann es tatsächlich sinnvoll sein, wenn man dem Autisten freistellt, ob er an der gemeinsamen Mittagspause teilnehmen möchte, oder lieber draußen spazieren gehen und sich etwas holen will. Wichtig ist auch, dass man das auf gar keinen Fall persönlich nehmen sollte, wenn der Autist nicht an der gemeinsamen Gesellschaft teilhaben will. Er kann die Kollegen möglicherweise total gut leiden, benötigt aber trotzdem die 30 min Ruhe für sich, um sich hinterher wieder vollkommen auf die Arbeit konzentrieren zu können. Manche AutistInnen sind zusätzlich unheimlich schüchtern und haben Schwierigkeiten, wenn mehrere Menschen in einem Raum sind, die sie vielleicht noch nicht so gut kennen. Ich weiß noch, dass ich bei einem Praktikum grundsätzlich in meinem Raum geblieben bin oder rausgegangen bin - weil viel zu viele Menschen in einem Raum waren, noch dazu welche, die in einer anderen Abteilung gearbeitet haben, die ich also nicht oft gesehen habe. Wenn ich aber bei den verschiedenen Kollegen im Büro war um mir verschiedene Aufgaben anzuschauen, habe ich mich bestens mit demjenigen unterhalten! Ich hatte ja nichts gegen diese Menschen!! 

Nicht alle AutistInnen benötigen dieselben Maßnahmen, damit sie gut arbeiten können. Am zweckmäßigsten ist es immer, wenn man das mit ihnen individuell abstimmt und dann schaut, was man am besten davon umsetzen kann. Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, dass der Autist direkt nach dem Vorstellungsgespräch sich schon mal am Arbeitsplatz umschauen könnte, dann kann direkt geschaut werden, ob es passt, bzw. was noch gemacht/verändert werden müsste. Oft ist wirklich gar nicht viel erforderlich - aber die Wirkung ist dafür umso größer!

Habt einen schönen Tag.
Anne

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