Können Autistinnen Kinder bekommen?

Guten Tag,

heute schreibe ich mal über ein spezielleres Thema. Bevor hier Diskussionen starten: diese Frage kann man selbstverständlich nicht mit einem klaren ja oder nein beantworten. Ich möchte auch definitiv niemanden in irgendeine bestimmte Richtung drängen oder die Entscheidungen von Autistinnen für oder gegen ein Kind irgendwie bewerten (weder positiv, noch negativ). Ich kann in diesem Beitrag nur für mich sprechen und werde versuchen, das so sachlich und neutral wie möglich zu tun. Jede Frau muss für sich selbst (und im besten Fall mit ihrem Partner) entscheiden, ob sie ein Baby haben möchten. Darum soll dieser Beitrag auch keine klassische Aufzählung von negativen oder positiven Aspekten werden, sondern ich möchte hier einfach mal schreiben, welche Punkte autistische Frauen für sich prüfen könnten, wenn sie über ein Kind nachdenken. 

Grundsätzlich: rein von der körperlichen Komponente können Autistinnen auf jeden Fall Kinder bekommen (sofern keine medizinischen Probleme dagegensprechen oder der Körper vielleicht einfach nicht dazu ausgelegt ist, weil die Frau z. B. unfruchtbar ist). Allein wegen dem Autismus ist es aber auf gar keinen Fall unmöglich ein kleines Lebewesen auf die Welt zu bringen. Autisten können auch wundervolle Papas und Autistinnen super liebevolle Mamas sein, das ist allein aufgrund des Autismus definitiv nicht ausgeschlossen. Wir können schließlich genauso Liebe empfinden, auch wenn wir sie vielleicht anders wahrnehmen oder ausdrücken. Darum ist es selbstverständlich möglich, auch einem Kind sämtliche Liebe und Fürsorge dieser Welt zu geben und es mit allem zu versorgen, was es braucht. Liebe AutistInnen: lasst euch bitte von niemandem einreden, dass ihr das nur aufgrund des Autismus nicht können würdet.  

Was sollten autistische Frauen bedenken, wenn sie ein Baby bekommen möchten?
  • Die Schwangerschaft sorgt für körperliche und vlt. auch psychische Veränderungen.
Das widerfährt natürlich auch neurotypischen Schwangeren, das ist ja ganz normal. Menschen die im Autismus-Spektrum liegen, haben aber teilweise große Probleme mit Veränderungen jeglicher Art. Es kann also passieren, dass sie mit den Veränderungen, die ihr Körper bei der Entwicklung des Babys im Mutterleib passieren, überfordert sind. Andererseits laufen diese Veränderungen natürlich nicht von jetzt auf gleich ab, sondern kommen langsam, die werdende Mama hat also durchaus die Möglichkeit, sich langsam daran zu gewöhnen. Außerdem gibt es ja immer noch die Frauenärztin/den Frauenarzt bzw. die Hebamme, die die Mutter in diesem Prozess, auch psychologisch betreuen können. 
  • Autismus kann vererbt werden.
Bitte betrachtet diesen Satz lediglich als sachliche Information. Es ist selbstverständlich vollkommen in Ordnung, wenn autistische Eltern ein autistisches Kind zur Welt bringen. Ich finde aber, sie sollten es wissen. Es gibt nämlich durchaus auch Menschen, die das nicht wissen - es ist immerhin noch lange nicht endgültig erforscht, weswegen Kinder mit Autismus geboren werden, aber es ist inzwischen bewiesen, dass der Autismus vererbt werden kann (NICHT muss!). Es gibt autistische Menschen, die damit kein Problem haben, es gibt aber auch Menschen im Autismus-Spektrum, die solche argen Probleme mit ihrer Einschränkung haben, dass sie für sich entscheiden, dass sie auf keinen Fall das Risiko eingehen wollen, dass ihr Kind ebenfalls mit Autismus leben muss. Diese Entscheidung ist ganz individuell und wie gesagt - es ist gar nicht zu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sicher, dass das Kind ebenfalls autistisch wird (wenn z. B. nur der Papa oder nur die Mama autistisch ist), aber man sollte diese Information haben.
  • Habe ich ein familiäres Umfeld oder Freunde, die mich und mein Partner mit dem Baby unterstützen können?
Schon neurotypische Eltern sind teilweise mit ihrem Baby überfordert, wenn es zum Beispiel nonstop schreit, weil es zum Beispiel gerade Zähnchen bekommt oder Blähungen hat. Oder wenn sie einfach keine Ahnung mehr haben, was sie tun sollen, weil das Baby ständig aufwacht und einfach nicht durchschlafen kann. Das einen in solchen Situation teilweise die Nerven verlassen, ist vollkommen normal. Autismus geht aber auch häufig mit Reizüberflutungen einher - in diesem Zustand kann es euch unmöglich sein, euch adäquat um euer Baby zu kümmern. Umso wichtiger ist es, dass euch jemand mit dem Baby unterstützen kann und es auch mal betreut, wenn ihr gerade kein einziges Geräusch mehr in eurer Umgebung ertragen könnt. 

Außerdem kann es gerade, wenn das Kind älter wird wichtig werden, dass euch neurotypische Menschen erklären, wie euer Kind tickt, warum es sich so verhält, wie es sich verhält, etc. Autismus bedeutet ja nicht, dass wir empathielos sind, aber es fällt uns nun einmal schwer, uns in andere Menschen hineinzuversetzen, ob das nun das eigene Kind, der Nachbar oder der Lebenspartner ist. Egal wie ihr euch bemüht, ihr werdet unmöglich sämtliche Verhaltensweisen eures Kindes nachvollziehen können (das schaffen ja noch nicht mal neurotypische Eltern). Vielleicht benötigt euer Kind auch einen zusätzlichen erwachsenen Ansprechpartner, mit dem es die Themen besprechen kann, die ihr aufgrund von eurem Autismus einfach nicht bedienen könnt. Das hängt natürlich ganz von eurem Autismus ab, aber es kann durchaus sein, dass ihr vielleicht Schwierigkeiten habt, euer Kind bei Liebeskummer zu trösten, weil ihr euch einfach nicht so richtig reinversetzen kann, was das Kind in der Situation braucht - könnt es aber dafür hervorragend trösten, wenn sein Lieblingsspielzeug kaputt gegangen oder es hingefallen ist. Hier muss man einfach schauen, was ihr als Familie braucht. Es gibt professionelle Mitarbeiter, vielleicht tut es aber auch der Patenonkel...

Seid ihr oder zumindest euer Partner in der Lage körperliche Berührungen zu geben?

Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt. Autistische Menschen haben oft Probleme damit, körperliche Berührungen zuzulassen, weil sie eine andere Reizverarbeitung und Wahrnehmung haben. Manche können das gar nicht ertragen, andere haben Probleme mit unerwarteten Berührungen. Kinder benötigen für ihre Entwicklung aber regelmäßigen Körperkontakt, in Form von kuscheln, etc. Daran führt kein Weg dran vorbei. Es muss kein Ausschlusskriterium sein, wenn ihr Berührungen nicht gut zulassen könnt - vielleicht seid ihr dafür zuständig mit dem Kind zu spielen und es zu trösten und euer Partner ist der Kuschelbär... Wenn euer Kind dann älter ist, kann man ihm das auch erklären, dass ihr es vielleicht nicht so gut umarmen könnt, dass dafür aber der Papa zuständig ist und ihr dafür mit ihm rangelt oder es kitzelt, also Tobespiele macht. Muttermilch kann man auch abpumpen und dem Baby über die Flasche geben. Wichtig ist aber, dass ihr dem Baby körperliche Zuneigung geben könnt - die braucht das Baby wirklich dringendst - ohne kann es sich nicht ordnungsgemäß entwickeln. 

  • Wärt ihr in der Lage zu erkennen, was euer Neugeborenes benötigt?
Ich möchte euch auf gar keinen Fall absprechen, dass ihr das in der Theorie wisst. Aber kleine Babys haben ganz andere Bedürfnisse als erwachsene Menschen oder Jugendliche und das wichtigste: sie zeigen es je nach Altersstufe ganz anders und unterschiedlich. Wenn die Kinder sprechen können, können sie selbstverständlich ihre Wünsche und Bedürfnisse auf diese Art und Weise mitteilen - ein Baby aber schreit. Es kann auch noch nicht zeigen, was es braucht - nur weinen. Ich bin keine Mutter, aber ich könnte mir vorstellen, dass es pures Rätsel raten ist, herauszufinden, was das Kind in dem Moment gerade braucht und wann es zufriedengestellt ist bzw. ob es inzwischen schon wieder eine neue Baustelle gibt. Menschen im Autismus-Spektrum haben Probleme Körpersprache und nonverbales Verhalten zu deuten, das könnte unter Umständen, die Versorgung eines Babys schwierig gestalten. Ihr könnt das ganz sicher lernen, vielleicht benötigt ihr aber professionelle Unterstützung dabei. Möglicherweise könnt ihr zunächst in einer Eltern-Kind-Einrichtung leben, wo ihr von professionell geschulten Mitarbeitern darauf gebrieft werdet, was ihr beachten müsst oder wie ihr die Bedürfnisse von eurem Baby richtig erkennen könnt. Vielleicht genügt es aber auch, wenn ihr vorher einen Kurs besucht oder ab und zu jemand bei euch vorbeischaut und euch anhand der Situationen erklärt, was zu tun ist. Möglicherweise gibt es auch die Möglichkeit, Unterstützung telefonisch oder per Mail anzufordern, wenn man im Akutfall nicht weiter weiß. Mit den verschiedenen Unterstützungsmöglichkeiten kenne ich mich aber nicht aus, da ich ja keine Mutter bin und erst mal auch noch keine werden möchte. Frauenärztin, Hebamme oder Psychologen haben aber garantiert Ansprechpartner und kennen euch auch besser als ich, wissen also viel eher wozu ihr in der Lage wärt. 

Fazit:

Autistinnen können wundervoll liebevolle Mamas sein bzw. Autisten liebevolle Väter. Wichtig ist aber, dass ihr bedenkt, dass ihr Schwierigkeiten bei der Betreuung des Kindes haben könntet, die durch euren Autismus einfach so sind. Seid euch aber bewusst: es gibt für fast alle Probleme/Schwierigkeiten eine Lösung und Fachmänner/Frauen, die euch unterstützen können. Redet mit den Fachleuten, die für euch zuständig sind und überlegt auch mit euren Freunden/eurer Familie und dem Partner/der Partnerin in aller Ruhe, ob ihr in der Lage seid ein Kind zu betreuen und groß zu ziehen. Nur weil ihr autistisch seid, ist es nicht unmöglich Kinder zu haben und diese liebevoll zu erziehen. 💗 

Habt einen schönen Tag.
Anne

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